Zypern: Wie „Religious Track“ ein Teil des Friedensprozesses wurde
Christine Seuss - Nikosia/Vatikanstadt
Papst Franziskus traf die Gruppe während seines Zypernaufenthaltes und ermutigte sie, in ihrem Einsatz für Friedensförderung und Versöhnung im geteilten Zypern hartnäckig zu bleiben.
Alles begann mit dem Referendum 2004, in dem die beiden Volksgruppen der Insel an die Urnen gerufen waren. Sie sollten über eine Einigung abzustimmen, die auf Grundlage eines von Kofi Annan erarbeiteten Plans zu einer Wiedervereinigung Zyperns beruhte. Allerdings erteilte vor allem der griechische Süden dem Plan eine deutliche Absage, rund 76 Prozent der abstimmungsberechtigten (griechisch-zyprischen) Bewohner im Süden stimmten dagegen, während eine Mehrheit im türkisch besetzten Nordteil (65 Prozent) dafür stimmte. Ungeachtet des Abstimmungsergebnisses wurde der Südteil der Insel am 1. Mai 2004 EU-Vollmitglied.
Doch warum stimmten die Zyprer im Süden so deutlich gegen den Plan, der der rechtlichen Unsicherheit und der de facto-Teilung der Insel ein Ende bereitet hätte? Diese Frage trieb Salpy Eskidjian sowohl im Vorfeld der Abstimmung, als die Vorbehalte in der Bevölkerung bereits deutlich wurden, als auch danach um. Sie arbeitete damals im Weltrat der Kirchen, wo auch Zypern zu ihrem Portfolio gehörte, und sollte eine Empfehlung dafür erarbeiten, welche Stellung das kirchenübergreifende Gremium in der Frage offiziell einnehmen sollte. Sie ackerte sich also durch den 80-seitigen Vertragsentwurf, wobei sie auf mehrere Punkte stieß, die sie nachdenklich machten, erinnert sie sich im Gespräch mit Radio Vatikan.
Eine wichtige Erkenntnis in der Friedensforschung ist es, die Interessensvertreter oder „Stakeholder“ frühzeitig zu identifizieren, die in den Prozess eingebunden werden müssen. Doch niemand dachte zu dieser Zeit daran, auch die Kirche einzubinden: „Und es war schockierend für mich zu entdecken, dass weder die Kirche von Zypern noch Religionsvertreter einbezogen worden waren, dass keiner mit ihnen gesprochen hatte, weder einzeln noch als Gruppe. Wir sagen immer, wenn du nicht mit am Verhandlungstisch sitzt oder auf die eine oder andere Weise von den Verhandlungsführern um deine Meinung gefragt wirst, dann ist es keine Überraschung, wenn du dem Abkommen nicht vertraust.“ Die Mehrheit der orthodoxen Kirche Zyperns, auch die Bischöfe, stimmte mit „Nein“, ja, mehr als das, die orthodoxen religiösen Führer forderten auch die Gläubigen auf, mit Nein zu stimmen. Diejenigen, die für den Vertrag waren oder mit „JA“ stimmten, taten dies nicht öffentlich kund, fand Eskidjian später heraus.
Analog dazu hätten auch die Frauen mehrheitlich mit Nein gestimmt, analysierten die Fachleute später. „Warum? Weil sie kein Teil davon waren!“, lautet die lapidare Antwort von Salpy Eskidjian. Die Dinge, die ihnen am Herzen gelegen seien, hätten sie in dem Abkommen einfach nicht behandelt gesehen, während sie die politischen und wirtschaftlichen Winkelzüge darin nicht ausreichend verstanden hätten. Denn die Verantwortlichen hätten hier einen schweren Fehler gemacht, betont die rührige Friedensstifterin:
„Eine andere schockierende Erkenntnis war es, dass die Annahme bestand, dass das Friedensagreement nur von den beiden Führern akzeptiert werden müsste, dann von oben nach unten tröpfeln und die Versöhnung erreicht würde. Das ist nicht die Art und Weise, wie man eine nationale Versöhnung erreicht. Kein Friedensabkommen wird jemals absolute Gerechtigkeit für beide Seiten bringen, denn es müssen Kompromisse geschlossen werden.“
Bei „allem Respekt“ für die diplomatischen Bemühungen auf höchsten Ebenen im „Track Number 1“ habe es jedoch keine konkreten flankierenden Beratungen und Konsultationen mit anderen „Tracks“ wie Nichtregierungsorganisationen oder der Zivilgesellschaft, insbesondere mit glaubensbasierten Institutionen sowie religiösen Führern und Gemeinschaften gegeben, gibt Eskidjian Einblick in die Sprache und Vorgehensweise der friedensbildenden internationalen Abkommen. Zum fraglichen Zeitpunkt war auch die Zivilgesellschaft in all ihren verschiedenen Formierungen noch lange nicht so organisiert, wie sie das vielleicht heutzutage sei, betont sie.
„Religionen und Religionsvertreter wurden an die Seitenlinie verbannt, und man kann sich vorstellen, wohin das geführt hat.“ Gleichwohl handele es sich bei dem Zypernkonflikt nicht um einen Religionskonflikt, so Salpy Eskidijan. „Es ist ein politischer Konflikt, ja, aber Religion ist ein Opfer in diesem Prozess und religiöse Freiheit wird nicht vollständig respektiert. Und das muss auch berücksichtigt werden.“
Besonders deutlich werde dies dann, wenn den Religionsgemeinschaften Besitztümer entzogen und anderweitig vergeben würden – wie dies im Fall zahlreicher Kirchen und Moscheen beziehungsweise anderer religiöser Orte geschehen sei. „Man kann nicht einfach sagen, ok, diese Kirche gebe ich einer Theatergruppe, oder ich verwandele sie in einen Stall oder eine Lagerhalle – und diese Moschee mache ich zu einem Kulturzentrum, einem Museum, oder sperre sie zu, nur weil du denkst, das kannst du. Wenn schon, dann muss man wenigstens dafür sorgen, dass die Religionsgemeinschaften einbezogen werden.“ Besonders schlimm sei es beispielsweise für Bewohner, die aus ihren Dörfern vertrieben worden seien, zu sehen, wie ihre Friedhöfe sich selbst überlassen und nicht mehr gepflegt würden – bis zu dem Punkt, dass Knochen aus den Gräbern ragen…
„Kultorte und Friedhöfe werden von den Gläubigen als heilige Orte angesehen und können nicht einfach profaniert oder dem Verfall überlassen werden. Der Friedensprozess kann dies nicht mehr ignorieren, weil dies ein Hindernis für den Aufbau von Vertrauen ist. Nicht zu respektieren, was heilig für eine Gemeinschaft ist, heißt, sie selbst nicht zu respektieren. Dies und die religiösen Führer zu ignorieren, schadet nur dem Prozess. 2004 haben wir bemerkt, dass die Religionsführer oder Glaubensgemeinschaften nicht nur nicht von der internationalen Gemeinschaft in den Friedensprozess einbezogen wurden, sondern auch, dass in der jüngeren Geschichte Zyperns christliche und muslimische Religionsführer nie an einem Tisch gesessen sind, um miteinander zu reden und zu arbeiten.“
Da sei es für sie klar gewesen, dass Handlungsbedarf bestehe, betont Eskidjian, die dabei Unterstützung der Schwedischen Botschaft in Nikosia und durch die religiösen Sozialdemokraten Schwedens erhielt. Nicht nur wegen ihrer „Schweden-Connection“, sondern auch weil Schweden als bekannt neutrales Terrain ohne Kolonialvergangenheit in Zypern und als Land, das sich für Menschenrechte und internationales Recht einsetzt, einen neutralen Rahmen bot, in dem Vertrauen wachsen konnte.
Keine theologischen Fragen auf dem Tisch
„Religious Track“ war eigentlich der Arbeitstitel der Initiative, in Anlehnung an den politischen „Track Number One“, gesteht Eskidjian ein, doch am Ende sei es bei diesem Namen geblieben. Zwar sei der Religious Track interreligiös aufgestellt, doch „theologische Fragen werden bei uns nicht diskutiert“, erläutert die Friedensaktivistin.
„Es ist ein Raum, in dem die Religionsführer zusammenkommen, um über Frieden und Versöhnung zu diskutieren, um zu erörtern, ob sie sich gegenseitig genug anerkennen, um ein gemeinsames Zeugnis abzulegen und für die Religionsfreiheit einzutreten.“ Anfangs sei alles sehr langsam gegangen, und viele Rückschläge mussten verkraftet werden, lässt Eskidjian, selbst Enkelin armenisch orthodoxer Migranten, die ersten Jahre Revue passieren. „Wie Papst Franziskus auch beim Treffen mit den Migranten in Nikosia sagte, es braucht viel Geduld, und auch wir mussten sehr geduldig sein. Friedensförderung ist ein sehr langsamer Prozess ohne große Schau, manchmal scheint es einen Schritt voran zu gehen und zwei zurück…“
Langsame Fortschritte
Mittlerweile habe es jedoch deutlich sichtbare Fortschritte gegeben, so hätten die Religionsführer bereits einige gemeinsame Statements zur Zypern-Frage, aber auch zu Fragen wie Gewalt gegen Frauen, vermisste Personen (ein besonders sensibles Thema auf Zypern im Zusammenhang mit den Zusammenstößen von 1974), und bei der würdigen Behandlung von Migranten abgegeben, neben anderen. Doch viel bleibe auch noch zu tun, so die rührige Aktivistin, die es jedoch vorzieht, den Religionsführern das Terrain zu bereiten, auf dem sie selbst ihre Stellungnahmen ausformulieren und gemeinsam tätig werden können.
„Ich glaube leidenschaftlich an das, was ich tue, aber es ist das, was sich die religiösen Führer zu eigen gemacht haben. Sie tun es, und sie tun es gemeinsam. Zum ersten Mal in der modernen Geschichte Zyperns sehen wir ein gemeinsames Zeugnis.“ Ein Zeugnis, das auch dank des Papstbesuches und seiner Aufmerksamkeit für die Belange des Landes internationale Aufmerksamkeit erhalten hat.
Hintergrund
Salpy Eskidjian Weiderud ist seit 2012 geschäftsführende Leiterin des Büros für die religiöse Schiene des Zypern-Friedensprozesses („Religious Track“). Nach einem stillen Beginn ab 2009 ist Religious Track nun eine aktive friedensfördernde Initiative, die auf vier Säulen beruht: Kennenlernen und Vertrauensbildung zwischen den religiösen Führern und den jeweiligen Glaubensgemeinschaften; Förderung vertrauensbildender Maßnahmen und Versöhnung; Eintreten für das Recht auf freien Zugang zu Kirchen, Moscheen und Klöstern; und Gewährleistung des Schutzes aller religiösen Denkmäler in Zypern.
(vatican news - cs)
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