Haiti: Land „in einer Sackgasse“
„Der Rücktritt des Premierministers macht deutlich, dass der Plan der bewaffneten Gruppen, die Macht in Haiti an sich zu reißen, aufgegangen ist“, sagte Schwester Marcella Catozza in einem Interview mit dem vatikanischen Pressedienst Fides. Mehr als dreihundert bewaffnete Banden unter der Führung von Jimmy ‚Barbecue‘ Chérizier hatten zuvor den Rücktritt von Ariel Henry gefordert, der aus dem Ausland bislang nicht nach Haiti zurückkehren konnte.
Gewalt geht weiter
Die Missions-Franziskanerin arbeitet seit zwanzig Jahren in einem Waisenhaus im Armenviertel Wharf de Jérémie in der Hauptstadt Port-au-Prince. In dem Interview sagte sie über die Lage in Haiti: „Die Gewalt geht weiter, wie die Ermordung von sechs Polizisten zeigt. Schulen, Krankenhäuser und Universitäten werden angegriffen, der Terror auf den Straßen geht weiter. Die Menschen haben Angst, es gibt keine Grundversorgung, kein Wasser, es fehlt an allem. Im Moment befinden wir uns in einer Sackgasse“. Nach dem angekündigten Rücktritt des Premierministers gab es den Vorschlag zur Einsetzung eines siebenköpfigen präsidialen Übergangsrats. Derzeit befinde sich Haiti in einer Art Schwebezustand, so Schwester Marcella.
Nachahmung in anderen karibischen Ländern befürchtet
Die Ordensfrau befürchtet, dass das haitianische „Modell“ in anderen karibischen Ländern nachgeahmt werden könne, „gerade weil die haitianischen Banden bekommen haben, was sie wollten“. Jetzt könne jeder versuchen, auf dieselbe Weise zu bekommen, was er wolle. „Die Amerikaner haben die Gewässer vor Florida blockiert, weil sie einen Massenexodus von Flüchtlingen befürchten, unter die sich vielleicht auch kriminelle Bandenelemente mischen könnten“, berichtet Schwester Marcella.
Banden bekommen Drohnen und moderne Waffen
Eine der Banden sei direkt neben ihrem Waisenhaus stationiert, „und wir sehen, wie Kisten mit neuen Waffen ankommen, und wir hören, wie sie sie testen“. Die Ordensfrau geht davon aus, dass jemand hinter dem Zusammenschluss der Banden steckt, „auch weil die Waffen, die ich bei ihnen gesehen habe, sehr modern sind. Diese Kriminellen haben Drohnen, es ist nicht so, dass sie nur Macheten haben, die haben sie auch, aber sie haben hauptsächlich Gewehre und Maschinengewehre“.
Viele junge Menschen zwangsrekrutiert
Zusätzlich zu den Waffen treffen immer wieder, so erzählt Schwester Marcella, „neue Soldaten“ ein: Jungen, die auf der Straße rekrutiert werden, weil sie hungern. „In einigen Fällen habe ich gesehen, dass die Banditen in unserer Gegend von Tür zu Tür gehen. Sie dringen in die Häuser ein und nehmen die Jugendlichen der Familien mit. Deshalb haben wir im Juni und Juli versucht, die männlichen Jugendlichen, die in unserer Einrichtung untergebracht sind, woanders unterzubringen, weil die Gefahr bestand, dass sie in Banden zwangsrekrutiert werden“, so die Ordensfrau. Die jungen Menschen seien nun „leichte Beute“ für kriminelle Banden, die ihnen einen Teller Reis und eine Waffe anbieten, „die ihnen Macht verleiht“.
(fides / vatican news – vn)
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