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Wachsfigur des zurückgetretenen Premiers bei Madame Tussauds in London Wachsfigur des zurückgetretenen Premiers bei Madame Tussauds in London 

Großbritannien: Gemischte Reaktionen auf Rücktritt

Vertreter der anglikanischen und der katholischen Kirche in Großbritannien haben unterschiedlich auf die Rücktrittsankündigung von Boris Johnson reagiert.

Anglikanerprimas Justin Welby will weiter für den noch amtierenden Premierminister beten. „Während er sich darauf vorbereitet, sein Amt niederzulegen, werde ich in dieser Zeit des Übergangs für ihn und seine Familie beten“; er schließe auch diejenigen ins Gebet ein, die die große Verantwortung eines politischen Amtes tragen, so der Erzbischof von Canterbury.

Er habe während Johnsons Amtszeit stets für ihn gebetet, „insbesondere in diesen Zeiten großer Krisen in unserem Land und auf der ganzen Welt“, sagte Welby.

Der anglikanische Primas Justin Welby
Der anglikanische Primas Justin Welby

„Er war wie Trump - ein überlebensgroßer Charakter“

Weniger neutral äußerte sich der katholische Bischof von Portsmouth, Philip Egan. Das Fehlen eines „klaren moralischen Kompasses“ habe zu Johnsons Sturz geführt, sagte er dem katholischen US-Pressedienst CNS. Lügen und Ausflüchte hätten Johnsons Autorität völlig untergraben, und sein Rücktritt sei unvermeidlich geworden, so der Bischof. Der Premier habe seine Glaubwürdigkeit verloren, weil er das Parlament darüber getäuscht habe, wie viel er über Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens gegen das kürzlich von ihm ernannte hohe Regierungsmitglied Chris Pincher wusste.

Zum Nachhören - Reaktionen auf den Rücktritt von Boris Johnson

„Er war wie (Donald) Trump - ein überlebensgroßer Charakter“, sagte Egan über Johnson. Die Krise solle Großbritannien dazu anregen, über die Werte nachzudenken, die von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens erwartet werden. Die katholische Soziallehre biete eine gute Grundlage für solche Diskussionen.

„Jetzt arbeiten wir dafür, dass eine gute Regierung, Integrität und Wahrheit zurückkehren“

Der anglikanische Bischof von Sheffield, Pete Wilcox, twitterte als Reaktion auf Johnsons Rede von Donnerstag, in der er kein Wort des Bedauerns über begangene Fehler äußerte: „Es ist sicherlich ein Fehler für Führungskräfte, ihre Fehler, Mängel und Versäumnisse zu beschönigen, wenn ihr Publikum sich ihrer bewusst werden könnte.“

Der kürzlich pensionierte Bischof von Willesden, Pete Broadbent, ein ehemaliger Abgeordneter der Labour Party, schrieb laut der „Church Times“ vom Freitag: „Auf Wiedersehen. Wir werden Sie nicht vermissen. Aber jetzt arbeiten und beten wir dafür, dass eine gute Regierung, Integrität und Wahrheit in die Öffentlichkeit zurückkehren.“

Fraglich, ob Krise der Demokratie jetzt nicht noch größer wird

Der anglikanische Bischof Graham Tomlin von Kensington kommentierte: „Es ist interessant, die verschiedenen Rücktrittsschreiben der letzten Tage zu lesen und zu sehen, wie Wörter wie Integrität, Wahrheit, Gewissen, Demut und Respekt wieder in unser politisches und moralisches Vokabular zurückkehren. Hoffentlich bleibt es so.“

Der Pfarrer der deutschsprachigen katholischen Gemeinde in London, Andreas Blum, warb um eine differenzierte Bewertung von Johnsons Rücktritt. Es sei fraglich, ob die Krise der Demokratie nicht dadurch noch vergrößert werde. Freilich sei Johnson kein „Tugendwächter“, sondern „eher der Typ leben und leben lassen“, sagte er im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur. Für seine Nachfolge gebe es weder einen designierten Kandidaten noch ein alternatives Programm.

(kna – sk)
 

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09. Juli 2022, 09:40