Türkei/Syrien: „Der Hauptfeind ist die Angst“
Auch wenn in den Medien mittlerweile nicht mehr so viel darüber gesprochen wird, sei die Lage „immer noch dramatisch“, erklärt Bizzeti, der auch Präsident von Caritas in der Türkei ist. Das Erdbeben und die Verwüstung, die es verursacht hat, „liegen noch nicht hinter uns“: Gebäude seien zerstört, nach wie vor würden Tote aus den Trümmern geborgen, die Straßen seien rissig und das Wasser nicht trinkbar.
Ein weiteres großes Problem sei die Angst vor weiteren schweren Beben, die in den sozialen Medien zusätzlich geschürt werde, sagt Pater Bahjat aus Aleppo. Sie halte Menschen, deren Häuser nicht zerstört wurden, davon ab, nach Hause zurückzukehren. Auch der türkische Bischof spürt diese Angst und erklärt, das schwere Nachbeben Ende Februar habe sie zusätzlich verstärkt.
Allerdings reiche der Platz in den Notunterkünften nicht mehr aus, Bahjat fürchtet besonders sanitäre Probleme, weil es nicht genügend Toiletten gebe. Deshalb sei es „wichtig, die Menschen, die dazu in der Lage sind, davon zu überzeugen, nach Hause zu gehen.“ Dafür haben die elf christlichen Gemeinden der Stadt – also katholische, evangelische und orthodoxe – eine ökumenische Kommission eingerichtet, die 15 Ingenieure beauftragt hat. Sie sollen die Häuser von christlichen Familien überprüfen und einen Plan zum Wiederaufbau zerstörter Häuser ausarbeiten. Zusätzlich wollen die Kirchen die Menschen, die durch das Erdbeben obdachlos geworden sind, bei der Suche nach einem neuen Zuhause unterstützen. Das sei allerdings eine Aufgabe, „die viel Zeit in Anspruch nehmen wird“, schätzt Pater Bahjat.
„Grundlegende Probleme, die jetzt zum Vorschein kommen“
Bizzeti sieht in vielen Herausforderungen „grundlegende Probleme, die jetzt zum Vorschein kommen.“ Dazu zählt er beispielsweise den Mangel an Wohnraum und Arbeit oder dass Kinder nicht zur Schule gehen können. Der Bischof befürchtet, dass viele Menschen, die geflohen sind, nicht mehr zurückkehren werden. Das könne dazu führen, dass die Gegend verarme. In der Region leben auch viele syrische Flüchtlinge. Wie viele Menschen geblieben sind, lasse sich derzeit schlecht einschätzen, weil viele vorübergehend bei Freunden oder Familie untergekommen seien oder auf dem Land zelteten, sagt Bizzeti.
Nach und nach eröffneten zwar einige Geschäfte und die Stadt erwache langsam wieder zum Leben; dennoch seien alle öffentlichen Einrichtungen geschlossen. Die wichtigsten Kirchen, aber auch Krankenhäuser seien eingestürzt, berichtet Bizzeti. Deshalb sei er sehr dankbar für die Hilfe, die das Gebiet von Kirchen, öffentlichen und privaten, nationalen und internationalen Einrichtungen erreicht. „Wir haben im Moment keine Probleme, das Nötigste zu bekommen“, erklärt er. Außerdem sei es wieder möglich, vor Ort einzukaufen und so die lokale Wirtschaft anzukurbeln. Die Region benötige weiterhin „intelligente und projektbezogene Hilfe“ beim Wiederaufbau. Dennoch erwartet Bizzeti, es werde „Monate, Jahre dauern, um zu einem Minimum an Realität zurückzukehren.“
(sir – fg)
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