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Frühere Kindersoldaten im Südsudan - Aufnahme von 2018 Frühere Kindersoldaten im Südsudan - Aufnahme von 2018  (AFP or licensors)

Kindersoldaten: Schon der Begriff ist falsch

Die Zahl ist erschreckend: An die 300.000 Minderjährige weltweit sind nach UNO-Angaben sogenannte „Kindersoldaten“. Besonders betroffen ist die Demokratische Republik Kongo.

Dort gibt es für sie ein Programm namens DDR: Das Kürzel steht für Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft und richtet sich an Minderjährige, die im Moment ihrer Rekrutierung zwischen 13 und 15 Jahren alt waren. Vor allem im Osten des Kongo toben seit Jahrzehnten unterschiedliche Konflikte, so dass man schon von einem versteckten Dritten Weltkrieg sprechen kann.

Die Ordensfrau Rhyta Kimani, eine Juristin aus Kongo-Brazzaville, dem kleinen Nachbarland der Demokratischen Republik Kongo, beschäftigt sich schon seit langem mit dem Phänomen der Kindersoldaten. Jetzt hat sie eine Studie über ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorgelegt. Der Titel heißt bezeichnenderweise: „Zwischen Wiedereingliederung und Rückfall“. Denn oft scheitert der Versuch, diese Kinder und Jugendlichen aus dem Krieg herauszuholen.

Rhyta Kimani
Rhyta Kimani

„Ist das Kind tot? Lebt es noch? Niemand weiß es“

Hier zum Nachhören

„Ich habe mich vom Schmerz einer kongolesischen Mutter inspirieren lassen, die seit 1997 bis heute die Spur ihres 17-jährigen Sohnes verloren hat, der während des Krieges in Kongo-Brazzaville in die bewaffneten Milizen geraten war. Ist das Kind tot? Lebt es noch? Niemand weiß es, außer Gott. Und die quälende Lage dieser Frau hat mich nicht mehr losgelassen. Sie ist vergleichbar mit dem Weinen Rachels, von dem der Prophet Jeremia berichtet: Rachel weinte um ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn sie waren dahin… Wenn wir einen Blick in unsere Gesellschaft werfen, dann gibt es in unserer Welt viele Rachels, die gesehen haben, wie ihre Kinder an Feindseligkeiten teilnahmen, Rachels, die gesehen haben, wie ihre Kinder in die Grausamkeit eingeführt und manchmal getötet wurden.“

Schwester Rhyta Kimani schreibt nicht aus der Perspektive von Kongo-Brazzaville; sie nimmt für ihre Feldforschung das riesige Nachbarland, „den“ Kongo, in den Blick. Hier hat sie ausgiebig recherchiert und vor allem mit ungefähr einem Dutzend Kindern und Jugendlichen gesprochen, die vom DDR-Prozess erreicht werden.

Titelbild von Kimanis Studie
Titelbild von Kimanis Studie

Hundert Dollar für ein neues Leben

„Ich möchte zunächst darauf hinweisen, dass es nicht einfach ist, mit diesen Kindern, die gekämpft haben, in Kontakt zu treten, denn diese Kinder haben Angst davor, bekannt zu werden und gesehen zu werden. Das ist ein sehr heikles Terrain. In vielen Fällen klappt es mit der Wiedereingliederung nicht, etwa weil die Familien die Kinder nicht wiederaufnehmen wollen, oder weil die Milizen natürlich weiter Kinder rekrutieren. Das ist der Punkt, an dem es hakt… Was tut denn ein Kind, wenn seine soziale und seine wirtschaftliche Wiedereingliederung nicht gelingt? Ganz klar: Es wird rückfällig, denn wie man kämpft, das weiß es ja, das hat es ja gelernt, da ist es auf sicherem Terrain. Wenn wir uns das mal von nahem anschauen – die Kinder erzählten mir, dass sie von den Strukturen für ihre Wiedereingliederung hundert Dollar erhalten hatten; aber was soll denn so ein Kind, das jetzt ein neues Leben beginnen will, mit hundert Dollar anfangen? Und es gab sogar ein Kind, das mir sagte, dass seine Familie für seinen Transport aufkommen müsse, während er sich in der Resozialisierung befand und einen Beruf erlernte. Und die Familie könne sich seine Reisekosten nicht leisten. Er hat dann diese Ausbildung nicht zu Ende geführt und ist aus der DDR-Struktur herausgefallen, weil es da auch keine richtige Nachbereitung gibt…“

Die Würde der Kinder schützen

Der Ordensfrau ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Kindersoldaten“ für ganz unterschiedliche Realitäten steht. „Nach den Pariser Prinzipien von 2007 sind es Kinder, die einer bewaffneten Kraft oder einer bewaffneten Gruppe angehören. Warum ist das so? Weil es in dieser Gruppe von Kindern eine Kategorie gibt, die an die Front geht, um zu kämpfen oder grausame Taten zu begehen. Andererseits gibt es eine andere Gruppe, die dort als Träger, Boten, Spione oder auch für sexuelle Zwecke eingesetzt wird. Also dieser Begriff fasst sowohl Kinder, die zum Kochen da sind oder die als Spione eingesetzt werden, als auch die Kinder, die an die Front gehen. Sie alle werden vulgo Kindersoldaten genannt. Aber der richtige Begriff ist Kinder, die mit einer bewaffneten Kraft oder einer bewaffneten Gruppe verbunden sind – weil die Würde der Kinder natürlich geschützt werden muss.“

Kongolesische Polizei geht im Dezember 2023 in Kinshasa gegen Demonstranten vor
Kongolesische Polizei geht im Dezember 2023 in Kinshasa gegen Demonstranten vor

„Wir vergessen, dass die Kinder die Zukunft von morgen sind“

Wer etwas gegen das Phänomen der Kindersoldaten tun will, der sollte sich gegen Krieg engagieren, findet Rhyta Kimani. Sie macht eine einfache Rechnung auf: Ohne Krieg gäbe es auch keine Kindersoldaten. Was sie besonders beunruhigt, ist das Schweigen der internationalen Gemeinschaft zum Thema Kindersoldaten. „Wir vergessen, dass die Kinder die Zukunft von morgen sind – die Leader von morgen sind die Kinder von heute! Darum sollten wir uns um sie kümmern. Kinder in bewaffneten Konflikten einzusetzen ist ein Kriegsverbrechen nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom Juli 1998. Kinder haben ein Recht auf Leben mit ihrer Familie; das ist eine sehr wichtige Phase im Leben. Wenn sie zerstört wird, wird auch die gesamte Zukunft zerstört.“

Die Ordensfrau verlangt größere Anstrengungen, um Milizenführer vor Gericht zu stellen. „Es gibt weltweit Hunderttausende von Kindersoldaten, aber nur fünf oder sechs Anführer von Milizen, die vor Gericht gestellt wurden. Diese Kluft ist zu groß, denn vergessen Sie nicht, hinter diesen Zahlen steht das Leben von Menschen. Hinter den Kindersoldaten, die es derzeit weltweit gibt, verbirgt sich die Zukunft einer ganzen Gesellschaft.“

„Diese Kinder dürfen also nicht im Verborgenen leben. Sie haben das Recht, gehört zu werden“

Schwester Kimani fände es nicht nur wichtig, dass die Verantwortlichen vor dem Kadi laden – sondern auch, dass ehemalige Kindersoldaten in irgendeiner Form aussagen können über das, was sie durchgemacht haben. „Als ich mit diesen Kindern in Kontakt kam, habe ich eine gewisse Angst festgestellt. Diese Kinder wollen ihr Gesicht nicht enthüllen, sie wollen nicht bekannt werden; aber sie sollten bekannt und frei sein dürfen, denn sie sind in Wirklichkeit Opfer! Sie waren unschuldig, als sie ihre Taten begangen haben. Diese Kinder dürfen also nicht im Verborgenen leben. Sie haben das Recht, gehört zu werden.“

(vatican news – sk mit Material von S. Kambashi SJ und C. Labaki)
 

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02. Juli 2024, 12:01