Ukraine: Viele Frauen Opfer von sexueller Gewalt
Beispiel: Ukraine. In den etwas mehr als tausend Tagen des Krieges haben ukrainische Staatsanwälte über 300 Fälle von Vergewaltigung und anderen Formen sexueller Gewalt dokumentiert, die hauptsächlich den russischen Streitkräften zugeschrieben wurden. NGOs und Behörden sammeln umfangreiche Beweise für die Gewalt, um sie vor Gericht zu verwenden. Doch die Priorität ist zunächst einmal der Zugang von Opfern zu medizinischer Versorgung.
„Es ist bekannt, dass Vergewaltigungen systematisch eingesetzt wurden, insbesondere zu Beginn des Konflikts.“ Das sagt uns Céline Bardet in einem Interview. Die französische Juristin ist Gründerin und Chefin einer NGO mit dem sprechenden Namen „We are not weapons of War“ („Wir sind keine Kriegswaffen“).
Auch einige Männer werden zu Opfern
„Es ist auch wichtig zu erwähnen, dass Vergewaltigungen nicht nur gegen Frauen und Mädchen, sondern auch gegen einige Männer eingesetzt wurden. Es ist wichtig, dies festzuhalten. Doch generell sind Frauen und Mädchen jedes Mal unverhältnismäßig stark von Konflikten betroffen. Das sieht man in der Ukraine genauso wie anderswo auf der Welt.“
Die sexuelle Gewalt, die zumeist russische Militärs ukrainischen Frauen antun, hat nicht nur Auswirkungen auf die Opfer selbst, sondern auf alle Familien. Beispielsweise würden häufig Frauen, die keine Soldatinnen sind, vergewaltigt, um ihren in den Reihen der ukrainischen Streitkräfte kämpfenden Mann zu „bestrafen“, so Bardet.
Das Klima der Angst
„Es gibt viele Formen von Gewalt. Wenn wir von sexueller Gewalt in Konflikten sprechen, meinen wir Vergewaltigung, aber es gibt auch Vergewaltigung mit Gegenständen, zum Beispiel; das sind Folterwerkzeuge. Ukrainerinnen sprechen sehr viel über die Angst, vergewaltigt zu werden, doch man muss nicht einmal mehr vergewaltigen, es genügt, dieses psychologische Klima der Angst vor Vergewaltigung, insbesondere für Frauen und Mädchen, zu schaffen, um Bevölkerungsverschiebungen und vor allem einen anhaltenden Terror in Gang zu setzen. Und dann muss man auch daran erinnern, dass Vergewaltigung gegen gefangene Soldaten eingesetzt wird. Sie ist ein Instrument der sexuellen Folter.“
Die NGO von Frau Bardet hat ein digitales Tool namens „Backup“ entwickelt, das es Überlebenden ermöglicht, auf ihren Fall aufmerksam zu machen und ihre Geschichte anhand eines detailliert ausgearbeiteten Fragebogens zu erzählen. Dadurch können die Mitarbeitenden der NGO herausfinden, wo sich diese Frauen befinden, und ihnen Hilfe zukommen lassen. Zugleich dokumentieren und sichern sie Beweise für mögliche Verfahren vor Gericht.
Es kommt nicht nur auf die Justiz an
„Im internationalen Recht zu sexueller Gewalt in Konflikten wird sexuelle Gewalt genau definiert. Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs tut dies auf sehr präzise Weise. Das ist also kein Problem des rechtlichen Rahmens, auch wenn dieser immer noch verbessert werden kann. Das Problem heute ist ein anderes. In der Ukraine braucht die Justiz aufgrund von Beweisproblemen sehr lange, und oft steht eine Aussage gegen eine andere. Das bedeutet, dass wir über andere Formen der Justiz nachdenken müssen.“
Außerdem komme es nicht nur auf die Justiz an, gibt die Expertin zu bedenken. Es sei auch wichtig, die Geschichte der Opfer anzuhören und ihnen zu ermöglichen, „der Welt mitzuteilen, was sie erlebt haben“. „Sie sagen uns, dass es für sie sehr wichtig ist, dass ihnen geglaubt wird. Dass ihre Geschichte in der Welt etwas bewirkt. Dass sie zeigen, dass sie existieren. Und dann muss man an der Betreuung und der Wiedergutmachung arbeiten, wozu gehört, die Täter zu identifizieren. Und das ist sehr schwierig.“
Überhaupt seies schwierig, den Opfern einen Ausweg aus dem Trauma zurück ins Leben zu zeigen, sagt Frau Bardet. Es gehe um ein Wiederfinden der geistigen Gesundheit, um einen psychischen Wiederaufbau. „Vergewaltigung ist : Wir wissen, dass die Auswirkungen sich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Alle Überlebenden auf der ganzen Welt sagen oft einen ähnlichen Satz: ‚Ich wünschte, ich wäre tot‘ oder ‚Ich bin innerlich tot‘. Das sagt, was Vergewaltigung ist.“
Und dann sind da ja noch die Familien. Häufig zerreißt das Drama auch sie, und mit ihnen die Gesellschaft überhaupt. All das erfordere Begleitung – über einen langen Zeitraum hinweg. „Man bleibt nicht sein ganzes Leben lang ein Opfer. Man kann sein Leben wieder aufnehmen, man kann sein Leben fortsetzen. Aber man muss dabei begleitet werden. Die psychische Gesundheit ist etwas, das noch nicht ausreichend gesehen und finanziert wird.“
Das Interview mit Céline Bardet führte Jean-Charles Putzolu von Radio Vatikan.
(vatican news – sk)
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