Tunesien: Das Land braucht Hoffnung
Mario Galgano und Gabriella Ceraso - Vatikanstadt
„Wir hoffen auf die Arbeit des neuen Präsidenten, auf den Nationalstolz der Tunesier, die nie aufgegeben haben, und auf den Glauben dieses Volkes“, so Erzbischof Ilario Antoniazzi. Der Erzbischof von Tunis geht dann auf die heikle Situation ein, in der sich das nordafrikanische Land befindet: „Der Premierminister wurde am vergangenen Sonntag von Präsident Kais Saied wegen Ineffizienz und Uneinigkeit in der öffentlichen Verwaltung entlassen, die parlamentarischen Aktivitäten sind eingefroren, die Armee ist auf den Straßen, um die Sicherheit zu gewährleisten, eine nächtliche Ausgangssperre und ein Reiseverbot wurden verhängt.“ Zudem herrsche ein noch nie dagewesener Gesundheitsnotstand und eine schwere Wirtschaftskrise mit großer Armut. Auch die internationale Gemeinschaft befrüchte bereits Instabilität und eine autoritäre Wende in dem Land.
Die Menschen hätten genug von der Lage, aber es sei noch zu früh, um zu verstehen, wie es weitergehen werde, umreißt Erzbischof Antoniazzi die derzeitige Situation im Land.
„Gewiss, es gibt viele Erwartungen, denn seit über einem Jahr herrscht ein Machtvakuum, und niemand weiß, in welche Richtung es gehen soll: Man denke nur daran, dass wir mitten in einer Pandemie sind und eine marode Wirtschaft haben und keinen Gesundheitsminister. Deshalb gehen die Menschen jetzt auf die Straße, glücklich, weil sie auf diese neue kleine Revolution hoffen, die - das stellt der Erzbischof klar - kein Staatsstreich ist. Der Präsident ist hier, er kennt die Verfassung und hat geschworen, die Korruption zu bekämpfen und der Garant für diejenigen zu sein, die vor Gericht gestellt werden.“
Befürchtungen und Hoffnungen
Auf die Frage, ob die internationale Befürchtung, dass die demokratischen Errungenschaften der Vergangenheit verloren gingen, begründet sei oder nicht, lädt der Erzbischof dazu ein, über das Wort „Demokratie“ selbst nachzudenken. Er räumt ein, dass es eine Befürchtung in Bezug auf die Meinungsfreiheit gebe, insbesondere in Anbetracht einiger Maßnahmen, die der Präsident mit der Schließung einiger Radio- und Fernsehsender getroffen habe:
„Ich weiß nicht, ob das Wort 'Demokratie' vorher wirklich existierte, denn nach der Jasminrevolution (Ende 2010/Anfang 2011, Anm. d. Red.) gab es keine wirkliche politische Leitung, die das Land in eine bestimmte Richtung lenkte, und vielleicht wurde das Wort 'Demokratie' mit der Freiheit verwechselt, all das tun zu können, was man will. Dies ist aber nicht der Fall.“
Der Nationalstolz und der Glaube des tunesischen Volkes: Dafür setze sich die christliche Gemeinschaft heute ein, um einem Land zu helfen, das darum ringe, wieder Hoffnung zu haben.
„Dieses Volk lebt heute mit Schwierigkeiten, glaubt aber weiterhin an seine Zukunft. Wenn ich die Tunesier sehe, die in Richtung Lampedusa fliehen, möchte ich sagen, dass sie nicht vor Krieg und Hunger fliehen, sondern vor dem Fehlen einer Zukunft, die sie nicht sehen. Und die Pandemie hat die Situation sicherlich noch viel schlimmer gemacht. Die Krankenhäuser sind voll, der Sauerstoffmangel hat viele Todesfälle verursacht. Es gibt keine Impfstoffe, und die Menschen glauben nicht an sie. Nur wenige Menschen tragen auf der Straße Masken, was sich auf den Tourismus und damit auf die Wirtschaft ausgewirkt hat. Tausende von Menschen haben ihren Arbeitsplatz verloren, und jetzt ist es noch schlimmer, weil die nächtliche Ausgangssperre viele Aktivitäten verhindert.“
„Gott lässt uns nicht allein“
Selbst unter Ben Ali habe das Volk nie aufgegeben, so der Erzbischof. Nie hätten die Tunesier nachgegeben und sich immer wieder erholt, erinnert sich der Erzbischof. Dann seien es die Frauen gewesen - erinnert sich Antoniazzi - die rebellierten.
„Das tunesische Volk ist nicht dumm, viele sind gebildet. Es ist notwendig, die Aufmerksamkeit auf die eigenen Fähigkeiten zu lenken und sich nicht zu sehr auf andere zu verlassen, im Allgemeinen auf den Stolz, Tunesier zu sein, und dann auf den Glauben an Gott. Die Tunesier sind ein sehr gläubiges Volk: Ihnen zu sagen, dass es einen Gott gibt, der sie niemals verlassen wird, ist nützlich, weil sie an Gott glauben. Manchmal fragen sie mich, ob Gott in diesem Moment der Schwierigkeit da ist, und ich antworte mit Verweis auf die Evangelienseite vom Sturm, als Jesus im Boot schläft. Er ist da, und selbst wenn es scheint, dass er im Boot unseres Lebens schläft, müssen wir wissen, dass er da ist.“
(vatican news)
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