Krieg macht Jerusalem zur Geisterstadt
Das berichtet der Kustos des Heiligen Landes, der italienische Franziskanerpater Francesco Patton, in einem Interview mit Radio Vatikan. „Die Stadt ist leergefegt; nur Polizeipatrouillen sind in Autos, auf Motorrädern und zu Pferd überall zu sehen. Nur wenige Menschen sind in den Straßen unterwegs. Da Kriegszustand herrscht, können auch viele Angestellte nicht zur Arbeit kommen. Die Schulen sind geschlossen; es ist also eine ziemlich desolate Situation.“
Dabei ist die Heilige Stadt in diesen Tagen vom Terror der Hamas und ihren Raketen weitgehend verschont geblieben. Am Montagabend allerdings – nach unserem Gespräch mit Pater Patton – schlugen in Ortschaften in der Nähe Jerusalems Raketen ein, mehrere Menschen wurden verletzt. Seit Beginn des Kriegs am Samstag früh wurden über 900 Israelis getötet und weit mehr als 2.000 verletzt.
Beklemmende Stille in der Heiligen Stadt
„Was die Lage im Süden Israels betrifft, so können wir die Entwicklungen nur über das Internet verfolgen, denn wir haben dort keine direkte Präsenz – nur in Jaffa, Tel Aviv und Ramle. Weiter im Süden sind wir nicht direkt präsent. Die Nachrichten, die uns erreichen, deuten natürlich darauf hin, dass die Kämpfe weitergehen.“
Patton findet die Stille, die derzeit in Jerusalem herrscht, „beklemmend“. Es sei wie in den Tagen der Corona-Lockdowns: Bei einem Rundgang durch das christliche Viertel sei er „keiner Menschenseele“ begegnet. Seit acht Jahren ist er nun in Jerusalem, und eines sei sicher: Die Franziskaner würden nirgendwohin flüchten, sie blieben auf jeden Fall präsent. Ansonsten sei es für ihn „selbst jetzt noch sehr schwierig, einen vollständigen Gedanken darüber zu äußern, was geschehen ist – aber vor allem, was noch geschehen kann“.
Wie es jetzt weitergehen wird? „Das ist sehr schwer zu sagen, denn das Element, das jede Art von Aktion bedingt, ist die hohe Zahl der Geiseln, die von der Hamas genommen und nach Gaza gebracht wurden. Ich denke, dass die israelische Armee innerhalb weniger Tage die Kontrolle über das Gebiet wiedererlangen wird; doch es ist schwierig, Vorhersagen zu treffen, denn man muss auch hoffen und beten, dass jetzt keine weiteren Kriegsherde und Kämpfe aufbrechen. Und natürlich wird die Entwicklung noch viele, viele Tote mit sich bringen.“
Christen in Gaza stehen vor dem Aus
Mit dem (einzigen) katholischen Pfarrer in Gaza, einem Argentinier, der dort eine sehr kleine Gemeinde leitet, hatte Patton bis zum Zeitpunkt unseres Interviews noch keinen Kontakt. „Ich habe nur gehört, dass er in diesen Tagen außerhalb des Gazastreifens war, er war in Bethlehem zu einem Gottesdienst und hat sich dann gleich bemüht, nach Gaza zurückzukehren. Die Nachricht ist, dass die christliche Gemeinschaft in Gaza bisher nicht betroffen ist. Aber es herrscht doch große Angst um das Schicksal der wenigen verbliebenen Christen in Gaza: Wir befürchten, dass dies auch das Ende der christlichen Präsenz in Gaza sein könnte.“
Beten für die vielen unschuldig Ermordeten
Pater Patton sieht sich aber im Moment zu „strategischen und politischen Überlegungen“ eigentlich nicht in der Lage. Er denke und bete unablässig „für die schreckliche Zahl von Opfern, die in den letzten Tagen zu beklagen waren“. Damit meint er vor allem die getöteten israelischen Zivilisten: Unschuldige, die aus heiterem Himmel von Hamas-Terroristen überfallen und niedergemetzelt wurden, vor allem bei einem Rave-Festival und in einem Kibbuz. Viele dieser Opfer seien junge Leute gewesen, so Patton; und dann bete er auch „für die vielen Geiseln, die derzeit in Gaza gefangen sind, darunter ältere Menschen, Frauen und Kinder“.
„Was die Christen im Westjordanland, aber auch hier in Jerusalem betrifft, so sind sie ebenfalls sehr besorgt über die Entwicklung. Eigentlich sind ja die Christen hier das friedlichste Element und am wenigsten erpicht darauf, einen neuen Konflikt zu erleben und inmitten eines neuen Konflikts zu stehen. Denn jeder Konflikt hat dazu geführt, dass auch die christliche Gemeinschaft zahlenmäßig weiter geschwächt wurde.“
Was wird jetzt aus den Christen?
Große Sorgen macht dem Franziskaner der Gedanke, was denn in nächster Zeit mit Pilgerreisen ins Heilige Land wird. Ein großer Teil der Christen in Jerusalem und Bethlehem lebe nun mal von Pilgern: als Reiseführer, Souvenir-Verkäufer, Hotelangestellte. Für sie beginne jetzt womöglich „eine lange Zeit der Untätigkeit wie zur Covid-Zeit – das werde sich natürlich „auf die ohnehin schon sehr prekären Lebensbedingungen auswirken“. Auch die von der Regierung angeordnete Schließung der Schulen macht ihm Kopfzerbrechen: Eigentlich wäre es jetzt doch „angebracht gewesen, den Kindern zu helfen, über das Geschehen nachzudenken und gemeinsam mit ihnen Gedanken für den Frieden zu entwickeln“. Christliche Schulen gehörten zu den wenigen Orten im Heiligen Land, wo so etwas versucht werde.
(vatican news – sk)
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