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Gedenken an den Völkermord von 1994 im Kigali Genocide Memorial Center Gedenken an den Völkermord von 1994 im Kigali Genocide Memorial Center 

Ruanda: Kirche hilft bei Völkermord-Aufarbeitung

30 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda bemüht sich die Ortskirche mit einer Pastoral der Versöhnung und Bildungsarbeit aktiv um den gesellschaftlichen Wiederaufbau. Der Erzbischof von Kigali, Kardinal Antoine Kambanda, berichtet darüber im Interview mit Radio Vatikan.

Stanislas Kambashi, SJ – Vatikanstadt

Der Massenmord begann am 7. April 1994, vor 30 Jahren. Am Vortag war der ruandische Präsident Juvenal Habyarimana bei der Explosion seines Flugzeugs in Kigali ums Leben gekommen. Es war der Auftakt eines unglaublichen Gemetzels; über eine Million Menschen wurde an den folgenden einhundert Tagen in Ruanda regelrecht abgeschlachtet: „Es war ein unglaubliches Ereignis, eine unglaubliche Tragödie, etwas noch nie Dagewesenes. Man sieht wirklich die Schwere der Sünde, des Hasses und wie viel Schaden sie anrichten kann. Die systematische Ausrottung eines Volkes im 20. Jahrhundert, vor den Bildschirmen der Welt, ohne Hilfe, Vergewaltigungen und Folterungen, schändliche Demütigungen. Es war wirklich eine schreckliche Situation und sehr schwer zu erklären“, erinnert Kardinal Antoine Kambanda im Interview mit Radio Vatikan an die Schrecken des Völkermordes.

Er selbst habe sich zwar zu dieser Zeit außerhalb Ruandas befunden, vor seiner Abreise aber schon Vorzeichen wahrnehmen können: „Sechs Monate zuvor war ich zum Studium nach Rom geschickt worden. Aber bevor ich 1993 nach Rom ging, sah ich den Beginn dieses Völkermords, Menschen, die als Tutsi identifiziert worden waren, wurden getötet. Persönlich entkam in meiner Kernfamilie von neun Personen, die zu Hause waren, nur eine Person. Benachbarte Familien wurden vollständig ausgelöscht. Wir haben das mit viel Kummer und Leid erlebt.“

Johannes Paul II.

Zwei Jahre nach dem Völkermord habe der damalige Papst Johannes Paul II. 1996 den neuen Botschafter Ruandas beim Heiligen Stuhl empfangen und dazu ermutigt, „Wege zu einer echten Versöhnung im Dialog und in der Achtung der Gerechtigkeit zu suchen“. Er habe zugleich betont, dass „echte Versöhnung zwischen allen Ruandern nur in der Wahrheit und im wiedergefundenen gegenseitigen Vertrauen erreicht werden kann“, erinnert der Erzbischof.

Nach Papst Johannes Pauls Appell habe Ruandas Kirche ihre Pastoral auf Versöhnung ausgerichtet, so Kardinal Kambanda. Unmittelbar nach dem Völkermord habe man sich etwa zunächst für eine würdige Bestattung der Toten und die Ermöglichung von Trauer eingesetzt. Auch habe die Caritas Überlebenden durch den Bau von Häusern geholfen, die gemeinsam errichtet wurden.

Versöhnung

Um Versöhnung in der Bevölkerung zu ermöglichen, habe die Kirche eine „Methodik“ entwickelt. Dabei gehe es um das Entwickeln von Mitgefühl und Empathie für andere, die auch gelitten haben: „Es geht darum, sich in kleinen Gruppen zusammenzusetzen, in den kirchlichen Basisgemeinschaften, wo jeder seine Leidensgeschichte erzählt und die anderen ihm ohne Urteil zuhören. Und wenn wir das Leiden des anderen verstehen, lässt dieses Leiden uns alle leiden. Das heißt, es bringt uns dazu, Mitgefühl zu empfinden. Und das ist eine offene Tür zur Vergebung durch eine Pastoral der Versöhnung.“

Bei dieser Pastoral habe es viele Herausforderungen gegeben, fährt der Kardinal fort, denn der Völkermord habe selbst Familien tief gespalten. Er sei „das Ergebnis einer langen Geschichte der divisionistischen Ideologie“ gewesen, „einer Politik der Spaltung des Volkes“. Der Erzbischof erläutert:

„Auf Personalausweisen standen verschiedene Ethnien, was bis in die Familien hinein zu Spaltungen beitrug. Denn wenn es gemischte Familien gibt, ist die Identität des Kindes die ethnische Zugehörigkeit des Vaters. Dies führte zu unglaublichen Dramen, bei denen eine Mutter ihre Kinder denunzieren konnte oder Onkel sogar Nichten und Neffen töten konnten, weil sie nach dieser Politik nicht der gleichen Ethnie angehörten. Der Völkermord betraf also die intimsten menschlichen Beziehungen.“

Auch bei der Suche nach Gerechtigkeit seien viele Hürden zu überwinden gewesen. Das Ausmaß der Gewalt habe ganze Institutionen zerstört, viele Richter waren gestorben. „Die klassische Justiz konnte nicht funktionieren. Wir hatten mehr als 120.000 Gefangene und rechneten damit, dass es mehr als 100 Jahre dauern würde, bis man Gerechtigkeit erlangt. Es waren die Gacaca-Gerichte nach der traditionellen Justiz, die das Problem lösen und Gerechtigkeit für alle erreichen konnten“, verweist er auf die vorübergehende Inanspruchnahme lokaler traditioneller Ältestengerichte in dieser Zeit in Ruanda. Für die strafrechtliche Aufarbeitung war 1994 vom UN-Sicherheitsrat ein internationales Tribunal zur strafrechtlichen Aufarbeitung eingesetzt worden, das die Aufgabe hatte, die Planer und Organisatoren des Völkermords abzuurteilen.

Die Rolle der Kirche

Die Kirche habe sich auf verschiedenen Ebenen engagiert, um zur Aufarbeitung beizutragen. Einerseits durch praktische Hilfen: So seien etwa „Mikrofinanzierungen für die Armen“ bereitgestellt worden. Auch habe man Gedenkstätten installiert und gefördert, um das Geschehene nicht zu vergessen und zu Versöhnung beizutragen. „Es gibt sogar Kirchen, die zu Gedenkstätten geworden sind. Außerdem findet am ersten Sonntag im Mai in allen Kirchen ein Gebet für die Opfer des Völkermords statt. Die Kommission für Gerechtigkeit und Frieden hat sich all diese Jahre auch engagiert. Die Kirche hat sich an den Gacaca-Gerichten beteiligt, und wir haben in den Diözesen Zentren für Versöhnung eingerichtet“, zählt er auf.

Ein großer Teil der Schulen in Ruanda sind katholische Schulen. Auch an diesen Orten bemühe man sich bis heute darum, Dialog und Verständnis zu fördern: „In unseren Schulen sind wir sensibel und lehren Einheit und Versöhnung. Wir bestehen darauf, dass man sich nicht an ethnischen Unterschieden festhält, sondern sich als Ruander und damit als Geschwister identifiziert. Auch der Staat hat das ethnische Gleichgewicht, das zuvor in den Schulen bestand, abgeschafft. Das heißt, die Kinder wurden nach der vom Staat festgelegten Anzahl und nach Ethnien unterrichtet. Dies war sehr gefährlich, da es die Leistung und die Freiheit der Jugendlichen einschränkte. Diese Gerechtigkeit, die bis in die Bildung vorgedrungen ist, hilft uns dabei, die Bedeutung von Einheit und Gerechtigkeit zu betonen.“

Damals, 1994

1994 hat im Vatikan eine Bischofssynode für Afrika (10.04.-08.05.1994, „Die Kirche in Afrika und ihr Evangelisierungsauftrag“) stattgefunden. Seitdem sei in Punkto Frieden und Versöhnung einiges in der gesamtafrikanischen Kirche passiert, so der Erzbischof von Kigali, so sei im kongolesischen Bukavu ein Institut für Frieden und Versöhnung eingerichtet worden, dessen Arbeit in andere Länder ausgeweitet werde. Auch seien Frieden und Versöhnung noch mehr in den Fokus des Betens und der Zusammenarbeit gerückt.

Papst Johannes Paul II. hatte am 15. Mai 1994 darauf verwiesen, dass für den Völkermord in Ruanda „leider auch die Katholiken verantwortlich“ gewesen seien. Inwiefern hat Ruandas Kirche die Aufarbeitung auch auf die eigenen Reihen gerichtet? Dazu der Erzbischof von Kigali:

„Wir haben eine Sondersynode abgehalten, vor allem in den Jahren 98-99, als wir uns auch auf das Jubiläum im Jahr 2000 vorbereiteten. Und auf dieser Synode haben wir eine Art Gewissenserforschung durchgeführt. Wir setzten uns in kleinen Gruppen zusammen und hörten dem Anderen und seinem Leiden zu. Auch das Jahr der Barmherzigkeit hat uns geholfen. Wir haben ein Dreijahresprogramm entwickelt: das Jahr der Barmherzigkeit, das Jahr der Versöhnung mit Gott und 2017 das Jahr der Versöhnung mit uns selbst, auch innerhalb der Kirche. In der pastoralen Begleitung wurden die Menschen ermutigt, zu beichten, da die Teilnahme an den Gacaca-Gerichten sehr schwierig war und die Menschen gezwungen waren, sogar ihre Familienmitglieder zu denunzieren.“

Dass Ruanda es geschafft habe, in den letzten 30 Jahren Wege der Versöhnung und der Einheit einzuschlagen, dafür sei er tief dankbar, so der Kardinal abschließend. „Wie der heilige Paulus sagt, sehen wir hier, dass dort, wo die Sünde überreichlich vorhanden war, die Gnade überreichlich vorhanden ist. Denn dass ein Land, das zerstört war, eine Gemeinschaft, die zerrissen war, nun vereint ist und zusammenarbeitet, um sich zu entwickeln, ist wirklich die Gnade Gottes.“

Hier zum Hören

(vatican news – pr)


 

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08. April 2024, 14:44