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Dr. Anthony Ssembatya Kimbowa aus Uganda Dr. Anthony Ssembatya Kimbowa aus Uganda  (Anthony Ssembatya Kimbowa)

Soziologe aus Uganda: „Auch ein Anfang zum Diskutieren“

Dass der Vatikan formlose Segnungen homosexueller Paare erlaubt hat, erregt in vielen afrikanischen Ländern die Gemüter. Das beobachtet auch der afrikanische Soziologe Anthony Ssembatya Kimbowa im Interview mit Radio Vatikan. „Fiducia supplicans“ könne in Afrika aber auch Prozesse in Gang setzen, die „wichtig“ seien, glaubt der katholische Menschenrechtler aus Uganda.

Anne Preckel – Vatikanstadt

„Ich glaube, dieses Schreiben wurde nicht sehr gut, nicht sehr positiv aufgenommen in Uganda und auch in anderen Ländern Afrikas“, gibt Anthony Ssembatya Kimbowa seinen Eindruck wieder. Das zeige sich auch in der SECAM-Stellungnahme vom Januar, erinnert der Soziologe: Der gesamt-afrikanische Bischofsrat hatte zum Vatikan-Papier „Fiducia supplicans“ eine klar ablehnende Haltung eingenommen. Segnungen von homosexuellen Paaren könnten in Afrika nicht durchgeführt werden, weil sie den kulturellen Gepflogenheiten widersprächen, hieß es.

„Nicht vorbereitet“

SECAM-Präsident Kardinal Ambongo Besungu von Kinshasa sprach von einer regelrechten „Schockwelle“, die „Fiducia supplicans“ bei Gläubigen ausgelöst habe. „Der Grund war: Es gab keine Vorbereitung“, ordnet Ssembatya diese Reaktionen im Gespräch mit Radio Vatikan ein. „Die Bischöfe waren vorher nicht informiert über dieses Dokument, und ich glaube, auch die Bevölkerung, die Christen in diesen Ländern, waren nicht vorbereitet“.

„Einige Länder ziehen es vor, mehr Zeit für die Vertiefung von ,Fiducia supplicans‘ zu haben“, ist dann auch der SECAM-Stellungnahme weiter zu entnehmen. Zugleich betont das Papier, dass die Seelsorge der afrikanischen Kirche unterschiedslos allen Menschen gelte. Personen mit homosexuellen Neigungen sollten „mit Respekt und Würde behandelt werden“, auch wenn nach Lehre der Kirche „homosexuelle Partnerschaften dem Willen Gottes widersprechen“.

Der Katechismus der Katholischen Kirche definiert gelebte Homosexualität als „Sünde“, betont aber zugleich, dass homosexuellen Menschen „mit Achtung, Mitleid und Takt“ zu begegnen sei. „Man hüte sich, sie in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen“, heißt es darin (2358). Auch Franziskus‘ Erklärung „Fiducia supplicans“ stützt sich auf diese Grundüberzeugung, und der Papst bemüht sich um einen pastoralen Umgang mit homosexuellen Menschen.

Von Haft bis Todesstrafe

Anthony Ssembatya Kimbowa ist promovierter Soziologe mit Schwerpunkt Frauen- und Kinderrechte und unterstützt derzeit gemeinsam mit katholischen Ordensfrauen (Internationale Vereinigung von Generaloberinnen, UISG) Waisenkinder in mehreren afrikanischen Ländern. Er pendelt zwischen Berlin, wo er lebt, Rom, wo er an der Gregoriana forscht und seiner Heimat Uganda. Menschenrechte seien in seinem Heimatland selbst bei Christen nicht unbedingt ein Thema: „Sie haben keine Erfahrungen, Ideen oder Informationen darüber“, merkt der junge Katholik an. Auch deshalb habe „Fiducia supplicans“ sie „unvorbereitet“ getroffen, wie er formuliert.

Ssembatya schildert, was Homosexuellen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in Uganda passieren kann: „20 Jahre oder mehr muss man ins Gefängnis, wenn man homosexuell ist“, bei Sex mit einer HIV-Infektion drohe sogar die Todesstrafe. Auch Aktivisten und Menschenrechtler, die sich für Homosexuelle einsetzen, können in Uganda bis zu 20 Jahre inhaftiert werden.

Angespannter Kontext

In diesem Klima sei die Reaktion von Ugandas Kirche auf „Fiducia supplicans“ verhalten ausgefallen, berichtet Ssembatya, es habe auch keine offizielle Stellungnahme eigens aus Ugandas Kirche gegeben. Wohl aus Angst seien Bischöfe „sehr vorsichtig“ gewesen, erläutert er, „denn sie könnten selbst auch ins Gefängis kommen“. Das gelte auch für „Bischöfe, die neutral sind“ und hinter einer „pastoralen Unterstützung“ von Homosexuellen und LGBT- Personen stünden. Sie äußerten sich aufgrund der Sorge um negative Reaktionen in ihren Gemeinden nicht offen. „Die Antwort ist Schweigen“, fasst der Menschenrechtler seine Wahrnehmung der kirchlichen Antwort in diesem angespannten Kontext zusammen.

Die Diskriminierung von Homosexuellen in Uganda ist kein Einzelfall in Afrika. Insgesamt „gibt es in über dreißig afrikanischen Staaten Gesetze gegen die Rechte homosexueller Menschen“, erinnert Ssembatya. Mindestens Haftstrafen sind in fast allen Ländern Ostafrikas vorgesehen, in einigen auch die Todesstrafe. Als eines der „schlimmsten seiner Art in der Welt“ bezeichnete UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk das Gesetz in Uganda, das zuletzt noch einmal verschärft wurde. Er kritisierte es als Freibrief zu einer „systematischen Verletzung“ der Menschenrechte. Aus Uganda selbst ist eine solche Kritik kaum zu hören, auch nicht von Seiten der Kirche.

Anthony Ssembatya zu Reaktionen auf Fiducia supplicans

Kulturelle Aspekte

Bei der Ablehnung der Homosexualität kämen mehrere Aspekte zusammen, erläutert Ssembatya. „Es gibt den Aspekt des Gesetzes, den Aspekt des Glaubens, aber es gibt auch Aspekte der Kultur.“ Eines ist sicher: „Fiducia supplicans“ trifft in Afrika auf Befindlichkeiten, die sehr anders sind als in westlichen Breiten und die die meisten Europäer vielleicht auch kaum nachvollziehen können. In einigen afrikanischen Kirchenkreisen werde das Papier aus Rom als unpassende Einmischung erlebt, berichtet der ehemalige Priesteramtskandidat, der in Uganda bis heute gut im kirchlichen Kontext vernetzt ist:

„Ich habe konkrete Reaktionen von Bischöfen, Priestern und Studenten im Priesterseminar mitbekommen, die den Text nicht als theologisches, sondern politisches Schreiben sahen, als Beitrag der westlichen Kirche für die Globalkirche, aber allein aus ihrer Perspektive als westliche katholische Länder“, fasst er die Skepsis von Kirchenvertretern in Uganda in Worte. 

Der Erzbischof von Kinshasa, Kardinal Fridolin Ambongo Besungu, wählte in diesen Tagen noch krassere Worte, als er im Fernsehkanal KTO sagte, der afrikanische Kontinent erlebe die Segenserlaubnis als „kulturelle Kolonialisierung des Westens“. Auch von afrikanischen Politikern ist öfters zu hören, Homosexualität sei eine „Ideologie des Westens“. 

Ein anderer kultureller Aspekt ist die Sexualmoral. In den traditionellen christlich und muslimisch geprägten Gesellschaften Afrikas ist im Allgemeinen nur eine heterosexuelle und auf Nachkommenschaft ausgerichtete Sexualität akzeptiert. Das trage zu einer Delegitimierung homosexueller Beziehungen bei, so Ssembatya: „In vielen Ländern, vielen Kulturen und Stämmen, denken die Leute, dass es allein Sex zwischen einem Mann und Frau geben darf und dass der Hintergrund dabei sein muss, dass die Leute dann Kinder bekommen“. Unter bestimmten Umständen könne dieses Denken eine negative Sicht auf LGBT-Menschen mit sich bringen.

Viele junge Menschen und viele Berufungen

„Uganda ist ein Land, wo 57 Prozent der Menschen unter 30 Jahre alt sind, es handelt sich um eines der jüngsten Länder der Welt“, gibt Ssembatya dann weiter zu bedenken. In Ugandas junger, Internet-affineren Generation sei die Sicht auf Sexualität etwas weniger eng, beobachtet er. Vor allem die heute unter 30-Jährigen seien „ein bisschen offener“. Mit der Technisierung und dem Internet gebe es mehr Informationen, auch Themen wie Menschenrechte und Freiheit rückten damit stärker in den Fokus.

Das habe Auswirkungen, so der Soziologe: „Diese Generation wird eine andere Meinung, ein anderes Denken haben.“ Auch in der Kirche werde sich dies früher oder später bemerkbar machen, glaubt Ssembatya, der daran erinnert, dass in Uganda viele junge Leute Priester oder Ordensschwestern werden wollten - die Zahl der Berufungen ist im Vergleich zu Europa hoch.

„Darüber nachdenken, dass alle Kinder Gottes sind“

Ssembatya liegt der Schutz der Menschenrechte am Herzen, auch der von homosexuellen Menschen. Er persönlich wünscht sich ein Umdenken bezüglich der Diskriminierung dieser Personen im „Bildungssystem, der Kultur und Kirche – nicht nur für Uganda, sondern für ganz Afrika“. In dieser Optik begrüßt er Papst Franziskus‘ Segenserlaubnis; denn: Kann damit nicht auch das Thema Menschenrechte in Uganda stärker ins Bewusstsein rücken? - fragt Ssembatya Kimbowa.

„Die Christen kommen dann vielleicht in eine offene Diskussion, in ein Nachdenken über die Menschen an der Grenze, der Peripherie, wie der Papst es sagt. Sie könnten darüber nachdenken, dass alle Kinder Gottes sind. Ich glaube, diese Diskussion ist sehr wichtig. Das Dokument wäre dann nicht nur für Uganda gut. Meinem Verständnis nach wäre es ein Anfang zum Diskutieren - über das Verhältnis zwischen Glauben und Kultur, über Gott und seine Barmherzigkeit“.

Thema wird Weltkirche weiter beschäftigen

Kontroversen gab es dem Vernehmen nach um das Thema sexuelle Minderheiten auch bei der ersten Runde der Weltsynode in Rom im vergangenen Oktober. Für die zweite Runde der Synode, die sich dem Thema der Synodalität widmet, entschied Papst Franziskus, Sachthemen in Arbeitsgruppen auszulagern. In der Arbeitsgruppe Nummer 9, „Theologische Kriterien und synodale Methoden für eine gemeinsame Unterscheidung von kontroversen lehrmäßigen, pastoralen und ethischen Fragen“ könnte eventuell auch das Thema Homosexualität Platz haben.

In Afrika kann sich eine Mehrheit der katholischen Kirche einen Segen für homosexuelle Paare, sei er auch „nicht-liturgisch“ einfach nicht vorstellen, worauf die SECAM-Stellungnahme hindeutet. Wenige Tage nach dem Statement des gesamt-afrikanischen Bischofsrates vom 11. Januar war die Nordafrikanische Bischofskonferenz CERNA zwar von dieser Position abgewichen und hatte eingeräumt, über das Thema der Segnungen müsse auf weltkirchlicher Ebene noch einmal gesprochen werden. Diese Bischofskonferenz besteht allerdings fast ausschließlich aus Europäern. In ganz Nordafrika (ohne Ägypten) gibt es weniger als 100.000 Katholiken. Im Vergleich: in Südafrika sind es 3,5 Millionen, in ganz Afrika 270 Millionen.

Papst sieht keinen Grund für Spaltung

Für Diskussionsstoff hat die Segenserlaubnis „Fiducia supplicans“ aber nicht nur in Afrikas Kirche gesorgt, wie internationale Reaktionen zeigen. Angst vor einer Kirchenspaltung hat der Papst dennoch nicht: Wenn Bischöfe diesen Weg nicht mitgingen, „bedeutet das nicht, dass dies der Vorhof zu einem Schisma ist, denn die Lehre der Kirche wird nicht in Frage gestellt“, betont Franziskus in seiner jüngsten Autobiografie „Leben - Meine Geschichte in der Geschichte“, die diese Woche in verschiedenen Sprachen erschienen ist.

Der afrikanische Soziologe Ssembatya denkt, dass Kirche weltweit Werte der Toleranz berücksichtigen sollte. Dies sei „nicht nur eine Frage der Menschenrechte, sondern eine Frage des Glaubens“, ist der junge Katholik und Menschenrechtler überzeugt.

(vatican news)

 

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18. März 2024, 08:24