Tschad: „Helft den Sudan-Flüchtlingen“
„Neue“ Flüchtlinge deshalb, weil im Tschad bereits 400.000 weitere Flüchtlinge aus dem Sudan leben, die seit 2003 dort Schutz suchen. Magatte Guisse ist seit kurzem Vertreter des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in N'Djamena. Er spricht vom größten Flüchtlingszustrom in der Geschichte des Tschads seit Jahrzehnten und fordert ein dringendes Eingreifen, um diese humanitäre Krise zu bewältigen.
„Heute registrieren wir durchschnittlich 600 Flüchtlinge pro Tag allein am Übergang in der Stadt Adré; das ist für uns ein Hinweis auf die Unsicherheit und Ungewissheit im Sudan. Die Situation ist alarmierend; die Ressourcen im Tschad stehen stark unter Druck, insbesondere in den Aufnahmegebieten. Dort steht die lokale Bevölkerung im Prinzip vor denselben Herausforderungen wie die Menschen, die hier Zuflucht suchen.“
Humanitäre Katastrophe
Guisse spricht von einer „humanitären Katastrophe“ im Osten des Tschad. Allein seit Anfang 2024 hätten fast 130.000 Menschen vom Sudan aus die Grenze zum Tschad überquert, um Zuflucht zu suchen. Beobachter schätzen, dass diese Zahl in den kommenden Monaten auf 250.000 steigen könnte. Die Stadt Adré hat Schwierigkeiten, mit der stetig wachsenden Zahl sudanesischer Flüchtlinge umzugehen. Zur Aufnahme dieser Menschen gibt es so gut wie keine Strukturen.
„Am Grenzübergang Adré halten sich derzeit 200.000 Flüchtlinge auf. Die meisten von ihnen, 90%, sind Frauen und Kinder. Es ist herzzerreißend zu sehen, wie die Flüchtlinge in Notunterkünften schlafen, mit Kindern und älteren Menschen auf dem Boden, viele von ihnen ohne Matratzen. Diese Bevölkerung ist völlig entkräftet. Es gibt sogar schon Fälle von Unterernährung, die registriert werden.“
Psychologische Auswirkungen des Krieges
Aber der Konflikt im Sudan entwurzelt nicht nur Hunderttausende von Menschen. Er hat auch verheerende psychologische Auswirkungen. Viele Flüchtlinge waren Zeugen oder Opfer von Episoden der Gewalt. „Das Trauma der Vertreibung, die Trennung von ihren Angehörigen und die Ungewissheit über die Zukunft haben sich auf ihre psychische Gesundheit ausgewirkt. Es ist schwierig, ihren Berichten über die Gewalt zuzuhören. Manche Menschen sagen uns, dass es ihnen helfen würde, wenn sie sich mit irgendwelchen Aktivitäten beschäftigen dürften. Das würde sie von den Gräueltaten ablenken, die sie erlitten haben.“
Um diesen Flüchtlingen zu helfen, die emotionalen Auswirkungen des Konflikts zu bewältigen, bieten das UNHCR und seine Partner psychologische Unterstützung an. „Jede Hilfe, jede Unterstützung kann ihnen helfen, mit den traumatischen Situationen, die sie erlebt haben, gut umzugehen. Einige der Flüchtlinge berichten, dass ihre wirtschaftlichen Aktivitäten wegen des Konflikts im Sudan zum Erliegen gekommen sind und die unsichere Lage es ihnen nicht erlaubt, weiter zu arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Darum sind sie in den Tschad geflohen. Die meisten aber fliehen vor dem Krieg.“
Das pessimistischste Szenario
Derzeit besteht das pessimistischste Szenario darin, dass sich der Konflikt im Sudan fortsetzt. Und dass es deshalb zu einer weiteren Eskalation von Gewalt, Vertreibung und Leid kommt. „Die humanitäre Krise könnte sich verschärfen, da mehr Menschen Hilfe benötigen und die Ressourcen begrenzt sind, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Leider könnte der andauernde Konflikt auch die ganze Region destabilisieren. Auch das ist ein Aspekt, den wir nicht aus den Augen verlieren dürfen.“
Der UNO-Flüchtlings-Verantwortliche im Tschad ruft die internationale Gemeinschaft dazu auf, alles zu tun, um den sudanesischen Konflikt zu lösen und um denen beizustehen, die davon betroffen sind. Seit Beginn der Krise hat das UNHCR sechs neue Standorte geschaffen und zehn schon bestehende erweitert. Von den sechs neuen Standorten sind fünf längst voll belegt.
Hilfe ist unterfinanziert
„Das Problem ist leider, dass unsere Arbeit im östlichen Tschad mit nur 11% der bisher beantragten fast 215 Millionen US-Dollar unterfinanziert ist, und die Zeit drängt, um auch nur den unmittelbaren Bedarf zu decken. Im Notfall werden etwa 80 Millionen US-Dollar benötigt, um Standorte mit grundlegenden Dienstleistungen und Infrastruktur aufzubauen. Es geht darum, die große Zahl der weiterhin ankommenden Menschen an der Grenze aus überfüllten und unhygienischen Verhältnissen umzusiedeln und ihnen lebensrettende Hilfe zukommen zu lassen: Unterkünfte, Nahrungsmittel, sauberes Wasser, Zugang zu Gesundheit und Bildung.“
Im April letzten Jahres sind im Sudan Kämpfe zwischen Regierungstruppen und paramilitärischen Kämpfern ausgebrochen. Diese Gewalteskalation hat seit April 2023 mehr als 10 Millionen Menschen zur Flucht gezwungen, und die Zahlen steigen von Woche zu Woche. Zur Gewalt kommen Überschwemmungen und eine Hungersnot; das Leben von Millionen von Menschen im Sudan ist bedroht. Mehr als 2 Million Menschen sind über die Grenzen in die Nachbarländer geflohen – nicht nur in den Tschad, sondern auch z.B. in den bitterarmen Südsudan. Die meisten Flüchtlinge aber – fast acht Millionen Menschen – sind innerhalb des Sudan selbst auf der Flucht. Unter ihnen befinden sich fast eine Million Vertriebene, die bereits zuvor schon als Binnenvertriebene in anderen Landesteilen Schutz gesucht hatten, aber nun erneut fliehen mussten.
(unhcr/vatican news – sk)
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