Sant'Egidio in der Ukraine: Einheit und Solidarität bewahren
Christine Seuss und Svitlana Dukhovych - Vatikanstadt
An diesem Sonntag hat die Kirche den diesjährigen Welttag der Armen gefeiert, den Franziskus im Zusammenhang mit dem außerordentlichen Heiligen Jahr der göttlichen Barmherzigkeit 2015-2016 eingerichtet hat. In seiner diesjährigen Botschaft zum Tag der Armen hat der Papst unter anderem darauf aufmerksam gemacht, dass der Krieg die Ursache für die Verarmung einer großen Zahl neuer armer Menschen ist. Der Koordinator der Gemeinschaft Sant‘Egidio in der Ukraine, Yuriy Lifanse, pflichtet dem Papst darin bei. Das diesjährige Thema des Welttages war: „Das Gebet der Armen erreicht die Ohren Gottes“. Und dies sei für viele, wenn nicht sogar alle Ukrainer heutzutage eine besondere Erfahrung, so Lifanse:
„Denn wenn der Alarm ertönt, wenden wir uns an Gott, Gläubige und Nichtgläubige, Menschen in den Schützengräben oder in ihren Häusern auf friedlicherem Gebiet. Wir wenden uns an den Herrn, damit er uns beschützt, und wir spüren, wie wichtig dieser Aufruf zum Gebet, der die Kraft aller Gläubigen ist, heute ist. Heute, im Kontext der tausend Tage des Krieges in der Ukraine, sehen wir eine Zunahme der Armut, weil sie so viele Aspekte des Lebens der Menschen betrifft.“
Dies betreffe die immer zahlreichen Verluste von Familienmitgliedern, die die Trauer einem jedem immer näher bringe, doch auch die andauernde Bombardierung von Großstädten, die immer mehr Menschen in die Flucht und damit in die Armut zwinge: „Wegen des Krieges haben die Menschen weniger Arbeit, es gibt absolut kein Vertrauen in die Zukunft, denn niemand weiß, wie lange dieses System noch Bestand haben wird. Deshalb versucht die Gemeinschaft S. Egidio, den Menschen in Not durch eine große humanitäre Mission nahe zu sein, die von Rom aus mit der Unterstützung aller Gemeinschaften in der Welt Hilfe in die Ukraine schickt. Heute nehmen wir weiterhin Flüchtlinge auf und helfen den Menschen in den Frontgebieten.“
Heute sei es deshalb umso wichtiger, „Einheit und Solidarität zu bewahren“, meint Lifanse: „Denn Müdigkeit und persönliche Armut machen uns immer verwundbarer, aber wir müssen immer an diejenigen denken, die noch ärmer sind als wir.“
Schließlich mache die Ukraine nicht die erste Krise in durch, erinnert der Sant’Egidio-Verantwortliche, dessen Gemeinschaft seit 1991 in dem Land aktiv sei, als viele Menschen in großer Armut lebten.
„Gemeinsam mit allen Ukrainern haben wir Covid überlebt, wir haben die erste Aggression im Jahr 2014 überlebt, und die ganze Zeit über haben wir armen Menschen geholfen. Deshalb können wir dies auch heute noch tun. Was ich persönlich sehe und was die Menschen um uns herum zu spüren scheinen, ist, dass wir stärker werden, wenn wir anderen Menschen helfen. Denn es hilft mir persönlich zu überleben, es hilft mir, den Sinn meines Lebens zu verstehen, es hilft mir zu verstehen, dass das, was ich tue, seine Konsequenzen hat. Es gibt mir Kraft und Inspiration.“ Dazu trage auch das gemeinsame Gebet bei. Dieses „beruhigt das Herz und gibt Energie, die wir für andere Menschen einsetzen“ könnten, meint Lifanse: „Die Unterstützung der Gemeinschaft ist unsere Stärke, und die Unterstützung der Gemeinschaft ermöglicht es uns, auch unter schwierigsten Bedingungen weiterzuarbeiten.“
Er selbst zog mit mit seiner Familie aus Kyiv nach Lemberg, von der Hauptstadt in eine relativ sicherere Stadt im Westen des Landes, in der Nähe der polnischen Grenze. Dort gibt es mittlerweile viele Binnenvertriebene, die oft Schwierigkeiten haben, sich selbst zu ernähren: „Wir helfen in einer modularen Stadt in Lemberg. Dort leben etwa tausend Menschen. Die meisten von ihnen sind sozial schwache Menschen, Rentner, Menschen mit Behinderungen, Großfamilien, Verwundete, Kranke, Menschen, die nicht in der Lage sind, sich aus eigener Kraft ein neues Leben aufzubauen. Und das ist ein großes Problem für sie. Aber manche Leute sagen manchmal, dass die Menschen nicht arbeiten wollen. Sie werden nie wieder arbeiten, weil sie achtzig Jahre alt sind, weil sie krank sind, und das bleibt ein Problem.“
Staatliche Unterstützung wird schwächer
Hinzu komme, dass die staatliche Unterstützung ständig abnehme, so Lifanse weiter: „Der Staat hat nicht mehr die Kraft, in gleichem Maße wie früher zu unterstützen, so dass eine Person ohne Arbeit an einem neuen Ort nicht überleben kann. Die meisten Menschen haben sich aber bereits angepasst. Das Wichtigste ist, dass die Kinder zur Schule gegangen sind, so dass neue, gute Bewohner Lembergs heranwachsen.“
Mittlerweile, zweieinhalb Jahre nach dem Ausbruch des massiven russischen Angriffskrieges in der Ukraine, nehme die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit spürbar ab, doch eigentlich befinde sich das Land sowieso schon seit 2014 im Kriegszustand, erinnert der Sant‘-Egidio-Verantwortliche. Im Friedensgebet der Gemeinschaft werde die Ukraine deshalb seit diesem Jahr, und nicht erst seit 2022, erwähnt:
„Es sind unsere Brüder und Schwestern, die uns nahekommen, die in den schwierigsten Momenten in der Ukraine bei uns sind, und sie verstehen das sehr gut. Das ist ein wichtiges Merkmal der Gemeinschaft: Wenn man an eine Stadt denkt, denkt man an eine Person, die dort lebt, und nicht an einen Punkt auf einer Landkarte. Deshalb nimmt die Unterstützung der Gemeinschaft auch nicht ab. Die Pläne der Gemeinschaft für die nächsten zwei Jahre sehen vor, der Ukraine stabile Hilfe zu leisten. Bis heute sind es bereits 24 Millionen Euro, die für die Unterstützung der Binnenvertriebenen in den Städten, in den Frontgebieten, in den Krankenhäusern und in den Schützengräben verwendet wurden, und es geht weiter.“
(vatican news)
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