Suche

Mukwege im Studio von Radio Vatikan Mukwege im Studio von Radio Vatikan 

Nobelpreisträger warnt vor Völkermord im Kongo

Er ist Gynäkologe, Menschenrechtler und seit 2018 Träger des Friedensnobelpreises: Denis Mukwege aus dem Kongo. In ein paar Tagen trifft er den Papst.

Alessandro di Bussolo und Stefan von Kempis - Vatikanstadt

Mukwege wurde als Gründer der Panzi-Klinik in Bukavu im Osten des Kongo bekannt: Dort werden seit etwa zwanzig Jahren Mädchen und Frauen behandelt, die Opfer sexueller Kriegsgewalt geworden sind. Immer wieder vergewaltigen Rebellen und Soldaten in Ost-Kongo systematisch Frauen. Doktor Mukwege versucht nicht nur, sie physisch zu heilen, er weist auch die Weltöffentlichkeit auf den Skandal der Vergewaltigung als Kriegswaffe hin.

„Kein ethnisches Problem, sondern ein Wirtschaftskrieg“

„Ich arbeite in einem Krankenhaus, das für Angehörige aller Stämme offen ist“, sagt uns Mukwege im Interview. „Bei mir essen die Leute zusammen, teilen sich die Betten, sie teilen alles miteinander. Was wir im Osten des Kongo erleben, ist daher kein Problem der Ethnien, die sich bekämpfen. Es ist vielmehr ein Wirtschaftskrieg, bei dem diejenigen, die diesen Krieg verursachen, eine Strategie des Chaos verfolgen: Sie führen Chaos in der Region herbei, um die natürlichen Ressourcen des Kongo plündern zu können.“

In der Panzi-Klinik
In der Panzi-Klinik

Mukwege ist Sohn eines freikirchlichen Pastors und auch selbst Pastor. Er wird am Freitag – nicht zum ersten Mal – mit dem Papst zusammentreffen. Franziskus will Ende Januar/Anfang Februar nächsten Jahres in den Kongo reisen. Dabei ist ein Abstecher in den Osten des Landes, wo viele bewaffnete Gruppen ihr Unwesen treiben, aus Sicherheitsgründen nicht möglich. Doch liegt dem Papst daran, von Kinshasa aus auf die drängenden Probleme des Kongo aufmerksam zu machen.

„Die Kongolesen zahlen für eine regionale Krise, die nicht im Kongo entstanden ist“

„Ich glaube, dass die Kirche da in der Tat eine Rolle zu spielen hat. Aber es ist weniger ein Problem der Versöhnung zwischen den Kongolesen.... Es ist eher ein Problem, das 1996, zwei Jahre nach dem Völkermord in Ruanda, begonnen hat. Das zieht sich ungelöst bis heute hin, mehr als 25 Jahre später; die Kongolesen zahlen immer noch für eine regionale Krise, die nicht im Kongo entstanden ist, die aber heute im Kongo viel mehr Schaden anrichtet als in dem Land, in dem einmal der Völkermord stattfand.“

Es ist Ruanda, auf das Mukwege da mit dem Finger zeigt. Viele sehen Ruanda hinter dem Treiben der „M23“-Rebellen im Kongo, die derzeit die Metropole Goma bedrohen. Eine Waffenstillstands-Initiative mehrerer afrikanischer Politiker ist gescheitert; wieder mal ist der Kongo, wie seit über zwanzig Jahren, Schauplatz eines Ringens mehrerer Mächte aus der Region der Großen Seen, denen es um seine natürlichen Reichtümer geht.

Scharfe Vorwürfe an Ruanda

„Der Kongo wird angegriffen! Der Kongo erlebt eine Invasion, er ist heute teilweise von ruandischen Streitkräften besetzt, die mit den Terroristen der „M23“ zusammenarbeiten. Was wir von der internationalen Gemeinschaft verlangen, ist die Anwendung des humanitären Völkerrechts! Es verlangt von allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, die Souveränität und territoriale Integrität anderer Staaten zu respektieren. Außerdem verlangen wir die Einhaltung der Resolutionen, die es Staaten oder Institutionen untersagen, Waffen an die Rebellen in der Region der Großen Seen zu liefern. Es gibt Beweise dafür, dass Waffen an die „M23“ geliefert worden sind.“

Der Nobelpreisträger glaubt, dass die Rebellengruppe sogar über Waffen verfügt, die „raffinierter sind als die Waffen der Monusco“ – das ist die Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen, die seit 2010 im Land ist und deren Soldaten sich eher erfolglos darum bemühen, Zivilisten vor dem Unwesen der Rebellengruppen zu beschützen.

„Wir fordern, dass diese Komplizenschaft beendet wird“

„Wir fordern Sanktionen! Heute sehen wir sogar, dass die Länder, die diese Aggression verursachen, Gelder von der Europäischen Union erhalten. Und das ist ein Skandal, dass Länder, die unser Land angreifen, von der Europäischen Union unterstützt werden! Wir fordern, dass diese Komplizenschaft beendet wird. Das Leiden hat zu lange gedauert.“

Radio-Vatikan-Interview mit Friedens-Nobelpreisträger Denis Mukwege (Kongo)

Die Vorwürfe des Arztes sind nicht ganz von der Hand zu weisen. Tatsächlich hat die EU Ruanda lange als Partner gesehen. Sie beklagt zwar zunehmend autoritäre Züge bei Präsident Paul Kagame, lobt aber die Entwicklungsfortschritte des kleinen Landes. Das frühere „Deutsch-Ostafrika“ (bis 1916) gehöre zu den Vorreitern bei Klimaschutz und Armutsbekämpfung in ganz Afrika.

Geschichte, die sich wiederholt

„Die humanitäre Krise in der Demokratischen Republik Kongo ist kaum zu beschreiben. Sechs Millionen Menschen sind heute Vertriebene, sie stehen im Regen, im Schlamm, ohne Zuhause und ohne Nahrung. Viele Kinder werden sterben… Was wir fordern, sind Sanktionen gegen dieses Land, anstatt es weiterhin finanziell zu unterstützen.“

Ruandische Flüchtlinge während des Genozids 1994
Ruandische Flüchtlinge während des Genozids 1994

Aus der Sicht Mukweges wiederholt sich die Geschichte. Das sagt er mit einem mahnenden Verweis auf den Genozid, dem vor knapp dreißig Jahren in Ruanda binnen hundert Tagen bis zu eine Million Menschen zum Opfer fielen.

„Heute sind die Ruander dabei, die Kongolesen abzuschlachten!“

„Die internationale Gemeinschaft ist dabei, denselben Fehler zu machen, den sie in Ruanda begangen hat, als sie den Völkermord an den Tutsi zuließ. Heute sind die Ruander dabei, die Kongolesen abzuschlachten! Das sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, vielleicht sogar Völkermord, und die internationale Gemeinschaft verschließt die Augen, wie sie es 1994 getan hat. Was nützen die Opfer, wenn die internationale Gemeinschaft in zehn Jahren aufwacht und sich ihrer Fehler bewusst wird? Wir wollen, dass jetzt gehandelt wird!“

In seinem Panzi-Krankenhaus in Bukavu behandelt Mukwege – und dafür ist er berühmt geworden – Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind. Aber es kommen auch viele andere Patienten.

Patientinnen kommen von sehr weit her

„Wir haben HIV-Infizierte und Aidskranke, die gleichfalls kostenlos versorgt werden. Auch alle Kinder, die an Unterernährung leiden, werden kostenlos versorgt. Alle Frauen mit geburtshilflichen Komplikationen werden von uns kostenlos behandelt. Unsere Mittel bekommen wir von verschiedenen Geldgebern, einschließlich der Kirchen.“

Wenn er noch mehr Geld hätte, würde Doktor Mukwege noch weitere Panzi-Kliniken in anderen Teilen des Kongo eröffnen. „Unsere Patientinnen kommen teilweise von sehr, sehr weit her“, sagt er und berichtet von Planungen zu weiteren Krankenhäusern, zum Beispiel in Kisangani.

„Unser Traum ist der Frieden“

„Unser Ziel ist es, die Behandlung näher an die Kranken heranzubringen. Das große Problem ist, dass die Kranken, die von sehr weit her kommen müssen, zum Beispiel aus den nördlichsten Regionen, sehr, sehr schwer nach Panzi zu bringen sind. Sie brauchen ein Flugzeug nach Kinshasa, dann nach Goma und Bukavu. Das ist zu teuer. Darum wollen wir anderswo Zentren aufbauen, die die gleiche Arbeit leisten können.“

Der Arzt aus dem Osten des Kongo träumt von Frieden – einem, wie er sagt, „seltenen Gut“. „Das ist es, was wir brauchen, um unser Land wieder aufzubauen, unseren Kindern eine Zukunft zu geben, unsere Kinder unter ordentlichen Bedingungen auszubilden... Unser Traum ist der Frieden.“ Über diesen Traum wird Mukwege am Freitag mit Papst Franziskus sprechen.

(vatican news – sk)
 

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

05. Dezember 2022, 11:41