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In Cherson - eine Aufnahme vom 8. Juni In Cherson - eine Aufnahme vom 8. Juni  (AFP or licensors)

Ukraine: „Grenzenlose Schäden“

Erst müssen sie kugelsichere Westen und Helme anlegen – dann können die freiwilligen Helfer Cherson betreten. Die Lieferung von Hilfsgütern in den Überschwemmungsgebieten der Ukraine erfolgt unter ständigem russischem Beschuss.

Beata Zajączkowska und Stefan von Kempis – Vatikanstadt

„Das zurückweichende Wasser offenbart allmählich das ganze Ausmaß der Zerstörung. Der Bedarf an Hilfe ist immens.“ Das sagt Marzena Michalowska gegenüber Radio Vatikan. Die Polin hilft seit mehr als einem Jahr in der Ukraine. Gemeinsam mit weiteren freiwilligen Helfern und Dominikanern aus dem polnischen Fastowo bringt sie in diesen Tagen Hilfe zu den Flutopfern - und riskiert dabei ihr eigenes Leben.

Leichen und Tierkadaver

„In dem Gebiet, in dem wir helfen, leben mehr als 400 Menschen, die ohne die Hilfe von außerhalb nicht überleben könnten. Wenn wir mit den Menschen hier sprechen, dann hören wir Dinge, die unglaublich traurig sind; wir haben nicht erwartet, dass es so viele sehr schwierige Geschichten gibt. Der sinkende Wasserpegel gibt jetzt menschliche Leichen frei, Tierskelette – alles Mögliche, was die Flut mit sich gespült hat, teilweise von überfluteten Friedhöfen. Viele Menschen haben es nicht geschafft, sich rechtzeitig zu evakuieren. Besonders beeindruckend ist der Anblick von Kinderleichen.“

Satellitenbild zeigt Cherson am 5. Juni
Satellitenbild zeigt Cherson am 5. Juni

Michalowska ist Mitarbeiterin der Dominikaner von Fastowo. Diese kümmern sich schwerpunktmäßig um Cherson, seit die Stadt von der monatelangen russischen Besetzung befreit worden ist. Die Russen hatten große Zerstörungen hinterlassen, und die Menschen lebten in extremer Armut. Die Freiwilligen brachten zunächst systematisch humanitäre Hilfstransporte in die Stadt. Mit der Zeit beschlossen sie, vor Ort eine Sozialküche zu eröffnen, die täglich 400 Mahlzeiten an die Bedürftigsten ausgibt. Nach Angaben der Dominikaner ist der Betrieb dank der finanziellen Unterstützung von Papst Franziskus möglich.

„Sie hätten vorhin den Artilleriebeschuss hören sollen“

Und jetzt: Die Überschwemmungen. Und der ständige Beschuss durch die russischen Angreifer. „Sie hätten vorhin den Artilleriebeschuss hören sollen. Dabei sind wir hier, um zu helfen – wir sind hier, um diese Menschen zu unterstützen. Hilfe ist auch dringend nötig: Sauberes Wasser wird gebraucht, außerdem Medikamente und Wasseraufbereitungsprodukte. Die Freiwilligen, die hier arbeiten, und die Hilfsdienste achten sehr darauf, dass keiner ohne die nötige Ausrüstung an Orte gelangt, an denen ein epidemiologisches Risiko besteht. Für Dörfer, in denen noch Wasser steht, werden Pumpen benötigt. Auch geistliche Unterstützung wird gebraucht. Wenn Sie also für diese Menschen beten könnten, wären wir Ihnen ebenfalls sehr, sehr dankbar.“

Evakuierte am 12. Juni in Cherson
Evakuierte am 12. Juni in Cherson

Erste Cholera-Fälle

Der römisch-katholische Weihbischof von Charkiw und Saporischschja, Jan Sobilo, spricht von einer sehr schwierigen Lage in den Überschwemmungsgebieten. Die ersten Fälle von Cholera seien bereits aufgetreten. Das ostukrainische Saporischschja ist ein wichtiger Knotenpunkt, von dem aus Hilfsgüter in die durch den Dammbruch in Nowaja Kachowka überfluteten Gebiete geschickt werden. 

Ukraine: Das Drama in den Überschwemmungsgebieten - ein Bericht von Radio Vatikan

„Was die Menschen jetzt am meisten brauchen, ist sauberes Trinkwasser. Ich erinnere mich an die Worte von Papst Franziskus, der einmal gesagt hat, dass die größten Kriege in der Zukunft um den Zugang zu Trinkwasser geführt werden. Wenn ich mir jetzt diese überschwemmten Gebiete ansehe, wenn ich sehe, dass die Menschen im Wasser sitzen, es aber nicht trinken können, weil es schmutzig ist und sie dadurch Krankheiten riskieren, dann fängt das jetzt wirklich bei uns an…“

Weniger Hilfen als zu Beginn des Krieges

Also: Wasser sei wichtig. Aber noch viel mehr werde gebraucht. „Auch Lebensmittel werden weiterhin benötigt, denn diese Dörfer sind von der Außenwelt abgeschnitten, es gibt dort keine Geschäfte. Gott sei Dank kommen immer noch ab und zu Hilfslieferungen an. Es sind zwar schon viel weniger als zu Beginn des Krieges oder im letzten Jahr, aber diese Ausbrüche der humanitären Hilfe sind noch nicht erloschen.“

In einem Dorf bei Cherson am 12. Juni
In einem Dorf bei Cherson am 12. Juni

In der ukrainischen Gesellschaft sei jedenfalls der Wille, den Menschen in den Flutgebieten zu helfen, groß. Der Krieg habe die Ukrainer gelehrt, hilfsbereit zu sein, sagt Bischof Sobilo. Wütend wird er, wenn man ihn auf den russischen Beschuss der Helfer in den Überschwemmungsgebieten anspricht.

„Perfide russische Strategie“

„Die beschießen Freiwillige, um zu verhindern, dass humanitäre Hilfen geliefert werden. Außerdem wollen sie die Zivilbevölkerung einschüchtern, damit sie die Soldaten nicht unterstützt und die Soldaten selbst nicht den Wunsch verspüren, diese Orte zu verteidigen. Ich erinnere mich, dass zu Beginn des Krieges die Militärs, die sahen, dass alle aus einigen Ortschaften evakuiert wurden, sagten: Warum sollen wir jetzt noch kämpfen?“

Bischof Jan Sobilo
Bischof Jan Sobilo

Nach Ansicht von Bischof Sobilo hat Russland eine menschenverachtende Strategie: „Es will die Zivilbevölkerung quälen und verängstigen, indem es Raketenangriffe auf Wohnhäuser, auf die Infrastruktur, auf Supermärkte, auf Basare, auf Krankenhäuser durchführt. Sie wollen, dass alle, die können, fliehen; und zweitens wollen sie diejenigen, die zurückbleiben, davon überzeugen, dass es besser ist, sich zu ergeben und in Frieden leben zu können, als in solchen Qualen zu leben wie jetzt, wo man zu Bett geht und nicht weiß, ob man am Morgen wieder aufstehen wird. Was wir erleben, ist ein sehr perfider Plan der Russen; sie wollen durch die Quälerei der Zivilbevölkerung das Schicksal dieses Krieges beeinflussen und damit auch die Führung und die Soldaten von der Fortsetzung des Kampfes abhalten.“

(vatican news)
 

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16. Juni 2023, 10:45