Kasachstan: Blick auf eine kurze Papstreise in die Peripherie
Gudrun Sailer: Die Papstreise hatte zwei Teile, die von der Gestaltung des Programms her ungefähr dasselbe Gewicht hatten. Das eine war der Kongress der Religionsführer, das andere war der Besuch bei der kleinen katholischen Gemeinschaft Kasachstans. Das eine war also ins Weltweite gerichtet, war groß, international und aufwändig und hatte auch eine starke friedenspolitische Konnotation, das andere ging ganz ins Familiäre, in die kleine katholische Herzkammer des Landes, sozusagen.
Radio Vatikan: Wie haben sich diese beiden Teile der Papstreise zu einem Ganzen gefügt?
Gudrun Sailer: Man konnte in diesen paar Tagen schon bemerken, dass beides in diesem weiten Steppenland Kasachstan am rechten Platz ist, der Kongress der Religionsführer und die katholische Kirche, die ja nur ein Prozent der kasachischen Bevölkerung ausmacht. Beide sind von weit her und inzwischen etabliert, die katholische Kirche seit etwa 100 Jahren (auch wenn die Franziskaner schon im 13. Jahrhundert hierher geschickt wurden), der Religionskongress seit 20. Das erste Treffen der Religionsführer hat hier 2003 stattgefunden. Und seither kommen alle drei Jahre Religionsführer aus aller Welt in diese künstliche Steppen-Hauptstadt in Zentralasien und reden darüber, was gläubige Menschen aller Religionen für ein gedeihliches Miteinander auf der Welt leisten können und sollen.
Radio Vatikan: Wer kommt da alles zu diesem Religionskongress zusammen, und was kommt dabei heraus?
Gudrun Sailer: Es kommen führende Muslime, Juden, Christen, auch eine Vatikan-Delegation war übrigens immer dabei, Iraner, Mormonen, Buddhisten, Taoisten, die ganze Bandbreite, jede Kopfbedeckung, jede Kleiderfarbe. Fast alles Männer allerdings. Fast ist man erstaunt, dass jetzt mit Franziskus zum ersten Mal ein Papst hier war. Aber es liegt eben sehr auf der Linie von „Fratelli tutti“ und dem Dokument der Geschwisterlichkeit, das Franziskus in Abu Dhabi mit dem Großimam Al Tayeb unterzeichnet hat, der selbstverständlich auch hier war und öffentlich beim Kongress über seine Freundschaft mit dem Papst geredet hat, die nicht alle Muslime billigen, wie der Imam freimütig eingeräumt hat. Was ich sagen will: Unter diesem weiten Himmel von Kasachstan – es ist ein ganz flaches, weites Land, der Himmel ist da immer irgendwie groß im Bild – hat seit 20 Jahren ein interreligiöses Event Fuß gefasst, das ein ehrgeiziges Ziel hat.
Radio Vatikan: Warum gerade in Kasachstan? So weit vom Schuss?
Gudrun Sailer: Der Religionskongress hat in der lokalen Kultur Kasachstans einen guten Humus gefunden. Es gibt hier einen außergewöhnlichen Sinn für Gastfreundschaft, was mit der Weite des Landes zu tun hat, mit der dünnen Besiedelung und dem Nomadentum. Man muss sich in einer Nomadenkultur darauf verlassen können, dass andere einen im Notfall beherbergen und verköstigen, und zwar auch dann, wenn der andere einem verfeindeten Stamm angehört. Gastfreundschaft ist in dieser Steppenkultur unantastbar, sie steht über Krieg und Feindschaft. Man nimmt den anderen auf, egal wer er oder sie ist, denn sonst stirbt er. Das ist die kulturelle Grundlage. Eine politische gibt es auch noch: Die kasachische Regierung steckt seit 20 Jahren sehr viel Aufmerksamkeit, Geld und Mühe in diesen Kongress der Religionsführer, lädt ein, bezahlt die Vor- und Nach- und Zwischenarbeit, das wird jetzt sogar nochmals verstärkt, wie in der Schlusserklärung steht.
Radio Vatikan: Welches Interesse hat der Staat Kasachstan an diesem Religionsführer-Treffen?
Gudrun Sailer: Das Land will sich, gerade weil es weit weg vom Schuss ist, international etablieren als Ort des friedlichen Austauschs, der Vermittlung und des Dialogs, es kann ja auch auf ein friedliches Zusammenleben der Religionen im Land verweisen, bei einer muslimischen Mehrheit von 70 Prozent. Dieses Selbstbild, an dem Kasachstan da mit einer gewissen Entschlossenheit arbeitet, findet dann auch eine Entsprechung beim Kongress selbst: Nicht ein Sprecher, der sich nicht bei Kasachstan bedankt hätte für dieses Forum. Auch der Papst hat das getan.
Radio Vatikan: Motto der Papstreise nach Kasachstan war „Boten des Friedens und der Einheit“. Und Kasachstan ist ein Nachbarland Russlands, das Krieg führt gegen die Ukraine, die wiederum – ebenso wie Kasachstan – bis 1991 Teil der Sowjetunion war. Wir präsent war der Ukraine-Krieg bei der Kasachstan-Reise des Papstes?
Gudrun Sailer: Kasachstan hat mit Russland die längste Landgrenze der Welt, habe ich hier gelernt. Mit seiner ganzen nördlichen Längsseite grenzt Kasachstan an den großen Nachbarn Russland. Aber der Ukraine-Krieg ist bei weitem nicht so präsent wie in Europa, und er kam zwar beim Religionsführerkongress vor, aber nicht so stark, wie unsereins das erwartet hätte. Papst Franziskus hat in seinem Kasachstan-Besuch wiederum sehr deutliche Worte gefunden, beschwörend fast, er sprach vom „sinnlosen Wahnsinn des Krieges“, und nach der Messe ein weiterer Friedensappell für die Ukraine. Franziskus hat das Wort „Frieden" in drei Sprachen ausgesprochen, neben Italienisch auf Kasachisch und eben auch auf Russisch: „mir". Also ja, das war tatsächlich das Leitmotiv der Reise. Und so nahe an Russland wie in Kasachstan hatte der Papst bisher noch keine Gelegenheit, solche Worte des Friedens auszusprechen.
(vatican news)
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