Jerusalem: Nicht Graffiti, sondern Politik vertreibt Christen
Umgeworfene Kreuze, Priester, die bespuckt werden, Schmierereien, Vandalismus und Anfang Januar 30 geschändete Gräber auf dem protestantischen Friedhof auf dem Zionsberg: Die Liste der alltäglichen Attacken auf die christliche Minderheit in Israel wird beständig länger.
„Wir verurteilen diese Taten“, stellt William Shomali klar. Doch die Christen ließen sich nicht so sehr davon erschrecken, dass sie wegzögen. „Sie gehen weiterhin zur Grabeskirche oder zum Sonntagsgebet, weil körperliche Angriffe sehr selten sind, es bleibt ein Mangel an Respekt oder Erziehung.“ Wenn Christen Jerusalem verlassen – und das ist ein reales Problem - dann gehe es „vor allem um die politische Situation im Allgemeinen oder um wirtschaftliche Fragen. Das sind viel ernstere Realitäten, als eine Prozession zu bespucken oder ein Graffito zu sprühen.“ Im übrigen hätten die Attacken den positiven Nebeneffekt, dass die Gläubigen der verschiedenen christlichen Konfessionen näher zusammenrücken, auch die Muslime zeigten sich solidarisch.
Ultra-Regierung: Ein Schrecken auch für säkulare Juden
Selbst wenn Shomali nicht generalisieren möchte: Die Täter kommen „alle aus dem ultra-orthodoxen Spektrum“ des Judentums. Ein Milieu, das der neuen Regierung nahesteht. Premierminister Benyamin Netanyahu hat gerade das am weitesten rechts stehende Kabinett in der Geschichte Israels gebildet. „Das ist nicht nur für Christen ein Angstfaktor, sondern für alle Palästinenser und sogar für säkulare oder ,moderne' Israelis, die nicht praktizieren, und die Mehrheit der Israelis praktiziert nicht“, so der Generalvikar.
Regierung verschärft Spaltung auch unter den Juden
Er deutet eine Spaltung innerhalb der jüdischen Gemeinschaft Israels aufgrund der neuen Regierung an. Weil die säkularen Juden eher in Tel Aviv und die ultra-orthodoxen Juden eher in Jerusalem zu finden sind, hätten sich die beiden Städte „zu zwei entgegengesetzten Polen“ entwickelt. Shomali verweist auf Kundgebungen: „100.000 Menschen in Tel Aviv protestierten kürzlich gegen die Machenschaften der neuen ultra-orthodoxen Regierung, die damit begonnen hat, religiös sehr strenge Gesetze zu erlassen und sogar die Richter auszutauschen, um Richter aus der gleichen Partei wie die Ultras einzusetzen. Das gefällt den anderen Juden nicht, also ist die Angst, das Unbehagen überall, nicht nur im christlichen Teil.“
Jerusalem sei eine Stadt für alle, zitiert Shomali Papst Benedikt XVI., als dieser ins Heilige Land kam. Eine Lösung könne es nur in diese Richtung geben. Die Christen seien offen für einen Sonderstatus für Jerusalem, auch mit internationalen Garantien zum Schutz der Gewissensfreiheit und der freien Religionsausübung. „Als Christen wollen wir, dass die Stadt für alle offen ist: Jeder Gläubige der drei monotheistischen Religionen hat das Recht, nach Jerusalem zu kommen, um zu beten und die heiligen Stätten zu besuchen“, so der Generalvikar. Jeder müsse aber auch die „Erzählung des anderen“ respektieren, denn es gebe „drei Erzählungen, drei Arten, die Geschichte der Stadt zu erzählen - eine jüdische, eine christliche und eine muslimische. Manchmal überschneiden sich die Erzählungen und manchmal weichen sie voneinander ab“, so Shomali.
Den ultraorthodoxen Juden fehle aber häufig diese Offenheit und der Respekt vor dem anderen. „Sie wollen, dass alles aus ihrer Sicht geschieht und Jerusalem nur für das jüdische Volk da ist.“ Die Stadtverwaltung von Jerusalem teile an diesem Punkt die Haltung der ultra-orthodoxen Juden demonstrativ nicht, sagte Shomali. „Zu Weihnachten hat uns der Bürgermeister der Stadt eingeladen und uns gezeigt, wie Jerusalem alle seine Besucher willkommen heißt. Das war schön. Es hat mir gefallen, aber es muss jeden Tag Realität werden und jeder muss beten können, ohne vom anderen beleidigt zu werden.“
(vatican news – gs)
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