Katholischer Priester auf Lesbos: Papstbesuch war „Tat der Solidarität"
Martin Schneeberger: Der Besuch des Papstes war eine Tat der Solidarität mit den Flüchtlingen. Ich habe den Papst gesehen auch in seiner körperlichen Schwäche, aber mit einer unwahrscheinlichen Ausstrahlung und Empathie für die Leute, denen er begegnet ist. Für mich ist es auch ein Aufruf an die Welt, vor allem an Europa, die Flüchtlinge nicht zu vergessen und sich nicht daran zu gewöhnen, dass es Flüchtlinge gibt.
Radio Vatikan: Sie waren nach dran bei der Begegnung zwischen Papst und Flüchtlingen. Was war zu spüren?
Martin Schneeberger: Wärme, Aufmerksamkeit, Andacht. Offenheit. Mich hat das auch emotional sehr berührt.
Radio Vatikan: Und wie haben es die Menschen erlebt, für die Sie Seelsorger sind?
Martin Schneeberger: Die meisten wissen gar nicht, wer der Papst ist. Das sind Afghanen (und andere). Aber die Leute, die ich gesprochen habe, waren schon berührt über das Auftreten des Papstes und dass er die Mühe auf sich nimmt, zu ihnen zu kommen und die Aufmerksamkeit auf das Schicksal der Flüchtlinge wendet.
Radio Vatikan: Papst Franziskus hat bisher in seinem Pontifikat nur ein einziges Land zweimal besucht, und das war Griechenland. Genauer gesagt: Er war zwei Mal auf Lesbos. Was bedeutet das in Ihren Augen?
Martin Schneeberger: Dass die Situation auf Lesbos und die Situation der Flüchtlinge eine hohe Priorität für den Heiligen Vater hat. Ich habe auch verstanden - er war von der griechischen Regierung eingeladen -, dass er gesagt hat, wenn ich in Griechenland bin, will ich auf jeden Fall nach Lesbos. Ein Zeichen, dass der Papst den ersten Besuch nicht vergessen hat und deswegen aufs Neue das Anliegen der Flüchtlinge auf die Karte bringen wollte. Ich habe gemerkt bei seiner Ansprache, dass ihn das alles nicht kalt lässt. Das war aus dem Herzen gesprochen, obwohl es auf dem Papier stand.
Radio Vatikan: Welches Interesse hat die griechische Regierung daran, dass Franziskus ein zweites Mal nach Lesbos kam? Die griechische Staatspräsidentin hat ihn diesmal ja sogar begleitet.
Martin Schneeberger: Man will halt zeigen, dass es nicht mehr so schlimm ist. Die Umstände im Lager sind besser, es sind jetzt Container, wo früher – vor dem Brand – Zelte waren. Die Sanitäranlagen und Toiletten sind besser. Aber die Lager sind mehr geschlossen, es sind eher Gefängnisse. Auf den ersten Blick sieht das besser aus, aber in Wirklichkeit haben die Leute weniger Freiheit.
Radio Vatikan: Wie sieht Ihr Dienst als Priester an den geflüchteten Menschen auf Lesbos aus?
Martin Schneeberger: Da muss man unterscheiden vor und nach dem Brand und auch vor und nach Covid. Vor Covid bin ich jeden Tag ins Camp gefahren und habe da mit einer NGO gearbeitet, da kamen Menschen, die in seelischer Not waren, die wurden mir von den Ärzten zugewiesen. Ich habe jeden Tag mit Menschen gesprochen. Aber diese NGOs sind nicht mehr im Lager. Jetzt ist es so, dass Menschen, die mich kennen, mich kontaktieren, mit denen mache ich einen Termin zum Spazieren oder wir treffen uns im Garten der Kirche oder in der Sakristei und begegnen uns da.
Die andere Geschichte sind die sonntäglichen Gottesdienste. Wir hatten immer sonntags um 11 Uhr den Gottesdienst. Jetzt darf aber am Sonntag kein Flüchtling mehr aus dem Lager. Dann haben wir uns entschlossen, einen zweiten Gottesdienst anzubieten am Samstagnachmittag um 3 Uhr. Da haben wir jetzt eine Heilige Messe in Englisch und Französisch, die dann durch die Leute vom Lager besucht wird. Und Sonntagmorgen um 11 Uhr eine zweite Messe, die wird besucht von den Flüchtlingen, die in der Stadt (Mytilene) wohnen.
Radio Vatikan: Was sind das für Menschen?
Martin Schneeberger: Der größte Teil unserer Gottesdienstbesucher sind Afrikaner, viele aus dem Kongo. Es gibt auch einige Syrer, Iraner, die katholisch oder christlich sind. Männer, Frauen, Kinder. Die meisten sind junge Leute um die 20.
Radio Vatikan: Was lernen Sie von den Geflüchteten?
Martin Schneeberger: Dass das Leben nicht planbar ist. Heute ist der Tag. Nicht morgen und nicht gestern... Und dass man heute das Beste draus machen muss. Das Andere ist: diese Afrikaner leben wirklich mit sehr viel Zuversicht und Hoffnung. Auch in hoffnungslosen Situationen vertrauen sie darauf, dass es Zukunft gibt.
Radio Vatikan: Wie kam es eigentlich, dass Sie als niederländischer katholischer Priester sich um geflüchtete Menschen auf Lesbos kümmern?
Martin Schneeberger: Ich war hier 2016 auf Urlaub und habe gesehen, was hier los war. Dann habe ich angefangen, am Sonntag für die Leute die heilige Messe zu feiern, während meines Urlaubs. 2020 im Januar war ich im Vorruhestand und dachte mir, wie kannst du deinen Lebensabend fruchtbar gestalten? Da dachte ich: Ich fahre nach Lesbos für drei Monate und schaue, wie sich das entwickelt. Nach drei Monaten wollte ich zurück, aber es ging nicht wegen Covid. Seither bin ich geblieben mit kleinen Unterbrechungen, meine Familie und Freunde in Amsterdam zu besuchen.
Radio Vatikan: Und wollen Sie bleiben?
Martin Schneeberger: Ich will bleiben, ja. Solange es Flüchtlinge gibt, so lange ich etwas für sie bedeuten kann, will ich bleiben.
(vatican news – gs)
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