Luxemburgs Kirche: Bescheiden, aber selbstbewusst
Papst Franziskus macht einen Blitzbesuch in Luxemburg: in eine kleine, reiche Enklave mitten in Europa. Warum eigentlich?
Georges Hellinghausen: Papst Franziskus wurde vom Großherzog und von der Regierung offiziell eingeladen. Die Beweggründe sind nicht bekannt. Die Erzdiözese hat erst danach davon erfahren. Natürlich sind wir hoch erfreut, dass der Chef der Katholischen Kirche unser Land besucht und auch mit den Katholiken in der Kathedrale beten und feiern wird. Besonders freut es uns, dass das anstehende Marienjubiläum – 400 Jahre Wallfahrt zur „Trösterin der Betrübten“, Patronin von Stadt und Land Luxemburg – in Präsenz des Papstes eröffnet wird. Und sehr schön die Geste, die vorgesehen ist: Franziskus bringt als Geschenk die Goldene Rose mit und zeichnet damit unsere Kathedrale, die zugleich Pilgerkirche ist, aus.
Sie sind Fachmann für die Geschichte der katholischen Kirche in Luxemburg. Vor diesem Hintergrund: Wie geht es der katholischen Kirche in Luxemburg heute?
Georges Hellinghausen: Jahrhundertelang war Luxemburg ein urkatholisches Land. Heute sind die Katholiken in der Minderheit in einer stark säkularisierten und pluralistischen Umwelt. Vieles ist dabei, abzusterben – besonders das klassische kirchliche Leben auf dem Lande. Einheimische kirchliche Berufungen sind mehr als spärlich. Der Gläubigenschwund ist noch nicht ans Ende gekommen.
Doch entsteht auch Neues und Hoffnungsvolles, so das missionarische Wirken neuer Gemeinschaften wie die südamerikanischen Schwestern der Jungfrau von Matarà oder die Bruderschaft „Verbum Spei“. Zurzeit haben wir einen aktiv engagierten diözesanen Pastoralrat, der sich um das synodale Anliegen bemüht. Neue Initiativen zeigen erste Früchte, so das diözesane Flüchtlingsprojekt „Reech eng Hand“, die neugeschaffene „Luxembourg School of Religion & Society“, die durch Dialog und wissenschaftliche Recherche den Brückenschlag zur multikulturellen Gesellschaft schlägt, das neue Diözesanseminar „Redemptoris Mater“ des Neokatechumenalen Weges, oder das diözesane Aus- und Fortbildungszentrum Jean XXIII, das vor einigen Jahren gegründet wurde.
Lebendige Auslandsgemeinden
Die klassische katholische Gemeinde Luxemburgs schrumpft also, aber sehr lebendig sind Auslandsgemeinden. Wie kann man sich das Miteinander vorstellen?
Georges Hellinghausen: Strukturell gesehen sind beide Ebenen miteinander verbunden, d. h. die ausländischen Missionen wurden aufgelöst und in die Pfarreien integriert. Existenziell ist diese Anbindung allerdings noch nicht vollzogen. Dazu braucht es viel Zeit und Einsatz auf beiden Seiten – damit aus dem freundlichen Nebeneinander ein echtes Miteinander wird. Konkret bedeutet das etwa, dass auch in Zukunft spezifische Sprachgottesdienste in allen möglichen Sprachen für die entsprechenden Gemeinschafen regional gefeiert werden, neben den lokalen Pfarrgottesdiensten. Das ist aber auch in den anderen Ländern der Fall. Christsein hat ja immer auch eine kulturelle Verankerung, die gebunden ist an Herkunft, nationale Gebräuche und Identitäten. In der zweiten und dritten Generation ist dann eine Verbindung und Vermischung viel einfacher und möglich.
Welche Rolle haben Laien in Ihrer Ortskirche?
Georges Hellinghausen: Die Rolle der Laien entspricht in etwa derjenigen in den Nachbarländern. Katastrophal ist derzeit, dass so gut wie keine Laientheologen mehr im Studium sind. Wir werden in Zukunft vor allem auf freiwillige Helferinnen und Helfer angewiesen sein, auch z. B. in der Katechese. Laien sind in sehr vielen Sparten des kirchlichen Lebens aktiv: in Liturgie, Diakonie, Verkündigung. Durch die strukturellen Neuerungen der letzten Jahre fallen ihnen neue Verantwortungsbereiche zu: in den neugeschaffenen lokalen Pastoralräten und den pfarrlichen Finanzgremien. Die Mehrheit der Mitglieder im Bischofsrat sind Laien, auch Frauen. Drei Frauen sind als bischöfliche Delegierte zuständig für die Bereiche Geweihtes Leben, Diakonie sowie Evangelisierung und Ausbildung, zwei Männer für die Bereiche Menschenrechte und nachhaltige Entwicklung. Neurdings hat sich auch die Begräbnispastoral auf das Laienengagement, Frauen wie Männer, umgestellt.
2018 hat die luxemburgische Regierung die Trennung von Kirche und Staat für vollzogen erklärt. Das Erzbistum sorgt seither eigenständig für seine Kirchen. Was bedeutet diese Reform für die Kirche, und wie kommt sie damit heute zurecht?
Georges Hellinghausen: Die Erzdiözese kann nun nicht mehr auf die Finanzen zählen wie vorher, als der Staat die Kultusgehälter - bei Priestern und hauptamtlichen Laien - finanzierte und die Kommunen die Kirchengebäude unterhielten. Die Kirche muss nun zum guten Teil selbst für sich aufkommen. Das ist eine gewaltige Herausforderung und nicht einfach zu bewältigen. Die Katholiken sind aber dabei, sich umzustellen und für das kirchliche Leben zu spenden.
Dass der Religionsunterricht in den Schulen abgeschafft wurde, bringt mit sich, dass sehr viele Kinder und Jugendliche – mit Ausnahme derjenigen, die die Pfarrkatechese besuchen, etwa 15 Prozent – nun keinerlei Grundbegrifflichkeiten des Religiösen oder Christlichen mehr mitbekommen. Was ist eine Pfarrei, ein Bischof, Gott, Maria, die Feste Weihnachten und Ostern? Das bedeutet, neben dem zunehmenden religiösen Analphabetismus, auch eine kulturelle Verarmung. Wir werden mehr und mehr eine heidnisch geprägte Gesellschaft mit viel Konkurrenzangeboten, in der die christliche Gemeinschaft sich behaupten muss.
Gibt es auch positive Folgen der Trennung von Kirche und Staat?
Georges Hellinghausen: Ja. Die Kirche ist dadurch auch freier geworden und braucht nun verschiedene Rücksichten nicht mehr zu nehmen. Sie kann sich freier in der Öffentlichkeit äußern. Das Programm des schulischen Religionsunterrichts musste vorher staatlich abgesegnet werden, bei der Katechese in den Pfarreien ist das nicht der Fall. Auch erfolgt die Bischofsernennung nun frei, vorher musste die Regierung ihre Einwilligung geben.
Ausgerechnet vor dem Papstbesuch ist in Luxemburg ein großer Finanzskandal in der Caritas bekannt geworden, es geht um die Unterschlagung von 60 Millionen Euro. Ganz abseits von technischen Fragen: Wie interpretieren Sie dieses Ereignis und was lässt sich daraus lernen?
Georges Hellinghausen: Ich interpretiere weniger das Faktum, das schrecklich genug ist – vor allem für die Caritas selbst –, als vielmehr die Konsequenzen. Mithilfe der Regierung wird eine Nachfolgeorganisation der Caritas geschaffen, um dann, von staatlicher Seite finanziert, landesintern die Aktivitäten der Caritas weiterzuführen und deren Personal zu übernehmen. Allerdings ist die Regierung sehr darum bemüht, dass diese neue Organisation „unabhängig“ ist, gemeint ist: von der Kirche unabhängig. Zeigt das nicht, dass selbst eine von der christlich-sozialen Partei angeführte Regierung doch ein großes Misstrauen gegenüber Christentum und Kirche hegt? Und warum? Hat etwa die christlich inspirierte Caritas bis jetzt keine guten Dienste geleistet? – Jeder in Luxemburg weiß, welche hervorragenden, unzähligen Dienste sie besonders an den Schwachen und Ausgegrenzten geleistet hat. Und ist das nicht ambivalent: Man lädt den Papst ein und distanziert sich in einem wichtigen Gebiet von der Kirche?
Luxemburgs Kirche ist in einen sehr säkularisierten Kontext eingebettet. Was kann die Kirche in Westeuropa von Ihnen in Luxemburg lernen?
Georges Hellinghausen: Sie kann lernen, dass man auch mit geringeren materiellen Mitteln leben kann. Dass man sich dann gegebenenfalls auf die Basics beschränken muss. Aber auch, dass man sich in einem Umfeld, wo die gesellschaftlichen Stützen von Christentum und Kirche wegfallen, mit Demut, Kreativität, Gottvertrauen und Engagement behaupten muss und einbringen kann. Auch wenn eine einst mächtige Kirche nun sehr bescheiden auftreten muss, aber auch selbstbewusst.
Was die Frage von sexualisierter Gewalt betrifft, hat die katholische Kirche in Luxemburg sehr viel früher als andere Maßnahmen gesetzt. Wie kam das?
Franziskus ist nur einen knappen Tag im Land. Was erhoffen Sie sich von seiner Anwesenheit für die Kirche im Luxemburg?
Georges Hellinghausen: Es wird sicher ein sehr schöner Tag werden, den wir mit Papst Franzskus verbringen werden. Er wird uns hoffentlich eine Botschaft der Freude und der Hoffnung, eine Ermutigung mitbringen. Aber da bin ich zuversichtlich: Bereits seine Ausstrahlung, sein persönliches Charisma, wird auch bei uns – so glaube ich – sehr viel Positives bewirken. Wir freuen uns auf Papst Franziskus!
Die Fragen stellte Gudrun Sailer, die für uns beim Papstbesuch in Luxemburg auch vor Ort sein wird.
(vatican news - gs)
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