Suche

Demo zur Freilassung der birmanischen Politikerin Demo zur Freilassung der birmanischen Politikerin 

Myanmar: „Weitere Tür zum politischen Dialog geschlossen“

Mit Verurteilung der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi zu mehreren Jahren Haft schließt sich im Militär-Staat Myanmar eine weitere Tür zu politischem Dialog. Das sagt Margarethe Roßkopf vom Internationalen Katholischen Missionswerk missio.

Das Militär wolle die birmanische Politikerin, die sich seit mehr als zwei Jahrzehnten für eine gewaltfreie Demokratisierung ihres Heimatlandes einsetzt, mit dem Prozess als politische Kraft ausschalten und ihre Partei „Nationale Liga für Demokratie“ (NLD) „kaltstellen“, urteilt die missio-Asien-Expertin. Das Militär hatte am 1. Februar 2021 in Myanmar wieder komplett die Macht übernommen. Präsident Win Myent und Staatsrätin Aung San Suu Kyi wurden festgenommen und für ein Jahr der Notstand ausgerufen. An diesem Montag wurde Aung San Suu Kyi von einem Sondergericht der Militärregierung wegen angeblichem Gewaltaufruf und angeblichem Verstoß gegen COVID-19-Pandemie-Auflagen zu einer Haftstrafe verurteilt. 

Im Interview mit Radio Vatikan ordnet missio-Referentin Margarethe Roßkopf den Prozess gegen die Politikern ein. Sie schildert die aktuelle Notlage der Zivilbevölkerung in dem vom Militär kontrollierten Land und die historische Diskriminierung ethnischer Minderheiten in Myanmar. Und sie berichtet über die Versuche der christlichen Gemeinschaft vor Ort zu helfen – wo dies eben möglich ist. missio-Partner in Myanmar ist Kardinal Charles Maung Bo. Der Erzbischof von Yangon hat nach dem Putsch wie Papst Franziskus eindringliche Appelle zu einer politischen Lösung und für Frieden lanciert. 

Politische Opposition wird kaltgestellt

Radio Vatikan: Frau Roßkopf, mit deutlicher Kritik haben die Vereinten Nationen, die EU und Menschenrechtler auf die Verurteilung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi mehreren Jahren Haft am Montag reagiert. Wie bewerten Sie den Prozess, was steckt dahinter?

Margarethe Roßkopf (Asienexpertin missio): Der Prozess ist eigentlich eine Farce, das ist ein geheimes Verfahren vor einem Militärgericht ohne zugelassene Presse. Auch schon im Vorfeld bei den Vorbereitungen ging alles sehr stark unter Druck und sehr geheim zu. Der Prozess ist einhundert Prozent politisch motiviert, das sagen auch Stimmen aus der Region. Dabei geht es nicht nur um die Verweigerung der persönlichen Freiheit für Aung San Suu Kyi, sondern der Prozess schließt eigentlich eine weitere Tür zum politischen Dialog. Ein wichtiges Ziel ist es, Aung San Suu Kyi praktisch wegzusperren – zum einen natürlich, damit sie die Herrschaft des Militärs nicht weiter in Frage stellen kann. Zum anderen aber auch, um sie schlichtweg als wirkende und wirksame politische Kraft auszuschalten. Und das ist ja auch jetzt der erste Prozess von mehreren, die noch kommen sollen; die Liste der Vorwürfe gegen sie wird ja auch immer länger.

Radio Vatikan: Welche Perspektiven hat Aung San Suu Kyi jetzt?

Roßkopf: Aung San Suu Kyi ist jetzt 76 Jahre alt, das Urteil von vier Jahren wurde jetzt reduziert auf zwei Jahre immerhin. Aber wenn sie noch weitere Prozesse hat über viele weitere Vorwürfe – also wenn man annimmt, dass pro Vorwurf zwei Jahre rauskommen – dann ist sie bis weit über ihre 80er Jahre verurteilt und entweder in Haft oder in Hausarrest. Das bedeutet praktisch, dass sie selbst und auch ihre Partei NLD kaltgestellt sind. Und das ist für das Militär ein ganz, ganz wichtiges Ziel. Von daher gesehen ist die Frage schwierig zu beantworten, wie jetzt etwas Positives weitergehen kann.

Hier das Interview mit Frau Roßkopf von missio in voller Länge (Fragen: Anne Preckel, Radio Vatikan)

Papst traf 2017 General Min Aung Hlaing

Radio Vatikan: Papst Franziskus hat im November 2017 in Myanmar den damaligen Oberbefehlshaber der Armee und heutigem Juntachef, General Min Aung Hlaing, getroffen. Das Land befand sich nach Jahrzehnten der Militärdiktatur in einer fragilen politischen Phase der Demokratie, heute schlägt das Militär erneut Widerstand und Opposition gewaltsam nieder und scheint alle Friedensappelle zu ignorieren. Dennoch, wäre ein Dialogversuch mit dem Militär heute denkbar?

Roßmann: Das ist angesichts der gegebenen Umstände natürlich schwierig einzuschätzen. Also wenn ein solcher Dialog, wenn auch Vertrauen und geheim geführt zu etwas Positivem führen könnte, wäre ich natürlich sehr dafür. Doch in Bezug auf die Realität habe ich dazu meine Zweifel. Weil 2017 ja noch, wenn auch beeinträchtigt, eine demokratische Regierung im Amt war und gehandelt hat; das ist jetzt nicht der Fall. Das Militär hatte auch damals schon eine extreme Macht – das dürfen wir beim Betrachten all der Möglichkeiten von Aung San Suu Kyi nicht vergessen – , aber heute hat es die absolute Macht. Es haben sich ja international schon durchaus Kräfte bemüht, die ASEAN-Staaten zum Beispiel oder die UNO und die EU. Aber die praktischen Ergebnisse sind relativ gering, auch die Bemühungen der ASEAN- Staaten und ihre Vorschläge hat das Militär einfach ausgesessen. Ich würde mir wünschen, dass solche Bemühungen einen praktischen Nutzen und Erleichterungen für die Bevölkerung schaffen könnte, seien sie auch gering. Aber ich habe da meine Zweifel. Das wird sehr unterschiedlich gesehen; es gibt Stimmen die davon ausgehen oder befürchten, dass Myanmar sich sehr schnell auf einen sogenannten „failed state“ zubewegen würde – das wäre natürlich eine absolute Katastrophe.

Radio Vatikan: Bei den aktuellen Kämpfen zwischen Militär und Oppositionsvertretern geraten in verschiedenen Landesteilen auch Kirchenvertreter immer wieder zwischen die Fronten. Was hören Sie aktuell von ihren Partnern vor Ort zu deren Lage?

Roßkopf: Die Lage ist sehr, sehr schwierig. Denn es sind nicht nur die militärischen Auseinandersetzungen, sondern es grassiert ja auch die Corona-Pandemie mit katastrophalen Auswirkungen. Die schlimmsten Militäreinsätze konzentrieren sich auf Gebiete mit ethnischen Minderheiten. Da geht es ganz fürchterlich zu, da gibt es Flächenbombardements auf Dörfer, es werden Menschen vertrieben, die in die umliegenden Wälder flüchten müssen, ohne Versorgung und ohne oder alles und auch mit dem Risiko, sich mit dem Corona-Virus anzustecken. Die ethnischen Minderheiten in Myanmar kämpfen seit der Unabhängigkeit Ende der 1940er Jahre um ihre Bürgerrechte, um Respekt, Teilhabe und Lebensrechte, die ihnen seitdem weitgehend verwehrt werden. Natürlich haben viele von diesen ethnischen Minderheiten dann auch ethnische Armeen gebildet, die auf militärischem Weg versuchen, zu mehr Einfluss zu kommen oder die ihre Gebiete zumindest frei von Militäreinsätzen halten und ihre Leute schützen wollen.

Christen zwischen den Fronten

Radio Vatikan: Wie versucht sich die Ortskirche, die sich in Myanmar wesentlich auch durch ethnische Minderheiten speist, in dieser sehr schwierigen Situation zu verhalten?

Roßkopf: Das ist sehr unterschiedlich. Die Kirchenvertreter versuchen politisch gesehen möglichst neutral zu sein und mit allen Kräften zusammenzuarbeiten, die bereit sind zu kooperieren. Die Bischöfe standen immer auf der demokratischen Seite, aber sie sind natürlich in ihren jeweiligen Regionen direkt für die Menschen verantwortlich und versuchen dann, politische Fragen so weit wie möglich draußen zu halten. Sie versuchen in der Corona-Pandemie die Menschen zu unterstützen, über Priester und Schwestern oder den Versuch, Schutzausrüstung, Medikamente oder Sauerstoff zu kommen, der vom Militär nur an Militärangehörige reserviert wurde. Sie versuchen, auf kleinem Niveau das zu tun, was sie eben tun können. Am Schlimmsten sind die Menschen dran, die aus ihren Dörfern vertrieben wurden, die ohne Nahrung, Wasser, medizinische Versorgung leben müssen. Hier versucht man sehr niederschwellig zu helfen. In den letzten Tagen habe ich Berichte erhalten, wo man mir sagte: ,Wir müssen äußerst vorsichtig sein, wir müssen dies sehr diskret tun, weil wir ständig unter Beobachtung stehen.‘ Gerade auch die Christen, die in den meisten ethnischen Gebieten die Mehrheit stellen. Die Mehrheit der Christen, insgesamt sind es etwa 700.000 in Myanmar, ist übrigens protestantisch.

Radio Vatikan: Auch über Übergriffe auf Kirchenvertreter und kirchliche Strukturen wird mittlerweile immer häufiger berichtet.

Roßkopf: In der Erzdiözese Mandalay gab es etwa vor Kurzem massive Razzien des Militärs, sie wüteten in der Kathedrale, haben das Bischofshaus und ein katholisches Krankenhaus auf den Kopf gestellt, haben Patienten rausgeworfen, auch COVID-Erkrankte, und haben über Stunden gesucht, ob sie Unterlagen oder Geld finden. Sie haben Ärzte, auch Pflegepersonal verhaftet, weil sie denen vorgeworfen haben, der demokratischen Bewegung nahezustehen. Da ist man zunächst einmal fassungslos.

Margharete Roßkopf von missio
Margharete Roßkopf von missio

missio-Einsatz für Myanmar

Radio Vatikan: Wie versucht missio der Ortskirche zur Seite zu stehen und die Kirche in dieser sehr schwierigen Lage vor Ort zu unterstützen?

Roßkopf: Wo immer das möglich ist, versuchen unsere Partner zum einen, die von uns unterstützten Aktivitäten und Projekte umzusetzen, etwa in digitaler Form im Bereich Jugendarbeit oder Ausbildung. Oder es findet an einem sicheren Ort Unterricht in kleineren Gruppen statt, um das akademische Jahr zuendezubringen. (…) Darüber hinaus versuchen unsere Partner etwa, und da ist heikel, traumatisierten Familien zu helfen, die Verwandte verloren haben, Kinder, Jugendliche: Wie können wir diese Menschen unterstützen, unabhängig von Religion oder Ethnie, deren Dörfer zerstört wurden und die in die Wälder flüchten mussten, die keine Nahrung, keine medizinische Versorgung haben, die sehr schwer traumatisiert sind? Dann, was Corona betrifft, wo viele Pastoren und katholische Priester selbst am Virus starben: Wie kann man den Verstorbenen eine würdige Beerdigung ermöglichen, ohne sich selbst zu infizieren? Dann: die Leute hungern – wenn man sich die Daten vom Welternährungsprogramm ansieht, die sagen voraus, das bis Jahresende oder Anfang 2022 3,5 Millionen Menschen hungern werden in Myanmar, wo es ohnehin eine Ernährungskrise gibt. Da versuchen unsere Partner eben im kleinen Umfang zu helfen, sie versuchen es nach Kräften. Man spürt zum Teil, wie auf ganz kreative Weise hier gewirkt wird.

 

Die Fragen stellte Anne Preckel.

(vatican news – pr)
 

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

07. Dezember 2021, 13:54