Suche

Die als ,Grüne Linie' bekannte Pufferzone in Zypern Die als ,Grüne Linie' bekannte Pufferzone in Zypern 

Die Teilung Zyperns: ein 50-jähriger ungelöster Konflikt

Die im östlichen Mittelmeer gelegene Insel Zypern ist zwischen den türkischen Zyprioten im Norden und den griechischen Zyprioten im Süden gespalten. Gilles Bertrand, Zypernspezialist und Dozent am Centre Émile Durkheim der Universität Bordeaux, blickt im Interview auf diesen seit fünfzig Jahren ungelösten Konflikt. Er sieht als erstes Hindernis für eine Wiedervereinigung der Insel die Nationalismen, die auf beiden Seiten der Grenze zu finden sind – nimmt aber auch die EU in die Pflicht.

Olivier Bonnel und Christine Seuss - Vatikanstadt

Vor fünfzig Jahren, am 15. Juli 1974, versuchte die griechische Regierung, die damals von einer Militärjunta geführt wurde, einen Staatsstreich, um Zypern an Athen anzugliedern. Einige Tage später landete die türkische Armee im Norden der Insel mit der Begründung, die türkischsprachige Minderheit zu verteidigen. Die Insel war bereits durch die Grüne Linie getrennt, die 1964 von den Vereinten Nationen geschaffen wurde, vier Jahre nachdem Zypern seine Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich erklärt hatte. Auf beiden Seiten der Grünen Linie lebten damals griechische und türkische Zyprioten, wobei letztere während der osmanischen Zeit angesiedelt wurden.

Zum Nachhören - wie die Lage auf Zypern ist

Vorschlag zur Wiedervereinigung in Referendum abgelehnt

Seit einem halben Jahrhundert ist der Konflikt eingefroren und die Frage wurde nie gelöst, obwohl die Vereinten Nationen 2004 eine Wiedervereinigung vorschlugen, die von der griechischen Seite nach einem Referendum abgelehnt wurde.

Gilles Bertrand, Zypernspezialist und Dozent am Centre Émile Durkheim der Universität Bordeaux, geht auf die immer noch lebendige Konfliktsituation ein. Er sieht als erstes Hindernis für eine Wiedervereinigung der Insel die Nationalismen, die auf beiden Seiten der Grenze zu finden sind.

„Das heißt, dass die Nationalisten beider Gemeinschaften eine gewisse Vorherrschaft behalten. Das sieht man zum Beispiel bei den griechischen Zyprioten, wo die Nationalisten bei den jüngsten Europawahlen einen ziemlich klaren Sieg errungen haben. Es ist in erster Linie diese Opposition der griechischen und türkisch-zypriotischen Nationalisten, die diese Wiedervereinigung nicht wollen und die nicht zusammenleben wollen.“

Die griechisch-orthodoxe Kirche sei in diesem Zusammenhang mittlerweile „kein Hindernis“ mehr, meint der Experte. Denn zwar seien die letzten Erzbischöfe der Kirche eher nationalistisch orientiert gewesen, doch seien sie seitens anderer Mitglieder dafür auch kritisiert worden:

EU habe Zypern-Frage vernachlässigt

„Auf türkischer Seite ist nicht so sehr Recep Tayyip Erdogan das Problem, sondern die Politik der Türkei seit 1974, die darin besteht, zu sagen: ,Wir haben die Teilung vorgenommen, um die türkischen Zyprioten vor der Gewalt durch die griechischen Zyprioten zu schützen. Wir sind der Ansicht, dass die Teilung die Lösung ist. Um unsere Meinung zu ändern, muss man ausreichende Sicherheiten oder Kompensationen bieten.‘“

Allerdings rückte im Jahr 2004 eine Lösung mit dem Scheitern des Referendums und der Ablehnung der griechischen Zyprioten, die zu 75 Prozent gegen den Annan-Plan stimmten (der vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan vorgeschlagene Plan zur Wiedervereinigung der Insel wurde 2004 vorgelegt, Anm. d. R.), in noch weitere Ferne. Auch die Erklärungen von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy in den Jahren 2008/2009 gegen den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union Türen hätten weitere Türen geschlossen, erinnert Gilles Bertrand, der überhaupt die Europäische Union als mitverantwortlich dafür sieht, die Zypernfrage vernachlässigt zu haben.

„Die Regierungen waren der Ansicht, dass sich die Vereinten Nationen damit befassen würden. Die Behandlung der Zypernfrage war weiterhin völlig technisch.“

„Es fällt mir immer etwas schwer, über Europa zu sprechen, weil der Europäische Rat, also die Staats- und Regierungschefs, und die Europäische Kommission zu Zeiten von José Manuel Barroso Anfang der 2000er Jahre ihre Arbeit nicht gemacht haben. Das heißt, bei der Erweiterung von 2004, bei der beschlossen wurde, zehn Länder aufzunehmen, war es ziemlich seltsam, Malta und Zypern mit ihrer ganz besonderen Problematik den mittel- und osteuropäischen Staaten hinzuzufügen“, meint Gilles Bertrand. In diesen „riesigen Verhandlungen“ sei die Zypernfrage vernachlässigt worden, meint der politische Beobachter ernüchtert: „Die Regierungen waren der Ansicht, dass sich die Vereinten Nationen damit befassen würden. Die Behandlung der Zypernfrage war weiterhin völlig technisch, weil letztlich keine Regierung frontal gegen die zyprische Regierung vorgehen wollte, insbesondere als sie den Annan-Plan ablehnte und die Bürger dazu brachte, gegen den Annan-Plan beziehungsweise gegen die Türkei zu stimmen.“

Eine genuin „zypriotische“ Identität

„Unsere zypriotische Identität ist stark und wir können sehr gut zusammenleben.“

Und doch gebe es, trotz aller Unterschiede, eine genuin „zypriotische“ Identität, die die Inselbewohner über die Nationalismen hinaus vereine, meint Bertrand:

„Die zypriotische Identität war früher wichtig und stark. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie heute nicht mehr existiert. Die Nationalisten begannen, den Menschen zu sagen: ,Ihr seid nicht nur orthodox, sondern ihr seid Griechen und ihr Muslime seid Türken‘. Es kam zu dieser Spaltung und auch heute noch versuchen die beiden nationalistischen Ideologien, die Menschen voneinander zu trennen. Dennoch essen die Menschen das gleiche Essen und hören die gleiche Musik. Das ist ein Teil der mediterranen Zivilisation. Diese Identität existiert immer noch. Es gibt sogar eine zypriotische Bewegung, die sagt: ,Letztendlich haben Griechenland und die Türkei uns geschadet und wir sind Insulaner. Unsere zypriotische Identität ist stark und wir können sehr gut zusammenleben‘.“

Doch diese Bewegung werde derzeit weniger gehört als die beiden nationalistischen Ideologien, die „die Macht an sich gerissen“ hätten: „Die Entscheidungsträger gehören diesen Strömungen an“, meint Gilles Bertrand abschließend.

(vatican news)

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

19. Juli 2024, 14:16