Frankreich: Kirche in der Schockstarre
Vielleicht kann der weltweite synodale Prozess, den der Papst von Rom aus angestoßen hat und der am letzten Sonntag auch in den Bistümern in aller Welt begonnen hat, der französischen Kirche aus ihrer Schockstarre heraushelfen? Schließlich geht es bei der Weltsynode um Formen der Beteiligung aller Getauften an der Kirche. Zugespitzt gefragt: Können die Laien Frankreichs Kirche retten?
Pater Paul-Antoine Drouin war bis vor kurzem Generalvikar des Bistums Le Mans und arbeitet jetzt in einer Pfarrei des Bistums Nantes. Im Interview mit Radio Vatikan schildert er seine Sicht auf die jetzige Lage. Drouin spricht von einer für Priester besonders demütigenden und erschütternden Zeit, aus der jedoch – seiner Meinung nach – ein echter Prozess der Erneuerung und der Annäherung an Christus entstehen könnte.
Erschütternde Missbrauchs-Zahlen
„Zwölf Jahre lang bin ich immer wieder mal Missbrauchs-Opfern begegnet, die diese Begegnung mit einer Person brauchten, welche in der Kirche eine bestimmte Autorität hatte. Wir sollten unbedingt Wege finden, um den Opfern eine Stimme zu geben, auch in den Seminaren und an den Ausbildungsstätten, denn hier geht es um das Wesen des Evangeliums: Wie schaffen wir es, die Verwundeten, die Kleinen in den Mittelpunkt des Lebens der Kirche zu stellen? Dies ist die zentrale Frage, die unser christliches Leben bestimmen muss.“
Drouin ist erschüttert über das Ausmaß des Phänomens Missbrauch in der französischen Kirche. Ungefähr 216.000 Minderjährige sind, wie die unabhängige Kommission aufdeckte, seit den fünfziger Jahren zu Opfern sexueller Übergriffe durch Priester oder Ordensleute geworden. Die Zahl wächst auf etwa 330.000 Opfer, wenn man in den Kreis der Täter auch kirchliche Angestellte einbezieht.
„Es ist vor allem schockierend, dass diese pädokriminellen Handlungen so viele Opfer gefordert haben! Ich denke, dass die meisten meiner Mitbrüder darüber schockiert sind. Im Moment höre ich keinen, der sich dazu äußert – vielleicht weil angesichts einer solchen Katastrophe erst einmal Schweigen angezeigt ist.“
In seinem früheren Bistum Le Mans habe sich der Bischof mit Priestern getroffen, um über den Missbrauchs-Bericht zu reden. Auch in seinem jetzigen Bistum Nantes habe sich zuerst einmal der Bischof geäußert.
„Priester, Laien, Ordensleute sollten sich zusammensetzen“
„Und dann haben wir vor Ort, in der Gemeinde, unter den Priestern darüber gesprochen, aber wir wollten die Laien einbeziehen. Wir haben gesagt: Lasst uns reden! Jeder soll offen sprechen können, ohne aus seinem Herzen eine Mördergrube zu machen! Mir scheint, dass wir alle - Priester, Laien, Ordensleute – uns jetzt zusammensetzen müssten, um neue Wege zu finden.“
Das hört sich fast nach einem Synodalen Weg deutscher Couleur an. Aber so weit ist die französische Kirche noch nicht, und es ist überhaupt noch nicht klar, in welche Richtung sie jetzt denken wird.
Hoffnung auf ein „echtes Signal“ der Bischöfe
„Ich erinnere an den Brief, den Papst Franziskus im Sommer 2018 (anlässlich eines Missbrauchs-Berichtes in den USA, Anm.) geschrieben hat und in dem er das ganze Volk Gottes zum Handeln aufrief. Die Zeit, in der diese Probleme nur zwischen Bischöfen oder höchstens zwischen Bischöfen und Priestern gelöst wurden, ist vorbei.“
Die französischen Bischöfe werden sich bald zu ihrer Herbstvollversammlung im Marienwallfahrtsort Lourdes in den Pyrenäen treffen. Pater Drouin hofft, dass von dort ein „echtes Signal“ ausgehen wird.
„Wenn die Bischöfe in aller Bescheidenheit sagen würden: ‚Wir können dieses Problem nicht ohne euch lösen‘, d.h. ohne alle Berufungen der Kirche. Unsere Bischöfe haben großen Mut bewiesen, als sie den Missbrauchs-Bericht in Auftrag gegeben haben. Der Mut, den wir jetzt von ihnen verlangen, ist die Demut zu sagen: ‚Wir können dieses Problem nicht alleine bewältigen‘.“
Der Bericht der unabhängigen Kommission hat eine Reihe von ziemlich konkreten Empfehlungen aufgelistet. Sie laufen auf eine Neuordnung des kirchlichen Lebens hinaus, auf stärkere Mitverantwortung der Laien und eine gewisse De-Sakralisierung des Priesterbilds. Sollten sich Frankreichs Katholiken jetzt, in der diözesanen Phase der Weltsynode, mit diesen Ratschlägen beschäftigen?
Kommt jetzt der Synodale Weg à la francaise?
„Ich würde davon träumen, dass wir heute in unseren Bistümern noch vor der Vollversammlung der Bischöfe eine Synodenversammlung oder den Diözesanpastoralrat mit einer Mehrheit von Laien versammeln, um zu sagen, wie wir diese 45 Empfehlungen des Berichts aufnehmen. Dann würden unsere Bischöfe, bevor sie nach Lourdes fahren, schon die Meinung ihrer Mitarbeiter, der Laien, Priester und Ordensleute, kennen.“
Es ist für die Priester in Frankreich eine Zeit der Demütigung – auch wenn Drouin eher nicht von einer Zeit des „Kreuzes“ sprechen möchte.
Eine Zeit der Demütigung
„Da bin ich vorsichtig, wenn ich diesen Begriff verwende, denn wenn die Opfer ihn hören, kann das auch sehr heikel für sie sein… Der Kern der Sache – und ich glaube, dass der Heilige Vater uns seit Beginn seines Pontifikats darauf hinweist– ist die Rückkehr zum Evangelium, zum Geheimnis des Kreuzes, zum Geheimnis der Auferstehung, zur Inkarnation. Für uns Priester, denke ich, wird dies die große Reform unseres Lebens sein: ein inkarniertes Priestertum zu sein, inmitten der Männer und Frauen dieser Zeit.“
(vatican news – sk)
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