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Kustos Francesco Patton beim traditionellen Einzug in Bethlehem, mit dem die Adventszeit eröffnet wird Kustos Francesco Patton beim traditionellen Einzug in Bethlehem, mit dem die Adventszeit eröffnet wird 

Patton: Religionen müssen zu Frieden orientieren

Rache und Hass hingegen stellten eine „explosive Mischung“ dar, so der Kustos des Heiligen Landes, der Franziskaner Francesco Patton, im Gespräch mit den Vatikanmedien. Darin beklagt er den dramatischen toten Punkt in den Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas, ebenso wie die Tatsache, dass der Konflikt längst auch Auswirkungen auf das friedliche Zusammenleben in ganz Israel hat.

Die Christen in Bethlehem erwarte mit dem totalen Einbruch des Tourismus, praktisch der einzigen dortigen Einnahmequelle, ein trauriges Weihnachtsfest, so Patton, der trotz der ernsten Lage zu Beginn der Adventszeit den traditionellen Einzug nach Bethlehem durchgeführt hat. 

„Die Situation in Bethlehem ist sehr ernst, denn Bethlehem ohne die Pilger und auch ohne die Touristen ist in der Tat eine Stadt - zumindest für die christliche Komponente - in großer Not. Der Grund dafür liegt auf der Hand, denn die meisten Christen in Bethlehem, unabhängig von ihrer Kirche oder Konfession, arbeiten in Hotels, als Pilgerführer, stellen religiöse Gegenstände her und arbeiten in den kleinen Geschäften, die diese verkaufen. Im Moment ist also diese ganze ,Wirtschaft‘, die mit der Pilgerfahrt zusammenhängt, völlig blockiert. Für mich war und ist der Einzug sehr wichtig, denn er ist in jedem Fall ein Akt mit starkem symbolischen Wert, denn er bedeutet, dass man durch diese Mauer von der israelischen Seite auf die palästinensische Seite kommt.“

Doch die Mauer in den Köpfen der Menschen ist durch den offen ausgebrochenen Konflikt mittlerweile enorm gewachsen, sei doch nun auch das Gleichgewicht, das die Beziehungen zwischen arabisch-stämmigen Israelis und jüdischen Israelis untereinander bestimmte, gestört: „Und daher kommt ein Leben des Misstrauens und der Angst, das Atmen von Rachegefühlen, Hass und Wut. Eine Mischung also, die auch aus emotionaler Sicht explosiv ist.“ 

Eine explosive Mischung

Auch in den palästinensischen Autonomiegebieten seien die Folgen zu sehen, wo seit Beginn des Konflikts mehr als 300 Palästinenser getötet seien sind, beklagt Patton mit Blick auf die ausufernde Gewalt im Westjordanland: „Ich habe gesehen, dass es in dieser Zeit einige Initiativen gibt, sogar auf der Ebene der Vereinten Nationen, um Siedler zu bestrafen, wenn sie Gewalt gegen Palästinenser anwenden, aber wir vergessen, dass die Siedlungen selbst Gewalt gegen die Palästinenser sind. Und dann ist da noch das Problem der kleinen christlichen Gemeinschaft, die in all diesen Gebieten lebt, denn es gibt Christen, die in Israel leben, es gibt Christen, die im Westjordanland leben, es gibt Christen, die im Gazastreifen leben, und es gibt auch Christen, die Militärdienst leisten, wie die Kinder von Wanderarbeitern.“

So gebe es auch Wanderarbeiter, die sowohl unter den Opfern des 7. Oktober als auch unter den Geiseln seien, unterstreicht Patton weiter:  „Einige von ihnen haben auch, ich wage mal zu sagen, ein Beispiel für großen Altruismus gegeben. Letzten Sonntag fand in Jaffa die Taufe der Tochter eines philippinischen Ehepaars statt, das in einem Kibbuz in Gaza arbeitete. Der Ehemann kam ums Leben, wahrscheinlich bei dem Versuch, den älteren Mann zu schützen, um den er sich kümmerte. Seine Frau war nicht zu Hause. Sie brachte das Kind zur Welt und konnte letztlich nur in unsere Gemeinde in Jaffa zurückkehren, um die Taufe ihrer Tochter zu beantragen.“

Kein konkreter Ausweg in Sicht

Was die konkrete Situation in den betroffenen Gebieten angehe, so müsse man derzeit wohl von einem toten Punkt in den Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas ausgehen, sei doch nach dem Scheitern des Waffenstillstands nicht mehr über die Freilassung der Geiseln verhandelt worden und auch der Beschuss sei wieder aufgenommen worden, so Patton in dem Interview, das noch vor dem israelischen Angriff auf die katholische Gemeinde in Gaza an diesem Wochenende aufgezeichnet worden ist: „Es handelt sich auch deswegen um einen toten Punkt, würde ich sagen, weil man keine richtige Perspektive hat, keinen wirklichen Ausweg sieht. Das Risiko, das ich sehe, ist, dass, wenn wir so weitermachen, die Zahl der Todesopfer noch weiter ansteigen wird, ich würde sagen, auf schreckliche Weise. Wir wissen, dass alles am 7. Oktober mit dem Angriff der Hamas begann, mit 1.200 Toten und 250 Verwundeten, aber jetzt hat die militärische Antwort bereits mehr als 18.000 Tote auf der anderen Seite hervorgebracht, und es gibt keine Aussicht auf ein baldiges Ende, und je mehr Zeit vergeht, desto komplizierter werden die Dinge natürlich.“

Doch auch die internationale Diplomatie tue sich schwer damit, Wege zum Frieden zu finden, konstatiert Patton: „Die Diplomatie tut sich schwer, weil es im Moment so viele Gesprächspartner gibt, und die Gesprächspartner, die vielleicht mehr Mitspracherecht hätten, tun sich etwas schwer, sich klar auszudrücken. Ich habe jedoch festgestellt, dass sich die US-Diplomatie in den letzten Tagen neu positioniert hat, was den Zeitpunkt des Kriegsendes, die Frage des Waffenstillstands und andere sehr wichtige Aspekte wie die Zeit nach dem Konflikt betrifft.“

Das Beispiel der Erklärung von Abu Dhabi

Insbesondere die Religionsgemeinschaften könnten in diesem Zusammenhang eine „grundlegende Rolle“ spielen, zeigt sich Patton überzeugt. Viel zu lange seien die Religionen auf globaler Ebene als „irrelevant für politische Prozesse“ angesehen worden, was sich allerdings mittlerweile zu ändern scheine:

„Was können religiöse Führer tun? Meiner Ansicht nach können und müssen die Religionsführer das tun, was Papst Franziskus und der Großimam von al-Azhar, Ahmad al-Tayyib, 2019 mit der Unterzeichnung der Erklärung von Abu-Dhabi getan haben. Das heißt, die religiösen Führer müssen, ich würde sagen, einen Multilateralismus initiieren, in dem sie ihren Gläubigen helfen, eine Interpretation und in einigen Fällen eine Neuinterpretation der heiligen Texte vorzunehmen und diese Neuinterpretation auf eine Kultur der Geschwisterlichkeit und des Friedens auszurichten. Dies ist aus meiner Sicht absolut grundlegend.“

Gegen religiösen Hass predigen

Schließlich seien in diesem Dokument bereits wichtige Forderungen formuliert worden, so der Kustos mit Blick auf die Anerkennung der vollen Staatsbürgerschaft, sei dies für Christen oder die Gläubigen anderer Religionen. „Dies auch in Kontexten mit einer muslimischen Mehrheit, wo wir wissen, dass Christen nach muslimischem Recht nur geduldet werden, aber keine vollen Bürger sind. Die religiösen Führer müssen also in diese Richtung gehen und einen Weg finden, die wichtigsten Ideen von oben nach unten zu bringen. Das heißt, es muss auch eine Erziehung, eine Predigt geben, die dazu beiträgt, dass die religiösen Texte in Richtung Brüderlichkeit und Frieden ausgelegt werden. Das ist notwendig, denn alle religiösen Texte, aber wirklich alle, enthalten leider Ausdrücke, die, wenn sie in einer fundamentalistischen Weise gelesen werden, eher einen Aufruf zur Gewalt darstellen würden.“

Und genau hier sehe er die Aufgabe der religiösen Führer, mit gutem Beispiel voranzugehen und immer weiter daran zu arbeiten, dass gemeinsame Erklärungen veröffentlicht würden: „Sie müssen dies tun, und zwar nicht nur zu zweit, sondern zu dritt, zu viert, zu fünft und immer mehr. Und es ist notwendig, dass diese Art der Orientierung dann von einem Lehramt, das für Spezialisten bleibt, zu einer Verkündigung übergeht, die stattdessen zu den Menschen geht. Dann hätten wir keine Massen mehr, die Initiativen unterstützen, die die politische Dimension mit Formen des gewalttätigen Nationalismus und die religiöse Dimension mit Formen des religiösen Fundamentalismus kurzschließen.“

(vatican news - cs)

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18. Dezember 2023, 13:33