Vergebung für Putin?
„Erst wenn das Feuer eingestellt wird, erst wenn es Frieden gibt und nicht nur einen Waffenstillstand – erst dann wird es möglich sein, von Vergebung zu sprechen“, sagt er im Interview mit Radio Vatikan. „Es wird ein langer Weg sein, drei oder vier Generationen lang.“
Interview
Wie erleben Sie als Seelsorger und als Ukrainer diese mehr als zwei Monate Krieg?
„In den ersten Tagen des Konflikts war es schwer zu glauben und zu akzeptieren, dass es im 21. Jahrhundert immer noch Krieg gibt und dass dies in meinem Land und mit meinem Volk geschieht. Dann habe ich mir sofort die Frage gestellt: Was kann ich tun? Ich beschloss, bei den Menschen [den Soldaten, den vielen zivilen Freiwilligen] zu sein, die jetzt auf das Wort Gottes und geistlichen Beistand warten. Die Aufgabe des Seelsorgers ist es, zuzuhören, die Messe zu feiern, die Beichte zu hören, Mut zu machen und bei diesen Menschen zu sein. Sie wissen, wofür sie kämpfen: für ihre Familie. Sie sind bereit, alles zu geben, um sich zu verteidigen. Es ist auch wichtig, den älteren Menschen, die die schweren Bombardierungen überlebt haben, nahe zu sein, damit sich niemand allein fühlt.“
Sie haben jetzt an einem Treffen mit dem Papst in Rom teilgenommen. Dabei hat Franziskus die „Missionare der Barmherzigkeit“ aufgefordert, ein konkretes Zeichen der göttlichen Barmherzigkeit zu setzen. Was bedeuten Barmherzigkeit und Vergebung im Krieg?
„Vor der Vergebung kommt der Dialog. Vergebung muss akzeptiert werden. Vergebung ist ein langer Weg. Für mich ist es schwierig, jetzt über Vergebung zu sprechen, wenn immer noch Bomben fallen, wenn immer noch Kinder getötet werden, wenn unsere Städte immer noch bombardiert werden! Erst wenn das Feuer eingestellt wird, erst wenn es Frieden gibt und nicht nur einen Waffenstillstand – erst dann wird es möglich sein, von Vergebung zu sprechen, aber es wird ein langer Weg von drei oder vier Generationen sein. Es ist wirklich sehr schwer zu vergeben, was Frauen und Kinder erlitten haben. Ja, wir Christen müssen über Vergebung sprechen, aber wir dürfen dieses Wort nicht überstrapazieren, denn Vergebung ist Verantwortung. Es ist ein langer Prozess der Heilung für die Seele erforderlich.“
Können Sie Soldaten gegenüber von der Barmherzigkeit Gottes sprechen?
„Ja, das kann ich. Barmherzigkeit bedeutet, dass Soldaten gebeten werden, nach Möglichkeit nicht zu töten. Wenn man an der vordersten Front steht, ist das nicht einfach. Ich sage ihnen, sie sollen das Land verteidigen. Auch das ist Barmherzigkeit: ihre Häuser und Familien zu verteidigen. Es gibt so viele Wunder, die diese Jungs in den letzten zwei Monaten erlebt haben: Sie fragen sich zum Beispiel, wie es möglich ist, dass sie inmitten von so viel Zerstörung noch am Leben sind. Die Barmherzigkeit Gottes besteht hier in seiner Gegenwart und seinem Schutz.“
Trotz der Dunkelheit des Krieges gibt es auch viele Geschichten der Solidarität und des Willkommens – was braucht das ukrainische Volk heute?
„Ich glaube, dass es eine solche Einheit und Solidarität in der Ukraine noch nie gegeben hat. Ich danke den Menschen im westlichen Ausland für alles, was sie tun. Wir brauchen Solidarität, Nähe, aber wir müssen auch nach der Wahrheit suchen. Der Feind versteckt sich hinter vielen Lügen und Propaganda. Die Wahrheit schreit – wir dürfen keine Angst haben, die Wahrheit zu sagen, auch wenn das den Verlust materieller Sicherheit bedeutet. Hinter einer unausgesprochenen Wahrheit steht immer jemand, der sein Leben gibt. Und wenn das geschieht, ist man mitverantwortlich am Tod eines Unschuldigen…
Ich möchte Ihnen auch für die Hilfe für das Militär danken. Wir verteidigen unser Land. Freiheit ist nicht nur ein Wort, sondern eine Verantwortung. Und dafür muss man bereit sein, nicht nur einen kleinen Teil seines Lebens zu geben, sondern manchmal sein ganzes Leben.“
Wie erleben Sie die Kirche in diesem Krieg?
„Schon in den ersten Tagen seines Pontifikats hat der Papst einmal gesagt, dass Priester den Geruch der Schafe haben sollten. Und jetzt hat die Kirche in der Ukraine diesen Geruch: den Geruch von Feuer, den Geruch von Krieg. Das lässt sich kaum mit Worten erklären. Mit einem Diakon kamen wir in der Nähe von Donezk vorbei, da haben wir den Geruch des Krieges buchstäblich gerochen. Der Geruch des Todes kann nicht erklärt werden. In Butscha, in Hostomel stinkt es nach Feuer; in Tschernihiw riecht es nach Verlassenheit, alles ist zerstört. Die armen alten Menschen sind allein. Eine Person konnte sich seit fünf Tagen nicht mehr bewegen, niemand konnte ihr helfen. Zum Trinken konnte sie nur Wasser aus den Heizkörpern holen. Sie hat aber überlebt. Jede Stadt hat ihren eigenen Geruch des Leidens. Das kann man nicht beschreiben…“
Wie spürbar ist Hoffnung im ukrainischen Volk?
„Wir wissen nicht, wie lange dieser Kreuzweg für die Ukraine dauern wird. Für uns ist immer noch Fastenzeit, auch wenn wir ‚Christus ist auferstanden‘ singen. Dennoch halten wir die Hoffnung weiter aufrecht. Was wir tun, tun wir nicht, um Spiele zu spielen, weil wir nichts anderes zu tun hätten. Sondern weil es unsere Pflicht ist. Die Menschen sind erschöpft, aber sie haben Vertrauen zu Gott und zu den Menschen um sie herum. Ein Soldat von der Krim, dessen ganze Familie aus Atheisten besteht, wollte alle Sakramente empfangen, bevor er in den Kampf zog. Eine Woche lang hat er sich so gut vorbereitet – so eine Dankbarkeit erlebt man selten. Für ihn waren die Sakramente wirklich ein Geschenk. Ich bin ein Zeuge davon. Lasst uns hoffen, dass wir eines Tages singen können, dass wir mit ihm auferstanden sind.“
(vatican news – sk)
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