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Mitglieder einer syrischen zivilen Miliz durchsuchen das berüchtigte Sednaya-Gefängnis in Damaskus nach unterirdischen Gefängniszellen Mitglieder einer syrischen zivilen Miliz durchsuchen das berüchtigte Sednaya-Gefängnis in Damaskus nach unterirdischen Gefängniszellen 

Missio zu Umsturz in Syrien: Religiöse Minderheiten müssen geschützt werden

In Syrien zeichnet sich nach der Flucht von Präsident Assad und der Einnahme von Damaskus durch Rebellenmilizen eine neue Ära ab. Zwar haben die Rebellen bereits nach der Übernahme von Aleppo versprochen, religiösen Minderheiten kein Leid zuzufügen – doch die Situation bleibt unübersichtlich. Wir sprachen mit Romina Elbracht, der Nahost-Referentin des katholischen Hilfswerks missio.

Christine Seuss - Vatikanstadt

Damaskus fiel am Sonntagmorgen ohne militärische Gegenwehr in die Hände der überraschend schnell vorrückenden Rebellentruppen, die erst wenige Tage zuvor Aleppo eingenommen hatten. Die Angst vor Blutvergießen war groß – doch bislang scheinen sich diese Befürchtungen nicht zu bestätigen. Christliche Hilfswerke pochen nun insbesondere auf die Unversehrtheit religiöser Minderheiten und eine friedliche politische Transition. Romina Elbracht ist Nahost-Referentin und stellvertretende Leiterin der Abteilung Ausland bei missio Aachen. Wir fragten sie einen Tag nach der Flucht Assads nach Russland danach, wie sich die Situation entwickelt hat.

Hier hören Sie das Interview

Radio Vatikan: Missio ist ja in ständigem Kontakt mit den Partnern vor Ort in Syrien. Am Sonntag, als die Nachricht von der Flucht Assads und der Machtübernahme der Rebellen umging, waren Sie ja noch vorsichtig optimistisch, weil es bisher keine Übergriffe auf religiöse Minderheiten gegeben hatte. Wie stellt sich die Situation jetzt, 24 Stunden später, dar?

Romina Elbracht (Nahost-Referentin und stellv. Leiterin Abteilung Ausland missio Aachen): „Unsere Partner vor Ort haben uns zurückgemeldet, dass abgesehen von den wenigen Unruhen in Damaskus die Situation auch weiterhin ruhig ist. Die Gruppen greifen weder Zivilisten noch christliche Minderheiten an; da sind sowohl wir als auch unsere Partnerinnen und Partner sehr beruhigt.“

Jubel in Homs über das Ende des Assad-Regimes
Jubel in Homs über das Ende des Assad-Regimes

„Es bleibt natürlich abzuwarten, wie stabil und glaubwürdig diese Zusicherungen sind“

Radio Vatikan: Wie ernst kann man denn die Versprechen der Rebellen nehmen? Wir erinnern uns: Einer ihrer Anführer, al-Golani, war ja auch unter deutlich islamistischer Flagge unterwegs. Wie ernst kann man dieses Versprechen nehmen, dass religiöse Minderheiten auch künftig respektiert werden?

Elbracht: „Nach Informationen unserer Partner vor Ort haben die Rebellen gegenüber Minderheiten jetzt mehrfach betont, dass ihr Ziel ausschließlich der Sturz des Assad-Regimes gewesen sei und sie keine Rache oder Repressalien gegenüber Minderheiten üben wollen. Besonders positiv in diesem Zusammenhang zu vermelden ist auch, dass es auch mehrere Tage nach der Besetzung von Aleppo keine Übergriffe gab auf christliche Häuser, Kirchen oder Institutionen, mit denen wir zusammenarbeiten. Aber es bleibt natürlich abzuwarten, wie stabil und glaubwürdig diese Zusicherungen sind, vor allem in einem jetzt vielleicht länger andauernden Machtvakuum.“

Radio Vatikan: Was kann oder was muss denn die internationale Gemeinschaft tun, um dabei zu helfen, diesen auch politischen Übergang so friedlich wie möglich zu gestalten?

Elbracht: „Also, zuerst einmal sollte man anerkennen, dass das, was geschehen ist, wirklich aus der syrischen Bevölkerung heraus entstanden ist, und dem auch Raum geben. Wichtig wäre jetzt, als internationale Gemeinschaft eigene Interessen außen vor zu lassen und Friedensverhandlungen zu fördern. Das heißt, wirklich abzuwägen, wie man zwischen den unterschiedlichen Akteuren vermitteln kann, einschließlich kurdischer, türkischer und alawitischer Gruppen. Das ist entscheidend, um weitere Konflikte zu vermeiden.

Und gleichzeitig muss man dann auch prüfen - und das ist vor allem für uns als Hilfswerk wichtig -, inwieweit humanitäre Hilfe geleistet werden muss. Denn in Anbetracht der wirtschaftlichen Lage mit hohen Preisen durch die jetzige Einführung des US-Dollars und der türkischen Lira muss man sehen, inwieweit es zu einem Mangel an Grundversorgungsgütern kommt. Das hat dann nämlich auch wieder Konfliktpotenzial. Grundsätzlich sollte man insoweit auch einen politischen Druck aufbauen, dass die Rebellen sich dazu verpflichtet sehen, ihre Versprechen zum Schutz von Minderheiten auch einzuhalten.“

Syrer warten an einem Grenzübergang, um von der Türkei aus in ihr Land zurückzukehren
Syrer warten an einem Grenzübergang, um von der Türkei aus in ihr Land zurückzukehren

„Abwarten, wer sich da als Gesprächspartner auf der syrischen Seite etabliert“

Radio Vatikan: Direkt am Sonntagmorgen haben wir auch mit Nuntius Zenari in Syrien gesprochen. Er hat großes Gewicht darauf gelegt, dass die internationale Gemeinschaft jetzt auch über die Sanktionen nachdenken sollte, mit denen das nun gefallene Regime belegt worden ist. Kann diese Forderung Ihrer Einschätzung nach umgesetzt werden? Und was würde das ändern?

Elbracht: „Das würde natürlich vieles verändern, und ich glaube - und das sehe ich auch -, dass das natürlich auch vieles gestoppt hat, was man in Syrien hätte an Wiederaufbau leisten können. Natürlich war das mit dem ehemaligen Regime so nicht möglich, und da, finde ich, wäre es auch durchaus wichtig, dass man den Raum öffnet, um das noch mal zu diskutieren. Aber da muss man jetzt auch einfach abwarten, wer sich da als Gesprächspartner auf der syrischen Seite etabliert und Inwieweit eine Übergangsregierung gestellt werden kann; beziehungsweise aus welchen Leuten diese Übergangsregierung dann besteht. Und das wird man dann, denke ich, Schritt für Schritt auch diskutieren müssen. Aber zunächst einmal ist es meiner Auffassung nach wichtig, die nächsten Tage und die nächsten Wochen gut zu überstehen und zu sehen, dass sich die verschiedenen Gesellschaftsgruppen Syriens auch in einer Übergangsregierung wiederfinden.“

Radio Vatikan: Sie haben es schon angesprochen, Sorge bereitet jetzt durchaus die humanitäre Situation. Was ändert sich denn nun an der Arbeit von Missio in Syrien mit dieser neuen Situation?

Elbracht: „Wir haben ohnehin auch schon zum jetzigen Zeitpunkt eine sehr diverse Projektlandschaft. Wir unterstützen psychosoziale Maßnahmen, aber auch Frauenhäuser oder Berufsausbildung Ausbildungsprogramme für junge Christen zum Beispiel. Aber wir haben natürlich jetzt zum Beispiel auch schon einen ersten Nothilfeantrag aus der Region Fatou bekommen, von einer Schwesternkongregation, die uns berichtet hat, dass viele Christen, die aufgrund der Unsicherheit aus Aleppo und Homs geflohen sind, jetzt einen großen und dringenden Bedarf haben an Wintermaterial, an Hygieneartikeln und auch an Lebensmittelpaketen. Da müssen wir natürlich schnell und begleitend reagieren. Grundsätzlich geht es auch für uns darum, unsere bestehenden Projekte weiterzuführen. Denn wir befassen uns ja ganz stark auch mit dem interreligiösen Dialog - und den jetzt voranzubringen, das ist, glaube ich, auch ganz entscheidend, um zu einem langfristigen Frieden beitragen zu können.“

In London hat die syrische Opposition die Botschaft übernommen
In London hat die syrische Opposition die Botschaft übernommen

„Die aktuelle Situation ist noch zu unklar und dynamisch“

Radio Vatikan: Für wie realistisch halten Sie denn die in den letzten Stunden verstärkt geäußerte Hoffnung, dass geflüchtete Syrer jetzt zeitnah wieder in ihre Heimat zurückkehren können?

Elbracht: „Ich glaube, die aktuelle Situation ist noch zu unklar und dynamisch, um da wirklich etwas Verbindliches sagen zu können. Zumal so etwas ja auch nicht nur an eine Wunschvorstellung von bestimmten Personen gekoppelt ist, sondern verschiedene andere externe Akteure wie die Türkei und andere mitreden wollen. Da muss man jetzt einfach schauen, wie sich das in den nächsten Wochen und Monaten entwickeln wird. Zum aktuellen Zeitpunkt ist die Situation zwar friedlicher, als viele es vielleicht von Anbeginn vermutet hatten, aber sie ist dennoch zu chaotisch und dynamisch, als dass man da schon irgendwas Festes sagen könnte.“

Radio Vatikan: Vielen Dank für diese Einschätzung.

Elbracht: „Gerne.“

(vatican news)

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09. Dezember 2024, 14:53