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Ivonne van de Kar aus den Niederlanden ist für das Netzwerk RENATE vertreten Ivonne van de Kar aus den Niederlanden ist für das Netzwerk RENATE vertreten  

Ordensleute gegen Menschenhandel: Ausbeutung geschieht überall

Ordensleute sind an vorderster Front und gut vernetzt, um gegen Menschenhandel zu kämpfen, der teils direkt und unbemerkt in der Gesellschaft stattfindet. Derzeit tagt das weltumspannende Netzwerk Talitha Kum in Sacrofano bei Rom, wir sprachen mit Teilnehmerinnen.

Svitlana Dukhovich, Deborah Lubov und Christine Seuss - Vatikanstadt

Ivonne van de Kar kommt aus den Niederlanden; sie ist eine von zwei Vizepräsidentinnen des Europäischen Netzwerkes von Ordensgemeinschaften gegen Menschenhandel RENATE. Im Gespräch mit Radio Vatikan würdigt sie den Aktionsplan der Deutschen Bischofskonferenz gegen Menschenhandel und appelliert an alle, auch beim persönlichen Erwerbsverhalten für Lieferketten aufmerksam zu bleiben. RENATE ist das Europäische Netzwerk von Religiösen Organisationen gegen Menschenhandel, eine der zahlreichen Institutionen, die sich in dem Netzwerk Talitha Kum zusammengeschlossen haben, das vor 15 Jahren von Ordensfrauen ins Leben gerufen wurde. Menschenhandel geschieht überall, in allen Gesellschaften, auch wenn wir dies oft nicht wahrhaben wollten, gibt Ivonne van de Kar zu bedenken:

„Überall. Das kann man gar nicht glauben, aber es geht um Ausbeutung, sexuelle Ausbeutung, aber auch in Fabriken, in einem Geschäft… Überall werden Menschen ausgebeutet und es ist sehr wichtig, dass wir davon wissen und dass wir uns das (bei Veranstaltungen wie diesen, An, d. R.) gegenseitig erzählen, aber auch anderen Leuten gegenüber, und es ist sehr wichtig, dass wir wissen, was unsere Mitschwestern in anderen Ländern machen, was die anderen machen und wogegen sie kämpfen. Und das ist, glaube ich, das das Wichtigste, wofür wir hier sind, um voneinander zu lernen und zu hören, was geht vor in Libanon oder in Simbabwe oder in Australien. Menschenhandel gibt es überall, es ist überall ein bisschen anders, aber es gibt ihn überall und überall werden Leute ausgebeutet.“

Zum Nachhören

„Menschenhandel gibt es überall, es ist überall ein bisschen anders, aber es gibt ihn überall und überall werden Leute ausgebeutet“

Meistens seien es Frauen, die in die unbarmherzige Maschinerie der sexuellen Ausbeutung gerieten, aber auch Kinder und Männer – keiner ist wirklich sicher, der sich in finanzieller Not, auf der Flucht oder in sonstigen Schwierigkeiten befindet. Dabei gehe es nicht nur um Zwangsprostitution. Besonders wichtig findet von de Kar, dass ganz normale Verbraucher sich ihres Konsumverhaltens bewusst würden und genau hinschauten, wo ein Produkt oder eine Dienstleistung herkomme:

„Also, wenn man eine neue Bluse kauft, wo kommt die her? Wo wurde die gemacht? Welche Kinder haben daran gearbeitet? Oder wenn in meiner Kirche die Wäsche gemacht wird, welche Organisation macht das für unsere Kirche? Wer macht das? Was sind das für Leute und wo kaufen wir in unserer Kirche ein? Sind das vielleicht Migranten, bekommen sie ein normales Einkommen? Können Sie davon leben? Wo arbeiten sie? Wo kaufen wir unsere eigenen Sachen? Als Kirche, als Person und als Organisation? Die Menschen werden ausgenutzt, hier bei uns, aber auch wenn wir etwas kaufen, das in China oder in Taiwan produziert wurde.“

In diesem Zusammenhang würdigt van de Kar auch den Aktionsplan gegen Menschenhandel, den die Deutsche Bischofskonferenz im Dezember 2022 nach zweijähriger gemeinsamer Arbeit mit der Santa Marta Group vorgestellt hat. Mit neun konkreten Handlungsempfehlungen geben die zu Rate gezogenen Experten Hinweise darauf, wie Menschenhandel auch auf Ebene der Politik und der Strafverfolgungsbehörden unterbunden werden kann.

„Wir haben von diesem Aktionsplan der Deutschen Bischofskonferenz gehört und wir benützen das auch in Europa, weil das so wichtig ist“, unterstreicht van de Kar: „Wo geschieht Ausbeutung, und wo kann man etwas tun? Es ist nicht immer weit weg. Manchmal ist es ganz, ganz nah.“

Angeregte Beratungen
Angeregte Beratungen

Von Betroffener zur Helferin

Dem kann Kris, unsere zweite Gesprächspartnerin, nur beipflichten. Sie ist selbst eine Überlebende des Menschenhandels, die eigentlich aus einer wohlhabenden Familie stammt, als naive Teenagerin jedoch aus einem Zug gelockt und in einer amerikanischen Großstadt zur Prostitution gezwungen wurde. Auch sie nimmt an der 2. Generalversammlung von Talitha Kum in Sacrofano, nördlich von Rom, teil. Kris ist mittlerweile zu einer gefragten Expertin auf dem Gebiet geworden. Derzeit ist sie als Geschäftsführerin des Justice Project KC, einer gemeinnützigen Menschenrechtsorganisation in Kansas City, Missouri, tätig und steht Frauen und Mädchen in Armut mit Rat und Tat zur Seite. Außerdem ist sie Mitglied der Koalition gegen Menschenhandel des US-Justizministeriums und des Beratungsausschusses für Menschenhandel des Generalstaatsanwalts von Kansas.

„Es muss einen Sprachwechsel von Opfer zu Überlebender zu Erfolgsträger geben, denn wenn Menschen als Opfer bezeichnet werden, verändert das ihr Selbstbild“

„Als jemand, der sexuelle Ausbeutung überlebt hat und jetzt in diesem Bereich mit anderen Betroffenen arbeitet, denke ich wirklich, dass die Welt diese Menschen bedingungslos akzeptieren und lieben muss“, zeigt sie sich im Gespräch mit Vatican News überzeugt. Dabei fordert sie auch einen Bewusstseinswandel im Umgang mit Betroffenen: „Es muss einen Sprachwechsel von Opfer zu Überlebender zu Erfolgsträger geben, denn wenn Menschen als Opfer bezeichnet werden, verändert das ihr Selbstbild“, so die Expertin, die selbst dunkle Zeiten als Sex-Sklavin mitten in einer amerikanischen Großstadt hinter sich hat.

Teilnehmer an der 2. Generalversammlung von Talitha Kum
Teilnehmer an der 2. Generalversammlung von Talitha Kum

Männliche Betroffene fallen durchs Raster

Es brauche auf Seiten der Gesellschaft mehr „Inklusivität“ für die vielen Betroffenen, „einschließlich unserer Trans-Opfer“, die „mit viel Hass konfrontiert“ seien, ebenso „für Männer und Jungen, die manchmal durchs Raster“ fielen. Die gesamte Gesellschaft müsse „weniger voreingenommen“ sein, „ihre Vorurteile beiseite lassen“ und „anderen helfen, für sich selbst Gerechtigkeit zu erlangen“, so die Forderung der Expertin. Mit Blick auf die Vollversammlung von Talitha Kum, bei der Ordensleute, vor allem Schwestern, und engagierte Laien aus der ganzen Welt zusammenkommen, die sich dem Kampf gegen Menschenhandel verschrieben haben, betont Kris, dass sie sich bei der nächsten Veranstaltung einen ganz bestimmten Schwerpunkt wünschen würde:

„Ich würde mir wünschen, dass sie sich mit der ,Nachfrage‘, den Käufern, befassen, weil sie die Ursachen angehen wollen. Es gibt zwar eine Reihe von Ursachen, aber eine der Hauptursachen ist, dass die Menschen immer noch bereit sind, andere Menschen zu kaufen.“ Mit einem Augenzwinkern argumentiert sie in diesem Zusammenhang auch mit einer uralten Weisheit der Marktwirtschaft: „Wenn die Leute nicht kaufen, ist es viel schwieriger zu verkaufen. Ich meine, das ist die grundlegende kapitalistische Theorie. Wenn Sie keine Käufer für Ihr Produkt haben, ist es viel schwieriger, das Produkt zu verkaufen. Das ist es, was ich gerne sehen würde.“

„Wenn man keine Käufer für sein Produkt hat, ist es viel schwieriger, das Produkt zu verkaufen“

Doch dazu brauche es viel Aufklärung, insbesondere von Männern und Jungen, darüber, dass es falsch sei, „Frauen und Mädchen nur als Spielzeug für Männer zu verdinglichen“.

Darüber hinaus bekräftigte Kris die Notwendigkeit, „die Gleichstellung von Frauen auf allen Ebenen, in allen Phasen, in allen Ländern und überall“ zu fördern und stets auf eine größere Gleichstellung hinzuarbeiten: „Insbesondere die Strafverfolgungsbehörden müssen sich mit der Nachfrage befassen, und dort, wo ich lebe, geschieht das bereits. Und wenn diese Menschenhändler rechtlich und finanziell bestraft werden, ziehen sie sich oft zurück, und das macht einen Unterschied. Wir haben das in meinem Teil der Welt gesehen.“

Ein weltumspannendes Netzwerk

Zu dem Netzwerk Talitha Kum gehören Ordensleute, Laien, junge Engagierte sowie Überlebende von Menschenhandel. Die Internationale Union von Generaloberen (UISG) hat den Verbund 2009 ins Leben gerufen. „Talitha Kum“ geht es vor allem darum, den Mädchen und Jungen, Frauen und Männern Hilfsangebote zu machen, die von Menschenhandel betroffen sind und das Bewusstsein für ihre Situation zu schärfen.

Mitglieds-Netzwerke – es sind insgesamt sechzig – sind auf allen Kontinenten in 107 Ländern vertreten. In jüngster Zeit hat „Talitha Kum“ subregionale Knotenpunkte eingerichtet, insbesondere in Asien und Afrika, und 2023 wurden neue Netzwerke in Togo und Puerto Rico gegründet.

(vatican news)

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21. Mai 2024, 09:16