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Grenzzaun und zerstörte Gebäude in Palästina Grenzzaun und zerstörte Gebäude in Palästina  (AFP or licensors)

Heiliges Land: „Palästinenser müssen Grund zum Leben haben“

Die Zwei-Staaten-Lösung für Israel und Palästina ist die einzige, die eine friedliche Koexistenz zwischen den beiden betroffenen Völkern ermöglichen könnte. Das sagt uns der Jerusalemer Weihbischof Rafic Nahra nach einem Treffen mit dem Papst. Er traf das Kirchenoberhaupt gemeinsam mit anderen Bischöfen aus der Region vor der Generalaudienz an diesem Mittwoch.

Die Spannungen im Heiligen Land standen im Mittelpunkt des Austauschs, den Papst Franziskus am Mittwochmorgen noch vor der Generalaudienz mit den lateinischen Bischöfen der arabischen Regionen führte.

„Der Nahe Osten erlebt Momente erhöhter Spannung, die in manchen Kontexten in Konfrontationen und Kriegsausbrüche ausarten“, hatte Franziskus bei dieser Gelegenheit gesagt, wobei er auch auf die reale Gefahr einer Ausweitung des Konflikts hinwies, der seit nunmehr über zehn Monaten zwischen der Hamas und der israelischen Armee besteht.

Hier der Beitrag zum Nachhören

Eine gerechte Lösung sei notwendig, um einen dauerhaften Krieg zu vermeiden, so der Papst, der immer wieder den Verlust von Tausenden von Menschenleben, unermessliches Leid und die Verbreitung von Hass und Ressentiments in einem sinnlosen Krieg, der „immer eine Niederlage“ ist, anprangert. Die Nachrichten geben ihm Recht: Jeden Tag kommt es zu neuen Angriffen, Razzien und Zerstörungen.

Leid auf beiden Seiten

Rafic Nahra ist Weihbischof des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem und Patriarchalvikar für Israel. Er war bei dem Treffen mit Papst Franziskus dabei. Im anschließenden Gespräch mit Radio Vatikan unterstrich er die Besorgnis der Bevölkerung und den fortgeschrittenen Erschöpfungszustand der Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland.

„Es gibt eine große Müdigkeit auf Seiten aller, klarerweise in Gaza ist die humanitäre Situation unbeschreiblich, mit den Zerstörungen, aber auch mit den Menschen, die gezwungen sind, regelmäßig umzuziehen. Auch in Israel gibt es viel Leid, aus verschiedenen Gründen. Es gibt natürlich die Familien der Geiseln, die es sehr schwer haben, aber auch die Soldaten selbst, die sich in Gaza befinden, es ist immerhin ein Krieg, der extrem schwierig ist. Es sind Studenten, Familienväter und andere. Es ist also auch für sie eine sehr, sehr schwierige Situation. Aber was besonders schwierig ist, ist die Abwesenheit, das Fehlen eines Horizonts.“

Hass und Leid auf beiden Seiten

Denn die Ausrottung der Hamas, erklärtes Ziel Israels in diesem blutigen Konflikt, sei schlichtweg undenkbar, erläutert der Weihbischof entschieden:

„Selbst wenn alle Hamas-Mitglieder, die heute Hamas-Kämpfer sind, sterben würden, könnte die gleiche Realität unter einem anderen Namen wieder entstehen. Und dann all die Kinder, all die Jugendlichen, die eine extrem schwierige Zeit durchmachen. Sie haben viel Hass in ihren Herzen. In Wirklichkeit muss man einen Grund zum Leben geben. Wenn es keinen Grund zum Leben gibt, wenn sie das Gefühl haben, dass das alles nur unnötige Mühe ist... Sie haben ihre Eltern, ihre Familie, ihr Zuhause verloren, mit dem Gefühl, dass alles umsonst war. Das ist es, wir bereiten eine dunkle Zukunft vor. Deshalb ist dieser Krieg, wenn er nicht zu einer realistischen Lösung führt, verlorene Liebesmüh.“

Einzige Lösung für den Konflikt

Doch auch wenn die Zwei-Staaten-Lösung auf dem internationalen Parket immer wieder als der einzige mögliche Weg zu einem dauerhaften Frieden ventiliert wird – insbesondere der Heilige Stuhl setzt sich schon lange für dieses Ziel ein – scheine diese in der israelischen Gesellschaft nur schwer Fuß zu fassen, räumt der Patriarchalvikar ein: „Aber ehrlich gesagt weiß ich nicht, welche andere Lösung heute möglich wäre. Nach allem, was passiert ist… Es gibt fünf Millionen Palästinenser - ich spreche nicht von den Palästinensern, die in Israel leben, ich spreche von denen, die sich in den Gebieten in Gaza und in den palästinensischen Gebieten befinden, also es gibt immerhin 5 Millionen Palästinenser. Aber was sind sie? Was ist ihre Identität? Wir können die Situation dieser Menschen nicht länger im Unklaren lassen. Sie müssen doch in Würde leben können, mit einer finanziellen Autonomie, die ihnen die Freiheit gibt, sich zu bewegen und über ihr eigenes Schicksal zu entscheiden. Fünf Millionen ist eine sehr hohe Zahl. Ich sehe keine andere Lösung.“

Details können später entschieden werden

Denn nach dem nunmehr fast seit einem Jahr tobenden Krieg, der mit den unvorstellbaren Gewalttaten auch das gegenseitige Misstrauen bis ins Unermessliche geschürt hat, sei die Vorstellung eines einzigen Nationalstaates, in dem alle gemeinsam lebten, letztlich utopisch, meint Nahra.

„Deshalb ist die Lösung, die im Moment als einzige plausibel erscheint, eine Zwei-Staaten-Lösung. Danach kommen alle Details. Das müssen die Betroffenen gemeinsam entscheiden können.“

Eine offene Wunde

Die Gründe für den wieder einmal offen ausgebrochenen Konflikt lägen letztlich sehr tief, so Weihbischof Nahra in unserem Gespräch.

„Eine offene Wunde, die jahrelang nicht behandelt wird, wird immer schlimmer. Wenn man also das Problem nicht lösen will, auch wenn es teuer ist, hat das einen Preis, den die Israelis zahlen müssen, und es gibt einen Preis, der von den Palästinensern zu zahlen ist. Aber wenn wir keine Lösung finden, wird die Situation noch weiter eskalieren. Stellen Sie sich vor, dass durch irgendein Wunder die Gewalt aufhört, ohne dass eine Lösung für die 5 Millionen Palästinenser gefunden wird. Das würde bedeuten, in der Verleugnung zu leben.“

(vatican news - cs/jcp)

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29. August 2024, 14:48