auch ein Babystrampler wurde angespült - unter den Toten sind auch viele Kinder auch ein Babystrampler wurde angespült - unter den Toten sind auch viele Kinder 

Mittelmeer-Tote: Wenn auf Worte nur Worte folgen

Worte der Entrüstung und Betroffenheit sind nach dem Ertrinken von Dutzenden von Migranten vor der süditalienischen Küste zu hören. In den Ohren des Immigrations- und Asylexperten Christopher Hein klingt das nach „Business as usual“. Im Interview mit Radio Vatikan spricht der ehemalige Vorsitzende des italienischen Flüchtlingsrates von einer vorhersehbaren Tragödie und fordert einen Mentalitätswandel in der europäischen Asylpolitik.

Anne Preckel – Vatikanstadt

„Die Worte sind immer dieselben, die Worte der Entrüstung, die Worte der Trauer. Und dann, nach zwei, drei Tagen, ist der Scheinwerfer von der Angelegenheit weggeschwenkt und man redet über anderes - und es passiert nichts.“

Christopher Hein hat sich nach der jüngsten Tragödie, bei der vor der Ortschaft Cutro in Südkalabrien über 60 Migranten ertranken, noch einmal die Erklärungen nach den Schiffsunglücken auf dem Mittelmeer der letzten zehn Jahre angesehen. Ob 2013 vor Lampedusa oder bei den Tragödien von 2015 oder 2016 – Emotionen, Appelle, und dann: nichts, so der Professor für den Bereich Immigration und Asyl am Politikwissenschaftlichen Institut der LUISS Universität Rom.

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Taten statt Worte

„Es war eine Situation, die wir so viele Male erlebt haben in den letzten Jahren. Von der man weiß, dass sie wiederkommen wird, solange es keine Politik gibt, die in effektiver Weise diese Verzweiflung der irregulären Reisen und Ankünfte und Überfahrten über das Meer zumindest herunterdrückt und unter Kontrolle bringt“, so der Migrationsexperte. Und er betont:

„Was eine Rolle spielt, ist, dass jetzt tatsächlich diesen Worten von Bewegtheit, von Trauer, von Entrüstung, die wir in den letzten zwei Tagen gehört haben, dass darauf nun tatsächlich Taten folgen. Und in dem, was bisher angekündigt worden ist, sowohl von der italienischen Regierung wie aber auch von der Europäischen Union, sehe ich überhaupt keine konkrete Änderung der Orientierung.“

„Die Orientierung insgesamt ist: Für uns ist es besser, die bleiben weg“

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hatte nach der Tragödie vom Sonntag den migrationspolitischen Kurs ihrer Regierung bekräftigt. Auch die Europäische Union setzt weiterhin auf Grenzschutz und Kooperation mit Nordafrika, um die Abfahrten von Migranten über das Meer zu verhindern. Hein beschreibt dies als eine Politik der Abschottung:

„Die Orientierung insgesamt ist: Für uns ist es besser, die bleiben weg, die bleiben da, wo sie sind. Die Iraner sollen im Iran bleiben, auch wenn sie da möglicherweise die Todesstrafe wegen ihren oppositionellen Demonstrationen zu erwarten haben. Die Afghanen (Taliban-Regime!), die sollen in Afghanistan bleiben. In Syrien sollen sie selbst sehen, wie sie zurechtkommen zwischen den Auswirkungen des jahrelangen Krieges und dem jüngsten Erdbeben. Das ist alles irgendwie deren Angelegenheit. Und für uns in Europa und Italien geht es darum, dass wir unsere Grenzen zumachen und möglichst niemanden hereinlassen.“

Geregelte, gemeinsame Asylpolitik

Ein europäisches Konzept für Lebensrettung auf dem Mittelmeer – für diejenigen, die weiter trotzdem abfahren – gibt es derweil nicht. „Staatlich nicht und EU-weit nicht, jedenfalls nicht in Form einer spezifischen Operation“, sagt Hein. Die effiziente Lebensrettungsoperation „Mare Nostrum“, in deren Rahmen Italien zwischen 2013 und 2014 über 140.000 Menschen auf dem Mittelmeer rettete, sei auf Druck der anderen Mitgliedsstaaten nach zwölf Monaten eingestellt worden. Europa befürchtete einen „Pull-Effekt“ – dass die Lebensrettung noch mehr Menschen nach Europa ziehen würde.

Hein ist überzeugt, dass geregelte und legale Einreisemöglichkeiten für Migranten in die EU und ein solidarischer Verteilschlüssel lebensgefährlichen Bootsfahrten über das Mittelmeer zwar nicht verhindern, aber doch erheblich verringern würde.

„Keine Zauberformel“

„Es gibt im ganzen Migrationsbereich jetzt nicht die Zauberformel, die jetzt alle Probleme lösen würde. Aber es würde zumindest zu einer erheblichen Minderung der Zahl derer führen, die auf diese irreguläre und höchst gefährliche Reise sich begeben müssen, weil es keine Alternative gibt. Denn wenn ich in der Türkei oder auch in Libyen oder in Tunesien bin und eine reale, realistische Perspektive habe, dass ich ein Visum bekomme oder dass ich in jedem Fall auf normale Weise in ein europäisches Land einreisen kann, dann stelle ich mich eben in die Reihe und warte, statt dass ich mein Leben riskiere und Tausende von Euro an die Schlepper bezahle.“

Parallel zu einer verbindlichen europäischen Lösung brauche es Lebensrettung auf dem Mittelmeer und, wie der Fachmann in Interviews mit Radio Vatikan mehrfach ausgeführt hat, Investitionen in Entwicklung und Zusammenarbeit in den Ländern, aus denen die Migranten losreisen.

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Lebensrettung darf nicht in Frage stehen

Zehn Jahre nach der Lebensrettungsoperation „Mare Nostrum“ weht in Italien heute ein anderer Wind. NGOs, die auf dem Mittelmeer Migranten retten, beklagten zuletzt, dass die italienischen Behörden ihre Arbeit behindern. De facto dürfen Schiffe laut einem Dekret kategorisch allein Häfen anlaufen, die ihnen zugewiesen werden, und nicht etwa den nächstgelegenen Hafen, um die Migranten schnellstmöglich medizinisch versorgen zu können. Hein erläutert:

„Und wenn sie auf der Fahrt sie anderen Notlagen begegnen und eigentlich eine Rettungsaktion notwendig wäre, dann müssen sie in jedem Fall erst mal die an Land bringen, die sie vorher gerettet haben. Das ist eine klare Attacke gegen die NGO, die nicht-staatlichen Rettungsaktionen und ihre Schiffe. Und natürlich führt es dazu, dass noch mehr die Gefahr besteht, dass tatsächlich in solchen Schiffbruchsituationen dann keine Rettung zur Verfügung steht.“

Den Fluss der Migranten über das Meer konnte die Abschottungspolitik bislang nicht unterbrechen, Lebensrettung wird anderen überlassen und sogar behindert. Dass in einem solchen Fahrwasser Menschen untergehen, ist keine Überraschung. 

(vatican news – pr)
 

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28. Februar 2023, 13:55