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Rettungskräfte arbeiten an diesem Dienstagmorgen am Ort des jüngsten Raketeneinschlags in Charkiw, wo ein Wohngebäude schwer getroffen wurde Rettungskräfte arbeiten an diesem Dienstagmorgen am Ort des jüngsten Raketeneinschlags in Charkiw, wo ein Wohngebäude schwer getroffen wurde 

Bischof von Charkiw: Kirche hilft Menschen, Würde zu bewahren

In den letzten Wochen gab es im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine besonders viele zivile Opfer zu beklagen. Das teilten die Vereinten Nationen jüngst mit. Vier Zivilisten starben erst an diesem Dienstagmorgen nach einer heftigen Bombennacht. Die Kirche versucht in dieser Situation ihr Bestes, den Menschen weiter zur Seite zu stehen. Wir sprachen mit dem Bischof von Charkiw im Osten der Ukraine, wo trotz allem auch die Gebetswoche für die Einheit der Christen begangen wird.

Svitlana Dukhovich und Christine Seuss - Vatikanstadt

Immer mehr zivile Opfer, und ein Ende der russischen Attacken gegen die Ukraine ist nicht in Sicht. Auch die Vereinten Nationen schlugen in der vergangenen Woche Alarm: Die Anzahl der zivilen Opfer sei insbesondere in den letzten Wochen sprunghaft angestiegen, klagte die Leiterin der Beobachtungsmission, Danielle Bell. Allein in der Zeit zwischen 29. Dezember und 8. Januar seien durch russische Drohnenattacken hunderte Menschen ums Leben gekommen. Erst in dieser Nacht hatten russische Luftangriffe auf die Hauptstadt Kyiv und die besonders schwer umkämpfte ostukrainische Stadt Charkiw vier Tote und rund 60 Verletzte gefordert, teilten lokale Behörden am Dienstagmorgen mit. 21 von 41 abgefeuerten Raketen seien neutralisiert wurden.

Doch trotz der desolaten Situation gibt es auch in Charkiw noch viele Menschen, die bleiben, sei es, weil sie selbst zu gebrechlich sind, um wegzugehen, sei es, dass sie kranke Verwandte nicht im Stich lassen wollen, oder schlicht und ergreifend, weil sie ihre Häuser und ihr Hab und Gut nicht hinter sich lassen wollen. Ihnen allen steht die Kirche bestmöglich zur Seite. In einem Interview mit Radio Vatikan spricht Pavlo Honcharuk, lateinischer Bischof von Charkiw-Saporischschja, über die Schwierigkeiten, die die Menschen unter diesen Umständen haben, wie die Kirche ihnen hilft, und über den ökumenischen Dialog in Kriegszeiten.

Zum Nachhören
Pavlo Honcharuk (l.) mit Nuntius Kulbokas (m.) und dem Exarchen der griechisch-katholischen Kirche von Charkiw, Vasyl Tuchapets (r.)
Pavlo Honcharuk (l.) mit Nuntius Kulbokas (m.) und dem Exarchen der griechisch-katholischen Kirche von Charkiw, Vasyl Tuchapets (r.)

Unvorhersehbare Bombardements

„Unsere Stadt ist einem ständigen, unvorhersehbaren und zerstörerischen Bombardement ausgesetzt. Vor etwa einer Woche sind hier im Stadtzentrum zwei Raketen eingeschlagen, die Wohnhäuser und einen Teil der Poliklinik zerstört haben“, sagt uns der junge Bischof an dem Tag, bevor ein erneuter zerstörerischer Angriff ein weiteres Wohngebäude in seiner Stadt getroffen und drei zivile Todesopfer gefordert hat. Früher hätten die Russen ihre Raketen noch nachts abgefeuert, doch in letzter Zeit bombardierten sie auch abends, wenn die Menschen noch auf den Straßen seien, so der Bischof weiter.

„Diese Situation schafft ein Gefühl der Spannung und der Gefahr“

„Diese Situation schafft ein Gefühl der Spannung und der Gefahr, und wenn die Psyche ständig angespannt ist, stellt sich nicht nur Müdigkeit ein, sondern auch Erschöpfung ein; denn wenn man müde ist, kann man sich ausruhen, aber wenn man erschöpft ist, ist es sehr schwierig, die Ressourcen zur Erholung zu finden.“ Diese ständige Anspannung beeinträchtige natürlich auch die Wahrnehmung und folglich die Qualität der Kommunikation zwischen den Menschen, weshalb Missverständnisse manchmal zu aggressiven Reaktionen führen könnten, klagt er:

„Wir leben unter großem Druck“, fährt Honcharuk fort, „es ist eine Sache, wenn eine Person allein lebt, aber wenn sie jemanden hat, für den sie sorgen muss, Kinder, Ehepartner, Eltern oder jemand anderen, ist es noch schwerer. Die Müdigkeit setzt ein, es ist sehr schwierig, sehr gefährlich und sogar tragisch. Denn oft sehen wir ein schönes Wohnhaus, in dem gestern noch jemand gewohnt hat und in dem das Licht brannte, das dann am nächsten Tag zerstört und mit Schnee bedeckt ist. Wenn ich an einem solchen Gebäude vorbeigehe, das völlig leer und still ist, macht das einen starken Eindruck auf mich. Es ist, als ob es ein Zeichen des Todes wäre.“

Die Kirche, ein Leuchtturm in stürmischer See

Die Präsenz der Kirche sei unter diesen Umständen äußerst wichtig, unterstreicht der Bischof von Charkiw-Saporischschja: „Sie ist wie ein Leuchtturm am Meer, sie muss ein Zeichen des Lichts sein, das anzeigt, wo man Halt und Kraft suchen kann; wo es eine Quelle gibt, an der man sich erfrischen kann. Diese Quelle ist der Herr Jesus, er speist die Seele und nährt den inneren Sinn unserer Identität. Das ist sehr wichtig, denn äußere Krisen, Ungerechtigkeit, Schmerz und Tod verletzen die Grundlagen der eigenen Identität, das Selbstverständnis als Mensch. Andererseits stärkt die Begegnung mit Jesus Christus, der Empfang der heiligen Sakramente oder auch nur das Beten in der Kirche diesen inneren Sinn für den eigenen Wert als Mensch, der darin auch eine Ressource zur Überwindung der Schwierigkeiten und Hindernisse finden kann, denen er oder sie begegnet.“

Die Kirche helfe den Menschen somit, ihre Identität als Mensch und als Individuum zu bewahren und wiederzuentdecken - und sie gebe ihnen die Kraft, vorwärts zu gehen, ihren Nächsten zu verteidigen und ihm zu dienen, zeigt sich Bischof Honcharuk überzeugt: „Deshalb ist die Präsenz der Kirche unter den Menschen, die leiden, auch so wichtig und wertvoll“.

Bischof Honcharuk nimmt Hilfsgüter entgegen (Archivbild)
Bischof Honcharuk nimmt Hilfsgüter entgegen (Archivbild)

Ökumenischer Dialog in Zeiten des Krieges

Seit dem ersten Tag der russischen Invasion hilft die Kirche in der Ukraine den Menschen auf vielerlei Weise. Da geht es nicht nur darum, die geistige und seelische Kraft wiederzuerlangen. Diese Hilfe ist auch verbunden mit konkreter Unterstützung für diejenigen, denen es am Nötigsten fehlt: Unterkunft, Nahrung, Kleidung, Schutz vor Kälte – die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Diese konkrete Mission der Nächstenliebe vereint auch verschiedene christliche Konfessionen, die sich trotz schwieriger Umstände weiterhin um Einheit bemühen. Seit 2015 nehmen Vertreter der verschiedenen Konfessionen in Charkiw an der jährlichen Gebetswoche für die Einheit der Christen teil. Normalerweise beten sie bei dieser Gelegenheit abwechselnd in den Kirchen der Stadt. Und auch dieses Jahr, das vom Krieg geprägt war, war da keine Ausnahme.

Anders als in den Vorjahren dauerte die Initiative jedoch nur drei Tage, da einige Vertreter der Kirchen in der Zwischenzeit die Stadt verlassen haben. Bischof Pavlo Honcharuk berichtet von den Gebetstreffen in der griechisch-katholischen Kathedrale, dann in der römisch-katholischen Kathedrale und in der lutherischen Kirche. „In den Schwierigkeiten, die wir gerade leben, verwandelt sich diese Einheit und gegenseitige Öffnung in einen Raum gegenseitiger Hilfe“, betont der Bischof, der in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass die Zusammenarbeit zwischen den Konfessionen neben den gemeinsamen Gebetstreffen auch im Bereich der humanitären Hilfe stattfinde, wo „alle Trennungen aufgehoben sind“, weil man erkannt hat, dass „wir den Menschen und unserem Land helfen müssen, sich zu verteidigen“.

(vatican news)

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23. Januar 2024, 10:55