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P. Nikodemus Schnabel OSB P. Nikodemus Schnabel OSB 

Israel: Als „Sklavenseelsorger“ unter unsichtbaren Christen

Auf die zum Teil höchst dramatischen Lebensbedingungen der bis zu 100.000 katholische Migrantinnen und Migranten in Israel hat der Benediktiner Nikodemus Schnabel hingewiesen.

Der deutsche Ordensmann ist als Patriarchalvikar des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem seit gut einem Jahr für diese Bevölkerungsgruppe zuständig. Seelsorge und soziale Arbeit gehen dabei Hand in Hand.

„Ich bin ein Sklavenseelsorger“, so P. Schnabel im Interview mit dem Magazin „Information Christlicher Orient“. „Und ich frage mich, wo ich die letzten Jahre gelebt habe. Ich bin schon 20 Jahre hier im Kloster. Durch meine neue Aufgabe gehen mir aber die Augen auf.“

Wer baut die U-Bahn und pflegt die Alten?

Ein Schwerpunkt der Arbeit des Geistlichen liegt darin, schwangere Migrantinnen bzw. Mütter und ihre Kinder zu unterstützen. Rund die Hälfte der Migranten kämen von den Philippinen, viele weitere aus Indien und Sri Lanka. Es gebe aber zum Beispiel auch einige katholische Äthiopier und Eriträer oder auch Chinesen.

Nicht wenige seiner Schützlinge seien illegal im Land, räumt der Patriarchalvikar ein: „Wenn die Israelis wollten, könnten sie die Illegalen sehr schnell ausfindig machen und abschieben. Nur: Wer erntet dann für Hungerlöhne die Felder? Wer baut die neue U-Bahn in Tel Aviv und wer kümmert sich um die Altenpflege? Meine Leute machen Arbeiten, um die sich die Israelis wirklich nicht reißen. Dazu gehört auch der Reinigungssektor.“

90 Prozent der Migranten sind Frauen

Insgesamt umfasst das Vikariat von P. Schnabel rund 50 Gottesdienststätten an verschiedenen Orten. Die Priesterschaft sei sehr bunt, „sie müssen ja auch die Muttersprache der Menschen beherrschen“, berichtete der Ordensmann. Seine wichtigsten Mitarbeiterinnen seien freilich Ordensfrauen. Schnabel: „90 Prozent der Migranten sind Frauen, und die Ordensfrauen spielen hier eine wichtige Rolle. Wir haben 13 Kinderkrippen, zwei Kinderhorte, ein Kinderheim, und die werden auch von Ordensfrauen geleitet.“

Taufe auf dem Schrottplatz

Die Seelsorge im Vikariat passe sich an die Gegebenheiten an: „Wir taufen zum Teil auch auf Schrottplätzen oder in Zelten. Ich feiere momentan Gottesdienste in angemieteten Basketballhallen, in Fitnessstudios, in Kindergärten.“ Und auch die Zeiten seien oft ungewöhnlich: „Die Haupt-Sonntagsgottesdienstzeit ist Freitagabend bis Freitagnacht. Wir haben auch viele Gottesdienste am Samstag um 12 Uhr mittags. Und oft eben nicht in Kirchen, weil es gar keine gibt. Und wenn es welche gäbe, dann oft trotzdem nicht, sondern bewusst an unverdächtigen Orten.“

Ein Riesenproblem für viele seiner Gläubigen sei nämlich die mangelnde Religionsfreiheit, berichtete P. Schnabel weiter. Viele Arbeitgeber, vor allem im ländlichen Raum, würden keine christlichen Symbole in ihren Häusern dulden und würden es den Migranten auch schwer machen, Gottesdienste zu besuchen. „Meine Leute müssen sich dann heimlich zum Gottesdienst schleichen.“ Er müsse deshalb seine Seelsorge „für diese unsichtbaren Menschen, die zum Teil auch unsichtbar sein wollen“, sehr flexibel gestalten.

Hungerlöhne und harte Arbeitsbedingungen

Wenig schmeichelhaft äußert sich der Ordensmann über die Arbeitsvermittlungsagenturen, über die die Migranten - freilich legal - nach Israel kommen. „Für Indien kostet die Vermittlung derzeit drei Millionen Rupien, das sind gut 35.000 Euro. Das ist für Indien eine unvorstellbare Summe“. Ein Akademiker verdiene in Indien aber nur 200 Euro im Monat. „Und da sind dann auch die Hungerlöhne in Israel wie das Paradies auf Erden.“ Die Arbeitsbedingungen seien bei vielen Arbeitgebern allerdings sehr hart.

Oft lege ein ganzes Dorf zusammen, um einem Einzelnen zu ermöglichen, in Israel zu arbeiten. „Und diese Leute sparen sich dann hier wirklich alles vom Mund ab. 80 Prozent des Geldes wird in die Heimat überwiesen. Sie gönnen sich hier überhaupt nichts.“ Er kenne sehr oft die Situation, dass die Menschen zu fünfzehnt in einem Raum übernachten. „Ich weiß auch von einer Wohnung, die sich 36 Leute teilen.“ Viele ernährten sich nur von gekochtem Reis und Wasser. Dazu zwinge sie niemand, „man schuldet aber seiner Dorfgemeinschaft, seiner Familie auch diese Chance“.

„Da wird mir immer wieder bewusst, dass diese Migranten näher an Gott sind als ich“

P. Schnabel: „Und da wird mir immer wieder bewusst, dass diese Migranten näher an Gott sind als ich. Ich habe eine privilegierte Situation, meinen Glauben leben zu dürfen. Diese Menschen aber haben oft Arbeitgeber, die ihrem Glauben feindlich gegenüberstehen, haben eine Arbeitssituation, wo sie vielleicht alle 14 Tage frei haben. Und diese wenige Zeit nutzen sie dann, um in die Kirche zu gehen.“

Viele Migranten würden sich auch in der Nacht in digitalen Gebetsräumen einfinden. „So gegen 23 Uhr sind die Personen, die sie pflegen, im Bett, und anstatt selbst auch todmüde ins Bett zu fallen, beten sie noch.“

Ausflüge für chinesische Bauarbeiter

Eine besondere Gruppe innerhalb seines Vikariats seien die chinesischen Bauarbeiter, berichtet der Ordensmann weiter: „Das sind alles Männer, die legal im Land sind. Aber alles läuft sehr im Verborgenen ab. Es kümmern sich vor allem Ordensfrauen um diese Männer. Sie lesen gemeinsam die Bibel oder machen Ausflüge.“ Inzwischen habe er auch einen Priester aus Singapur, der perfekt Mandarin kann. „Jetzt können sie auch in ihrer Sprache Eucharistie feiern. Und diese Gruppe ist im Wachsen.“

Einsatz für das Leben

Eine Migrantin, die in Israel schwanger wird oder ein Kind gebiert, wird laut Gesetz automatisch illegal. Gleiches gilt für Migranten, die heiraten. „Man möchte, dass diese Menschen in Israel bloß auf Zeit hart arbeiten. Und ein Kind ist natürlich etwas, das an ein Land bindet“, erläuterte P. Schnabel. Israel habe große Angst davor, dass die Menschen sesshaft werden: „Die Erfahrung hat ja auch mein Heimatland Deutschland gemacht und das war in Österreich nicht anders und ist auch in Israel so: Man wollte Gastarbeiter und gekommen sind Menschen.“

Sein finanziell größtes Engagement im Vikariat liege bei den vielen Kinderkrippen, einem Kinderhort und einem Kinderheim, berichtete Schnabel: „Das ist die Konsequenz meines Glaubens: Wenn wir als Kirche sagen, wir ermutigen zum Leben, wir ermutigen Frauen, auch im Schwangerschaftskonflikt Ja zu sagen zum Kind, dann muss ich als Kirche diesen Frauen beistehen.“ Er kümmere sich deswegen vor allem auch um Kinder bis zum Alter von drei Jahren, „um den Frauen zu ermöglichen, wieder arbeiten zu gehen“.

(kap – sk)

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21. November 2022, 13:19