„Fiducia supplicans“: Kein Segens-Boom
Darauf weist das katholische französische Radio RCF jetzt in einer Analyse hin. Der Text aus dem vatikanischen Glaubensdikasterium wurde von einigen Verbänden, die homosexuelle Christen vertreten, als Fortschritt begrüßt, blieb jedoch ohne Folgen – zumindest für den Moment. Im Erzbistum Lyon ist bisher, wie in vielen anderen französischen Bistümern, kein einziger Antrag auf eine Segnung gestellt worden.
„Also, der Text entwickelt eine Reflexion über das Segnen und nimmt dabei eine Unterscheidung vor, die man bisher nicht wirklich gekannt und auf die man sich jedenfalls nicht gestützt hat“, erklärt der Erzbischof von Lyon, Olivier de Germay, gegenüber RCF.
„Dass man nämlich einen Unterschied machen muss zwischen einer liturgischen Segnung, die in einem liturgischen Rahmen mit einem von der Kirche anerkannten Ritus vorgenommen wird, in dem die Worte genau gewichtet werden, und auf der anderen Seite einer spontanen Segnung. In unseren Ländern ist das weniger üblich, aber in Lateinamerika zum Beispiel treffen die Leute auf der Straße einen Priester und sagen: Padre, segnen Sie mich – das ist in einigen Ländern etwas sehr Gängiges… und das ist dann eine spontane Segnung. Bisher hat man Personen gesegnet; jetzt schlägt dieser Text vor, auch Paare zu segnen, auch ohne sich die Frage zu stellen, in welcher Situation sie sind.“
„Ein erster großer Schritt“
In der Region Lyon ist Amélie seit acht Jahren mit einer Frau liiert. Sie sind beide praktizierende Katholiken und bereiten sich auf ihre bevorstehende standesamtliche Hochzeit vor. Zunächst waren auch sie von dem Text Fiducia supplicans überrascht, den sie als „ersten großen Schritt“ der katholischen Kirche zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare begrüssen. Amélie hofft, dass ihre Verbindung demnächst gesegnet wird.
„Das bedeutet, vom Herrn begleitet zu werden. Und einen Schutz durch ihn zu bekommen. Das bedeutet, unser Paar, unsere Liebe in seine Hände zu legen. Für mich ist es wichtig, diesen Segen zu erhalten, damit der Herr uns weiterhin schirmt in seiner Liebe. Ein Paar, das ist etwas, das man gemeinsam aufbaut, eine Familie, in welcher Form auch immer… Es ist mir wichtig, meine Liebe dem Herrn anvertrauen zu können.“
Sich einfach so an den Pfarrer wenden?
Amélie würde sich allerdings wünschen, dass sie von der Kirche auf die gleiche Weise begleitet wird wie bei einer Ehevorbereitung. Doch dies ist im Erzbistum Lyon nicht vorgesehen: Die Segnung sei ja nur ein informeller Akt, lautet das Argument. In der „Vereinigten Protestantischen Kirche Frankreichs“ gibt es jedoch eine entsprechende Regelung; hier ist die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare seit 2015 in den Gemeinden, die dies wünschen, zugelassen.
Ein weiterer Punkt, der ein gewisses Hindernis darstellt, ist, dass die betroffenen Gläubigen nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Sie wissen nicht, ob sie ein bestimmtes Prozedere einhalten müssen, und fürchten, dass sie auf Unverständnis und Diskriminierung stoßen könnten, wenn sie sich einfach so an einen Pfarrer wenden.
„Es wäre interessant, einen Priester zu haben, von dem man weiß: Der nimmt mich an, mit dem kann ich über bestimmte Themen, die mit der Homosexualität zusammenhängen, reden, ohne dass der das Gespräch einfach abbricht. Ich kenne nur eine einzige Kirche, wo man mir sagt: Sie sind willkommen! Egal, von welcher Kultur Sie kommen, ob Sie geschieden oder homosexuell sind – Sie sind willkommen! Das ist sehr selten, so etwas zu hören.“
Das Erzbistum Lyon ist sich des Problems bewusst und hat in den letzten Jahren einiges getan, um die Aufnahme homosexueller Menschen zu erleichtern – etwa durch die Einrichtung einer Hotline, die von der Familienpastoral verwaltet wird. Sie heißt „En parler“ – Reden wir mal darüber.
Dem Text Zeit geben
Gabriel Sampaio ist Co-Vorsitzender des Vereins „D&J Regenbogen“, der gegen Homophobie in der Kirche kämpft. Er sagt dem französischen katholischen Radiosender: „Der Februar ist ja nicht unbedingt der typische Hochzeitsmonat, auch wenn der Valentinstag in den Februar fällt. Ich denke, man muss dem Text Zeit lassen, dass ihn jeder in Ruhe studieren kann; das ist ja ein ziemlich dichtes Dokument. Man muss auch der Familienpastoral auf der Ebene der Diözesen, der Pastoralteams und der Pfarreien Zeit lassen, um den Text aufzunehmen. Der entscheidende Punkt ist, dass ein junger Mensch, der homosexuell bzw. lesbisch ist, über diesen Text mit den Leuten in seiner Pfarrei sprechen kann. Ich denke, dass die Bilanz in sechs Monaten oder einem Jahr bereits anders aussehen wird als heute. Der Text ist erst zwei Monate alt, da ist es fast logisch, dass es noch keinen Stau an lauter Segenswünschen gibt! Man muss dem Text einfach Zeit geben, die Segensbitten werden schon kommen.“
Nach Ansicht von Gabriel Sampaio sind erste Auswirkungen dieses Textes aus Rom jetzt schon spürbar: Einige junge Homosexuelle würden jetzt von ihren Familien eher akzeptiert. Schließlich komme es in Frankreich immer noch vor, dass Eltern ihren homosexuellen Teenager unter Druck oder sogar auf die Straße setzen. Auch der Erzbischof von Lyon findet, dass „Fiducia supplicans“ vor allem unseren Blick auf Homosexuelle verändert, die Notwendigkeit ihrer Aufnahme stärker ins Bewusstsein bringt. „Die Frage ist doch, was mein erster Reflex ist, wenn ich mit solchen Personen spreche“, sagt er. „Lege ich den Finger auf das, was nicht stimmt? Oder versuche ich, ein Spiegelbild der Güte Gottes zu sein?“
(rcf – sk)
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