Nuntius in Kiew: „Humanitären Korridor für Waisenkinder erwirkt“
In der Nuntiatur in der ukrainischen Hauptstadt muss auch der Vatikandiplomat bei Bombenalarm regelmäßig mit seinen Mitarbeitern im Keller Schutz suchen. Erzbischof Kulbokas denkt aber gar nicht daran zu gehen – es gebe vor Ort viel zu tun, berichtete der aus Litauen stammende Kirchenmann am Donnerstagb im Interview mit Radio Horeb.
Radio Horeb: Herr Erzbischof Kulbokas, Kiew wird seit fast zwei Wochen bombardiert. Wenn man die Nachrichten aus der Ukraine sieht, dann scheint es immer schlimmer zu werden. Wie geht es Ihnen und Ihren Mitarbeitern?
Nuntius Kulbokas: Zumindest für den Moment gab es für die Gegend, wo die Nuntiatur steht, keine direkte Bombardierung, abgesehen von den leichten Kämpfen. Hier gibt es nicht die schlimmsten Schäden.
Radio Horeb: Man hat Papst Franziskus beim Angelus am letzten Sonntag betont, wie sehr ihn die Situation nahegeht, wie er mitleidet. Als Nuntius sind Sie der Botschafter des Heiligen Stuhls in Kiew. Stehen Sie jetzt im direkten, regelmäßigen Kontakt mit dem Vatikan?
Nuntius Kulbokas: Von morgens bis abends sind wir mit den Vorgesetzten des Heiligen Stuhls in Kontakt. Es gibt da immer verschiedene Fragen, und ich werde jetzt einige Beispiele nennen. Wir versuchen, in dieser Situation humanitäre Hilfe zu leisten. Wie Sie wissen, hat Papst Franziskus jetzt zwei Kardinäle in die Ukraine geschickt, Kardinal Czerny und Kardinal Krajewski. Kardinal Krajewski ist seit gestern (Mittwoch, Anm. d. Red.) in der Ukraine, im Westen des Landes. Wir sind mit ihm verbunden. Vor einer Stunde (am Donnerstag, Anm.) hat er sich getroffen mit dem Rat der Kirchen und der Organisation der Orden. Sie haben ein besonderes Gebet für den Frieden in der Ukraine gebetet. Es wurde als Gebet von neun christlichen Kirchen verfasst, von Orthodoxen, Protestanten und Katholiken zusammen. Das ist ein starkes Zeichen für die Einheit der Kirchen in dieser Situation momentan.
Radio Horeb: Was bedeutet es für Sie, dass Papst zwei Kardinäle in die Ukraine entsandt hat? Wie arbeiten Sie in der Kriegssituation jetzt zusammen?
Nuntius Kulbokas: Auch ich als Nuntius jetzt in Kiew fühle mich jetzt stärker wegen der Anwesenheit des Kardinal Krajewski, auch wenn er so viele Kilometer von mir entfernt ist. Wir arbeiten jetzt eng zusammen für das, was am nötigsten ist, was jetzt am dringendsten ist. Ich gebe ein konkretes Beispiel: Vor zwei Tagen am Abend haben wir von einem Waisenhaus gehört, dreißig Kilometer von Kiew entfernt, das seit mehreren Tagen in einer ganz schwierigen Situation ist. 50 Kinder sind dort, im Alter von einem Monat bis fünf Jahren. Und seit drei Tagen waren sie ohne Licht und ohne Heizung. Über das Staatssekretariat haben wir die russischen Behörden aufgefordert, dringend einen humanitären Korridor einzurichten. Und während wir noch darum gebeten haben, dass es diesen Korridor gibt, wurde der auch geöffnet dank dieser Zusammenarbeit, diesem gemeinsamen Gespräch zwischen Ukraine und Russland. Aber der Kardinal Krajewski hat mir gesagt: Wenn du siehst, dass dieser humanitäre Korridor nicht möglich ist, dann werde ich höchstpersönlich zu diesen Kindern gehen. Wenn sie dann bombardieren, dann können wir sagen, sie haben jemanden bombardiert, der vom Papst persönlich gesandt worden ist. Das ist ein ganz konkretes Beispiel, wie sehr es Papst Franziskus am Herzen liegt, dem ukrainischen Volk zu helfen.
Radio Horeb: Die Lage der Kinder in der Kriegssituation ist besonders schrecklich…
Nuntius Kulbokas: Wenn wir hier in der Nuntiatur jeden Morgen die Messe feiern, ist unser Hauptanliegen das Gebet für die Kinder. Aktuell versuchen wir, Hilfe auch für andere Waisenhäuser zu organisieren. Das nimmt viel Zeit in Anspruch. Manchmal sind es Stunden, auch Tage, die wir dafür investieren. Aber die Zeit nehmen wir uns, gemeinsam mit den Organisationen aus der Ukraine, die sich für die Verteidigung der Kinderrechte einsetzen. Das bin jetzt nicht ich in erster Linie, sondern das ist zusammen mit vielen anderen Organisationen, die sich für die Kinder einsetzen. Und wenn es ganz schwierige Situationen sind, dann bitten die um die Hilfe des Heiligen Stuhls. Das ist eine Arbeit, die sehr berührt, die uns bewegt, in die wir uns ganz hineinbegeben. Es treibt uns Tränen in die Augen, wenn wir sehen, wie diese Kinder dort leben, in was für einer Situation - und wenn man sie dann in andere Häuser bringen kann. Es gibt sehr viel zu tun, sehr viel Arbeit gerade. Aber ich möchte wiederholen für alle Ihre Zuhörer: Euer Gebet und eure Nähe, die spüren wir hier sehr stark. Das ist fast materiell greifbar.
Radio Horeb: Wie ist die Reaktion der Ukrainer darauf, dass die zwei Kardinäle, die vom Papst gesandt sind, jetzt in der Ukraine sind?
Nuntius Kulbokas: Das wird sehr geschätzt. Ich habe sehr viele E-Mails und Nachrichten bekommen, die diesen tiefen Dank ausdrücken.
Radio Horeb: Papst Franziskus und Kardinal Parolin haben angeboten, bei Friedensverhandlungen zu vermitteln. Wie könnte das aussehen?
Nuntius Kulbokas: Diese Vermittlung könnte nur geschehen, wenn das beide Seiten akzeptieren würden. Wir haben keinerlei Möglichkeit, diesen Vorschlag jetzt aufzudrücken. Aber von uns aus wäre natürlich die volle Verfügbarkeit da, oder dass wir das tun könnten. Wenn wir dienen können, dann sind wir bereit dazu.
Radio Horeb: Wie versucht die Kirche, die Menschen in der Ukraine zu unterstützen?
Nuntius Kulbokas: Alle Pfarreien - und nicht nur die katholischen, sondern auch orthodoxe und andere – leisten humanitäre Hilfe. Normalerweise versuchen alle Priester, in den Kellern und Luftschutzkellern die Messe zu feiern für das Volk. Und es gibt Hilfen, die man versucht nach Kiew zu bringen, sowohl intern von der Ukraine aus als auch international vom Ausland her. Das sieht so aus, dass zum Beispiel ein LKW in eine Pfarrei oder Organisation kommt und von dort aus versucht wird, die Hilfsmittel zu verteilen in die anderen Pfarreien. Es gibt so eine starke Solidarität momentan. Es passiert auch, dass die Nuntiatur zum Zwischenlager wird. Zum Beispiel, wenn die Caritas vorbeikommt, dann lässt sie auch in der Nuntiatur Sachen, also Milch oder Windeln oder anderes. Es wurde so ein Netz geknüpft, das praktisch versucht, überall Hilfe zu leisten.
(radio horeb/vatican news – pr)
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