Ukraine: Ein Kloster für Flüchtlinge
Stefan von Kempis mit Mariusz Krawiec SSP und Svitlana Duckhovych – Vatikanstadt
Die Ordensfrauen von Solonka am Stadtrand der westukrainischen Metropole Lemberg haben die Pforten des Klosters geöffnet: In einem Teil ihrer Anlage, die zuvor für Außenstehende gesperrt war, dürfen nun Flüchtlinge leben, Binnenflüchtlinge aus anderen Teilen der Ukraine.
Dabei sind die Benediktinerinnen, die ihr Kloster vor einem Jahr direkt an der Ringautobahn von Lemberg begründet haben, eigentlich kontemplativ ausgerichtet. Die Kapläne des Klosters sind Benediktinerpatres, auch sie kümmern sich um die Frauen und Kinder, die in der Regel aus dem Osten und der Mitte des Landes geflohen und von denen viele orthodoxen Glaubens sind.
Spielende Kinder im Kreuzgang
„Jetzt leben wir mit Flüchtlingen zusammen“, erzählt der Benediktiner Efrem Michalski. „Sie belegen unter anderem unser Refektorium, wir laden sie zum Gebet ein. Ich kann mir nur noch schwer vorstellen, wie das Kloster ohne spielende Kinder im Kreuzgang aussehen würde… Sie laufen dort herum, lachen, aber weinen auch – denn leider kommt manchmal die Nachricht, dass ein Vater, ein Bruder im Kampf gefallen ist. Trotzdem versucht unser Kloster, seinen Rhythmus beizubehalten, indem wir den Raum und das Essen mit allen teilen, die zu uns kommen.“
Auch die Benediktinerinnen des Klosters Zhytomyr, aus dem die Schwestern in den ersten Kriegswochen evakuiert werden mussten, haben im Lemberger Kloster Zuflucht gefunden. Im März besuchte der päpstliche Gesandte, Kardinal Konrad Krajewski, das Kloster Solonka und traf dort mit Flüchtlingen zusammen.
„Unsere Gemeinden, unsere Klöster, unsere Pfarreien sind auch zu großen Sozialzentren geworden“ – das sagt uns in einem Telefongespräch der griechisch-katholische Weihbischof von Lemberg Wolodymyr Hruza. „Jeder Pfarrer hat ja seine Strukturen: Caritas, verschiedene Gemeinschaften, Gebetsgruppen – und dadurch kann man den Menschen helfen. Ich freue mich sehr für die Kirche, weil die Kirche wirklich dient.“
Was die Ökumene betrifft, rücken die Christen angesichts der Kriegsgefahr und der Flüchtlingszüge zusammen. Sie fühlen sich jetzt „ganz neu verbunden“, erzählt der Bischof. „Wir schauen, wie wir gemeinsam den Menschen helfen können, vor allem den Menschen, die in Not sind.“ Lemberg sei ein wichtiges Durchgangszentrum für Flüchtlinge; viele wollten hier ausharren und, sobald das möglich sei, dann wieder in ihre Region zurückkehren. „Und einige werden auch hier bleiben – sie werden versuchen, Arbeit zu finden, Wohnungen zu finden. Das ist wichtig, damit sie sich hier inkulturieren können.“
„Christen sollten ihren Regierungen die Wahrheit über diesen Krieg erzählen“
Weihbischof Hruza ist dankbar für das Gebet und die Solidarität von Menschen aus Deutschland und anderen westlichen Ländern. „Wir bekommen Hilfe von Hilfsorganisationen, von verschiedenen Diözesen, kirchlichen Strukturen…“
Er hat aber auch eine Bitte auf dem Herzen: „Dass Christen vor allem ihren Regierungen die Wahrheit über diesen Krieg erzählen! Die Ereignisse von Butscha sind nicht nur ein Verstoß gegen Menschenrechte, sondern auch ein Verstoß gegen jede menschliche Würde. Da wurden Menschen sogar der Würde beraubt, menschlich begraben zu werden…“ Daraus solle man doch „gewisse Folgerungen ziehen“.
Wo der Lemberger Weihbischof noch sehr abgewogen formuliert, wird Pater Waldemar Pawelec aus Kiew viel deutlicher. Der Pallottiner ist seit fast zwanzig Jahren in der Ukraine tätig und kann die Bilder von Leichen, die auf den Straßen der Kiewer Vorstadt Butscha herumliegen, überhaupt nicht fassen.
„All diese Bilder sind schrecklich, sie sind dramatisch – das ist alles schwer vorstellbar, schwer zu verstehen. Ist das etwa eine geplante Taktik der Russen? Wenn ich mir all diese Bilder ansehe, denke ich, dass sie vor allem von ungeheurer Bestialität zeugen… Jemand hat gesagt, dass alles, was hier passiert, die Ungeheuerlichkeit des Krieges zeigt. Nein, es zeigt nicht den Schrecken des Krieges, es zeigt das Ausmaß der moralischen Betäubung, der moralischen Korruption bei Soldaten in der russischen Armee. Wie kann es sein, dass eine Nation, die Dostojewski, Tolstoi, Lermontow, Tschaikowski hervorgebracht hat, gleichzeitig so etwas hervorbringen kann? Das ist eine Frage, die ich mir immer wieder stelle.“
Kiew: Wo das normale Leben allmählich wieder startet
Derweil bestätigt uns Pavelec, dass die Hauptstadt allmählich den Schrecken der russischen Belagerung abschüttelt und wieder zu einiger Normalität zurückfindet. „Die Menschen kehren langsam zurück, auch ganze Familien. Der Verkehr auf den Straßen hat wieder zugenommen. Vor allem kehren die Menschen zurück, um zu sehen, was mit ihren Häusern, ihren Wohnungen passiert ist. Nach diesen anderthalb Monaten Krieg ist das die heikelste Frage für sie…“
(vatican news)
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