Frankreich: Kirche kann kaum zur Deeskalation beitragen
Mario Galgano – Vatikanstadt
Das ist die Einschätzung von Jakob Keienburg. Er ist Jurastudent und Philosophiedoktorand in Paris sowie Mitglied der deutschsprachigen katholischen Gemeinde. Im Gespräch mit dem Kölner Domradio erläutert er, was in Frankreich derzeit geschieht:
„Dass Probleme zutage treten, die es schon seit Jahrzehnten gibt, das ist überhaupt keine Frage. In den letzten beiden Nächten wurden nicht nur Polizeikommissariate angezündet, sondern auch Rathäuser, Schulen, ein Bus Depot im Norden von Paris, Straßenbahnen. Da fällt es schwer einen Bezug zu sehen zu den Geschehnissen in Nanterre. Und dann merkt man, dass sich da eine Gewalt entlädt, die nur darauf gewartet hat, auszubrechen. Die Frage ist jetzt: Was generiert jetzt diese Gewalt? Und darüber gehen die Meinungen weit auseinander.“
Ausgelöst worden waren die Proteste und Ausschreitungen durch den Tod des 17-jährigen Nahel M. Der Jugendliche war am Dienstag bei einer Verkehrskontrolle in der Pariser Vorstadt Nanterre durch den Schuss aus der Waffe eines Polizisten ums Leben gekommen. Er soll nach Angaben des Bürgermeisters von Nanterre, Patrick Jarry, am Samstag beerdigt werden.
Die Unruhen griffen derweil nicht nur auf die belgische Hauptstadt Brüssel über, sondern auch auf französische Überseegebiete in der Karibik, wo ein Mensch durch einen Querschläger ums Leben kam.
Reaktionen der Religionsgemeinschaften
Am Freitag, den 30. Juni, rief die Konferenz der Verantwortlichen der Religionsgemeinschaften in Frankreich (CRCF) in einer Pressemitteilung zur Ruhe auf:
„Wir teilen den Schmerz der Familie von Nahel und beten für sie, insbesondere für seine Mutter. Wir hören den Schmerz und die Wut, die zum Ausdruck kommen“, schreiben die Verantwortlichen. „Wir bekräftigen auch mit einer Stimme, dass Gewalt niemals ein guter Weg ist. Wir bedauern zutiefst die Zerstörung von Schulen, Geschäften, Rathäusern, Transportmitteln... Die ersten, die unter den Folgen davon leiden, sind eben die Bewohner, Familien und Kinder dieser Viertel. Alle Gläubigen sollen heute mehr denn je Diener des Friedens und des Gemeinwohls sein“, fahren sie fort. „Wir alle zusammen stehen zur Verfügung, um dazu beizutragen.“
Chems-eddine Hafiz, der Rektor der Großen Moschee von Paris (GMP), hatte sich bereits am Donnerstag, den 29. Juni, in einer Erklärung geäußert und seine tiefe Erschütterung über den tragischen Tod des jungen Mannes zum Ausdruck gebracht. Auch wenn „Unverständnis, Schmerz und Wut nach einem solchen Drama legitim sind“, rief der Rektor die Jugendlichen dennoch dazu auf, „nicht mit Gewalt zu reagieren, sondern ihre Stimmen zu erheben und sich friedlich zu mobilisieren, damit Nahels Andenken geachtet wird und Gerechtigkeit herrscht“.
Zugang zu Wahrheit und Gerechtigkeit erhalten
Die GMP forderte außerdem die Imame der Großen Moschee von Paris und ihrer Föderation auf, diese Botschaft in ihren Freitagspredigten zu übermitteln. „Es ist die Aufgabe einer religiösen Institution und von Männern des Glaubens, zu zeigen, dass die Beschwichtigung der einzig mögliche und konstruktive Weg zur Wahrheit und Gerechtigkeit ist“, erklärte Chems-eddine Hafiz.
Der Rat der Moscheen der Rhône (CMR), dem rund 40 Moscheen, darunter die Große Moschee von Lyon, angehören, rief ebenfalls zur Beruhigung und zum Dialog auf und erklärte, dass „die Eskalation der Gewalt nichts löst“ und „die Schwierigkeiten der Bürger, die jeden Tag unter ihren schlechten Lebensbedingungen leiden, nur noch größer werden lässt“. Der CMR erklärte, man verstehe „die Wut der jungen Bürger, die in besonderer Weise von diesem Mord betroffen sind, bedauert aber die aufgetretenen Gewalttätigkeiten“.
Vor der CRCF-Mitteilung hatte die katholische Kirche nicht offiziell reagiert. Der Bischof von Nanterre, Matthieu Marie Jean Rougé, Mitglied des ständigen Rates der Französischen Bischofskonferenz, rief jedoch zusammen mit dem Verein FAIR (Fraternité Amicale Interreligieuse de Nanterre) „zum Dialog und zum Frieden“ auf und äußerte sich in der Zeitung „La Croix“, indem er dazu aufrief, „ein Klima der dauerhaften Beruhigung wiederherzustellen“.
Auf lokaler Ebene kam es zu Stellungnahmen von Religionsführern. So sprachen die religiösen Führer der Stadt Trappes (Yvelines) zum allerersten Mal mit einer Stimme, um zu Frieden und Verantwortung aufzurufen. In einer gemeinsamen Erklärung, die am Freitag, den 30. Juni an die Einwohner von Trappes gerichtet wurde, sprachen die katholischen, muslimischen, protestantischen und jüdischen Vertreter der Stadt ihre Gebete für „die Ruhe der Seele von Nahel“ aus.
„Die Aufrechterhaltung des Friedens in Trappes ist unsere gemeinsame Verantwortung“, sagen sie. „Sie ist nicht nur Sache der Ordnungskräfte, sondern auch die aller Eltern und Bürger. Heute und morgen sollten wir also auf unsere Kinder und Jugendlichen aufpassen. Lassen Sie uns in der Familie einen Dialog führen und uns austauschen: Welches Zusammenleben wollen wir wirklich? Welche Grundwerte sind für uns wichtig? Die Debatte und das Wort, nicht die Konfrontation.“
(domradio/la croix)
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