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Auch die Caritas Libanon hilft beim Wiederaufbau nach den Explosionen im Hafen von Beirut am 4. August 2020 Auch die Caritas Libanon hilft beim Wiederaufbau nach den Explosionen im Hafen von Beirut am 4. August 2020  

Libanon 1 Jahr nach der Explosion: Alles weg - außer dem Glauben

Am 4. August 2021 jährt sich die verheerende Explosion im Hafen von Beirut zum ersten Mal. Caritas und Kirche in Not berichten, dass es immer noch sehr viel zu tun gibt. „Wir haben alles verloren: Familien, Häuser, Schulen, persönliche Dinge. Alles wurde uns genommen. Aber unser Glaube lässt sich nicht nehmen", berichtet Pater Michel Abboud. Leiter von Caritas Libanon dem Dienst AsiaNews.

Ein Jahr nach der Doppelexplosion im Hafen gebe es noch viele offene Wunden, berichtet der Caritas-Chef. Die Bevölkerung warte immer. noch auf Gerechtigkeit und darauf „die Namen, der Schuldigen zu erfahren." Die Lage im Land bezeichnet er als „kritisch in vielerlei Hinsicht" - und verweist auf die Wirtschaftskrise sowie die politische und gesellschaftliche Krise. Viele Menschen seien zudem in eine psychische Krise geraten: „Vorher war psychologische Hilfe hier nicht verbreitet, inzwischen gibt es extrem starke Nachfrage". Die Caritas Libanon hat daher ihren Einsatz in diesem Bereich verstärkt. Außerdem gibt sie Lebensmittelpakete und Hygiene-Pakete aus, um den Menschen durch die Wirtschaftskrise und durch die Pandemie zu helfen. Auch beim Wiederaufbau ist die Caritas dabei.

Es gibt viel zu tun

Die Explosionen vom 4. August 2020 haben das Land so schlimm zerstört, wie es in Friedenszeiten nie geschah. Erschütterungen, die einem Erdbeben der Stärke 4.5 gleich kamen, forderten mehr als 200 Menschenleben, rund 6.500 Menschen wurden verletzt. Insgesamt wurden laut Schätzungen mehr als 200.000 Menschen obdachlos. Zerstört wurden auch zahlreiche Schulen, Krankenhäuser, Büros, Wohnungen und Geschäfte. Viele Menschen verloren so nicht nur ihr Heim, sondern auch ihre Arbeit. Und: Das Land wartet immer noch auf seine Regierung: Premier Hassan Diab trat nach der Explosion vom 4. August 2020 zurück. Seither ist das Land praktisch ohne Exekutive, da jedwede Regierungsbildung bislang fehlschlug. Allerdings wurde erst vor wenigen Tagen der angesehene Geschäftsmann Nagib Mikati zum neuen Premierminister bestimmt. Er soll nun baldmöglichst eine neue Regierung bilden.

Pater Abboud von Caritas Libanon hat trotz allem die Hoffnung nicht verloren, denn der Glaube sei nach wie vor stark geblieben: „Es ist nicht das erste Mal, dass der Libanon eine Krise durchmacht. Wir haben Kriege, Bluttaten und Tote erlebt und überlebt, wir werden auch diese Krise überwinden."

4. August: Trauertag

Ausgelöst worden sein soll die fatale Detonation am 4. August 2020 durch 2.750 Tonnen der hochexplosiven Chemikalie Ammoniumnitrat, die ohne Schutzvorkehrungen in einem Silo im Hafen gelagert wurden. Die Druckwelle zerstörte weite Teile Beiruts, insbesondere Viertel, in denen viele Christen leben. 

Der libanesische Ministerrat hat für den 4. August  2021 einen Staatstrauertag ausgerufen. Behörden und öffentliche Einrichtungen bleiben an diesem Tag geschlossen. Die Menschen werden sich im Hafen von Beirut zu einer Gedenkveranstaltung versammeln, die vom maronitischen Patriarchen Bechara Kardinal Rai geleitet wird.

Trauer, Wut und Enttäuschung

Doch es ist nicht nur Trauer, die an diesem Mittwoch im Mittelpunkt steht, sondern auch die Wut und Enttäuschung der Bevölkerung: Der Libanon leidet seit Herbst 2019 unter einer großen Wirtschaftskrise. Ein Licht am Ende des Tunnels ist derzeit nicht zu sehen: ausufernde Korruption, eine verfallende öffentliche Infrastruktur und Krankenhäuser, die durch die Pflege vieler Covid-19-Fälle vor dem Zusammenbruch stehen. Aufgrund der Zukunftslosigkeit haben bereits viele Pflegekräfte und Ärzte das Land verlassen oder planen es zumindest. Auch Lehrer an den katholischen Schulen kündigen, um auszuwandern, denn ihr Gehalt reicht nicht aus, um ihre Familien zu ernähren.

„Kirche in Not“ stellte im vergangenen Jahr rund 2,7 Millionen Euro für den Wiederaufbau von kirchlichen Gebäuden zur Verfügung. Die ersten Kirchen konnten bereits wieder renoviert werden und für Gottesdienste öffnen. Mehr als 2,2 Millionen Euro wurden an Nothilfe, die Beschaffung von Transportmitteln sowie die Unterstützung zum Lebensunterhalt und von Ordensleuten zur Verfügung gestellt. Insgesamt investierte „Kirche in Not“ 5,4 Millionen Euro für Hilfsprojekte im Libanon.

Mehr als 50 Prozent unter der Armutsgrenze

Weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in der Zwischenzeit unterhalb der Armutsgrenze. Am „Collège de la Sainte Famille Française“, einer weiterführenden Schule im gut 20 Kilometer von Beirut entfernten Jounieh, berichtet die Verwaltungsleiterin gegenüber Vertretern des Hilfswerks „Kirche in Not“, dass sie allein im Juni und Juli dieses Jahres etwa 20 Lehrer verloren habe. Sie wollen das Land verlassen, weil sie einfach nicht mehr über die Runden kommen. Der Grund: Die Kaufkraft ist drastisch gesunken. „Während vor der Krise ein Anfangsgehalt von 1525 Millionen Libanesischen Pfund ungefähr 1000 US-Dollar entsprach, sind es nach dem Einbruch des Libanesischen Pfunds heute nur noch 75 bis 80 US-Dollar“, erklärt Schwester Eva Abou Nassar. Dies sei einfach viel zu wenig.

Selbst Dinge des täglichen Bedarfs sind unerschwinglich geworden. Einige Beispiele: Eine Packung Kindermilch kostet 250.000 Libanesische Pfund. Die Miete für einen Stromgenerator beläuft sich auf 600.000 Pfund, und das bei einem monatlichen Mindestlohn von 675.000 Pfund. Das öffentliche Stromnetz wird nur zwei bis vier Stunden am Tag betrieben. Ersatzteile fürs Auto kosten zwei bis vier Monatsgehälter. Schwester Eva berichtet, dass Familien frühmorgens im Schutz der Dunkelheit in Mülltonnen nach Essen suchten, um nicht gesehen zu werden.

„Politik kümmert sich nicht um Bedürfnisse der Menschen“

Auf der Mauer an der Straße, die entlang des Hafens von Beirut verläuft, stehen die Namen der „Märtyrer“, die bei der Explosion am 4. August 2020 ums Leben gekommen sind. Auch einige bereits verblasste Fotos von Kindern sind dort zusehen. „Die Menschen sind es satt, dass das politische Establishment den Kuchen unter sich aufteilt und sich nicht um die Bedürfnisse der Bevölkerung kümmert“, sagt der Anwalt Wajih Raad. Auch ein Jahr nach der Katastrophe wirken die Stadtviertel wie tot: An zahlreichen Geschäften sind Eisengitter heruntergelassen, fast alle Restaurants, die die hier die Straßen säumten, sind geschlossen.

Auch wenn die Stimmung bedrückend sei und viele Libanesen das Land verlassen wollen, so blickt Wajih Raad hoffnungsvoll in die Zukunft. „Es wird einige Jahre dauern, aber wir werden es schaffen“, ist er sich sicher. Auch Pater Raymond Abdo, Provinzial der Unbeschuhten Karmeliten im Libanon, denkt positiv. „Papst Franziskus gibt uns die Hoffnung, dass wir dieser Krise trotzen können. Er ruft die Weltkirche auf, uns nicht fallen zu lassen. Der Papst wird die Kirche im Libanon nicht aufgeben. Warum sollten wir uns vor anderen fürchten, wenn wir an Jesus Christus glauben?“

„Papst Franziskus gibt uns die Hoffnung, dass wir dieser Krise trotzen können“

Papst Franziskus hatte Anfang Juli Kirchenführer aus dem Libanon zu einem Gebets- und Beratungs-Tag im Vatikan versammelt. 

(asianews/kirche in not - sst)

 

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03. August 2021, 09:33