Libanon: Kirche an Seite der Vertriebenen
Jean-Benoît Harel und Anne Preckel - Vatikanstadt
„Ich bin traurig über die Nachrichten aus dem Libanon, wo intensive Bombardements in den letzten Tagen viele Tote und Zerstörungen verursacht haben“, bedauerte Papst Franziskus bei der Generalaudienz am Mittwoch, dem 25. September.
Notlage der Vertriebenen
In der Tat sind in den letzten zwei Tagen im Libanon mehr als 500 Menschen bei einer Operation der israelischen Armee gegen die Hisbollah ums Leben gekommen. Unicef verwies in einer Stellungnahme auf Dutzende minderjährige Todesopfer und hunderte verletzte Kinder. Um den Angriffen zu entgehen und ihr Leben zu schützen, flohen fast 500.000 Libanesen aus dem Süden des Landes in sicherere Städte, insbesondere in die Hauptstadt. Unter den insgesamt mehr als eine Million Binnenvertriebenen aufgrund des Konfliktes sind laut libanesischen Behörden mehr als 300.000 Kinder.
In Beirut angekommen, wüssten viele Menschen nicht, wohin sie gehen sollten. Viele von ihnen schlafen in ihren Autos, erklärt Pater Michel Abboud, Präsident der Caritas Libanon, im Interview mit Radio Vatikan. In den überfüllten Straßen der Stadt versuchen jugendliche Helfer der Caritas, ihnen zu helfen, indem sie Sandwiches und Wasser verteilen.
Die Schulen, viele davon kirchliche Einrichtungen, haben ihre Türen geöffnet, um die Familien aufzunehmen. „Es gibt Menschen, die in den Wohnzimmern der Kirchen, in den Pfarreien und bei den Gemeindemitgliedern geschlafen haben“, erzählt Pater Michel Abboud. „Es gibt viele Klöster, die Vertriebene aufgenommen haben. Wir bereiten uns seit dem 9. Oktober darauf vor.“
Menschliche Dramen
In einem Zentrum für Vertriebene in Antelias in der Nähe von Beirut haben viele Familien, die ihr ganzes Leben hinter sich gelassen haben, innerhalb von wenigen Stunden Aufnahme gefunden. Vincent Gélot, Koordinator des Œuvre d'Orient für den Libanon, berichtet von menschlichen Dramen, die sich dort abspielten.
„Ich war mit einer Familie zusammen, deren Vater Fadi fünf Kinder hat und gerade erst in das Zentrum gekommen ist. Er ist Landwirt und hat keinen Zugang mehr zu dem Land im Süden des Libanon, so dass er nicht weiß, wie er überleben soll. Ein anderer arbeitet in der Armee und muss für sein einjähriges Kind Milchpulver kaufen, was sein ganzes Gehalt kostet."
Kirche und Christen vor Ort
Die Helfer versichern zugleich, dass die Kirche an der Seite dieser Menschen bleibe – sie sei nicht aus dem Südlibanon geflohen, versichert Pater Michel Abboud: „Alle Bischöfe sind geblieben, alle Priester sind geblieben, die Zentren der Caritas sind geöffnet. Deshalb schicken wir von hier aus Lebensmittelpakete und Medikamente“, erklärt er.
Auch zahlreiche Christen harren in Dörfern im Südlibanon aus, berichtete die Ordensschwester Maya El Beaino dem internationalen katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“ (ACN). Sie sprach von etwa 9.000 Gläubigen. Die Ordensfrau von der Kongregation der Schwestern Jesu und Mariens habe sich entschieden, in Ain Ebel zu bleiben, das überwiegend von Christen bewohnt ist und nur wenige Kilometer von der Grenze zu Israel entfernt liegt.
Dramatische Lage in einem bereits schwierigen Umfeld
Seit 2019 befindet sich der Libanon in einer schweren Wirtschaftskrise, die durch die Coronavirus-Pandemie und die Explosion im Hafen von Beirut am 4. August 2020 noch verschärft wurde. Vincent Gélot spricht von einem „katastrophalen Umfeld“ und erinnert daran, dass der Libanon „seit nunmehr zwei Jahren keinen Präsidenten hat und eine beispiellose Wirtschaftskrise mit einem Zusammenbruch der Bildungsstrukturen durchlebt“.
Die humanitäre Nothilfe zur Unterstützung dieser halben Million Vertriebener findet somit unter sehr schwierigen Bedingungen statt. „Wir haben 2006 die gleiche Erfahrung gemacht“, betont Pater Michel Abboud und bezieht sich damit auf den letzten offenen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah, „aber damals wurden die Vertriebenen in den Häusern aufgenommen. Die anderen Libanesen konnten ihnen damals wirtschaftlich helfen. Jetzt nicht mehr, denn die Familien befinden sich in einer wirtschaftlichen Krise. Deshalb können wir ihnen nicht angemessen helfen“.
Aufruf zu Hilfe
Die Caritas Libanon und das Œuvre d'Orient rufen zur Hilfe auf, um die Vertriebenen zu versorgen und eine größere humanitäre Krise zu verhindern. „Wir haben begonnen, ein wenig Geld für die Vertriebenen zu erhalten, aber nicht genug, um alle Bedürfnisse zu befriedigen“, betont Pater Abboud.
Während sich die Auseinandersetzungen zwischen der Hisbollah und Israel verschärfen, betont die Kirche unermüdlich ihre Ablehnung des Krieges, schließt der Präsident der Caritas Libanon: „In jeder Predigt wiederholen wir es, wir wollen Frieden, wir wollen niemals Krieg“.
Israels Militär spricht derweil nicht von Krieg, sondern von einem „lokal begrenzten" Einsatz und „gezielten" Razzien gegen Hisbollah-Ziele in Dörfern nahe der israelischen Grenze. Agenturen berichteten von der Bombardierung auch von Zielen im Süden Beiruts durch Israel; auch hier stünden Einrichtungen der Hisbollah im Visier, hieß es dazu.
(vatican news/unicef/acn – pr)
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