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Christinnen im August letzten Jahres in Bagdad Christinnen im August letzten Jahres in Bagdad  (ANSA)

Christen im Irak: „Dezimiert, aber immer noch präsent“

Der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, ist auch ein guter Kenner des Nahen Ostens, speziell des Irak. Und er zeigt sich einigermaßen optimistisch über die Zukunft des Christentums an Euphrat und Tigris.

Kopp, der zuletzt vor ein paar Wochen mit dem Paderborner Erzbischof Markus Bentz den Irak bereist hat, stellte an diesem Dienstag in Rom ein 800-Seiten-Buch über Iraks christliches Erbe vor.

Interview

Man hört im Moment sehr viel von Syrien und von den dortigen Vorgängen – und im Irak hat man sich derweil irgendwie damit zufriedengegeben, dass der „Islamische Staat ja jetzt besiegt ist und dass der Wiederaufbau läuft…

„Die Situation im Irak ist deutlich besser als vor sechs, sieben Jahren; es wird aufgebaut, es gibt auch so was wie eine österliche Auferstehung des Christentums dort. Aber die große Angst der Christen im Nordirak ist, dass alte IS-Kämpfer, die jetzt womöglich aus syrischen Gefängnissen freigelassen werden, ins Land zurückkommen könnten, um es zu infiltrieren. Das ist die größte Angst, die größte Gefahr. Und hier, glaube ich, muss die Europäische Union, auch Amerika, das neue Regime in Damaskus dazu anhalten, die Gefängnisse so zu sichern, dass all diese IS-Terroristen nicht plötzlich wieder im Irak auftauchen.“

„Aber ein großer Teil der Diaspora in den USA und Europa wird nicht mehr zurückkommen“

Das irakische Christentum ist zahlenmäßig stark dezimiert, und man hört immer wieder, dass die, die im Ausland sind, jetzt auch nicht mehr zurückkommen. Ist das wirklich so?

„Das ist so, das sagen mir alle Gesprächspartner, die ich vor ein paar Wochen im Irak mit Erzbischof Bentz getroffen habe. Wer nach Europa gegangen ist oder in die USA, kommt nicht zurück; wer in einem Lager in der Türkei ist oder im Libanon, der wird zurückkommen. Aber ein großer Teil der Diaspora in den USA und Europa wird nicht mehr zurückkommen. Das war die Sorge des (chaldäischen) Patriarchen Sako (von Bagdad), dass viele Priester einfach gegangen sind, weil es natürlich angenehmer ist, in den USA oder Europa zu leben, und deshalb hat er sehr strikt – das verstehe ich – diesen Priestern gesagt: ‚Ihr kommt zurück, oder seid nicht mehr im Patriarchat inkarniert‘. Das sind die Spannungen innerhalb der Kirche, die notwendig sind, damit die Kirche im Irak überleben kann.“

Matthias Kopp
Matthias Kopp
Christen im Irak - ein Radio-Vatikan-Interview mit Matthias Kopp

Nun gibt es aber weiterhin sehr viele Binnenflüchtlinge – über eine Million im Irak! Und vor allen Dingen die Jesiden sind in einer sehr schwierigen Lage…

„Wir haben über eine Million ‚Displaced Persons‘, das heißt Binnenflüchtlinge – das sind Christen und Jesiden, das sind auch Muslime, die von Falludscha in den Süden geflüchtet sind oder umgekehrt. Das ist das eine Problem, das nicht gelöst ist im Irak. Das zweite große Problem sind die Flüchtlingslager der Jesiden. 109.000 Jesiden leben noch in Flüchtlingslagern – eine Riesenzahl. Das sind über 14 Flüchtlingslager im Nordirak. Ich habe zusammen mit Erzbischof Bentz eines der Lager besucht; das Elend ist da schon groß. Man hat sich da auch eingerichtet, in Wellblechhütten, teilweise auch in kleinen, gemauerten Häuschen, weil diese Flüchtlinge sagen: ‚Wir können nicht mehr in unsere angestammte Heimat in das Sindschar-Gebirge zurück, weil das, was wir dort an Grund und Boden hatten, von Islamisten übernommen worden ist. Und wie soll ich heute‘ – sagen mir die Jesiden – ‚Tür an Tür mit denen wohnen, die uns damals massakriert haben?“

Papst Franziskus zu Besuch bei al-Sistani in Nadschaf
Papst Franziskus zu Besuch bei al-Sistani in Nadschaf

„Die entscheidende Frage ist: Wird der neue Großayatollah von Nadschaf jemand sein, die vielen unterschiedlichen schiitischen Gruppierungen im Irak einen kann?“

Der christlich-islamische Dialog im Irak funktioniert einigermaßen gut, und das liegt auch am (schiitischen) Großayatollah (Ali) al-Sistani in Nadschaf. Der Mann ist aber auch schon alt – was passiert, wenn er stirbt?

„Franziskus und al-Sistani haben ja bei ihrer Begegnung 2021 zueinander gesagt: ‚Wir sind beide schon sehr alt, aber wir machen noch weiter!‘ Im Moment gibt es in der irakischen Presse Debatten darüber, wer Nachfolger von al-Sistani werden kann und wie viel Einfluss aus dem Iran bei der Benennung dieses Großayatollah-Postens mitspielen wird. Iran wird dort eine Rolle spielen, und man muss also sagen, dass er über all die Jahre ein Mann des Dialogs war – und einer der wenigen schiitischen Führer, die eine Fatwa gegen den Islamischen Staat ausgesprochen haben! Das wird viel zu wenig beachtet, und deshalb wird es schwer sein, eine Person wie al-Sistani zu ersetzen. Die entscheidende Frage ist: Wird der neue Großayatollah von Nadschaf jemand sein, die vielen unterschiedlichen schiitischen Gruppierungen im Irak einen kann?“

Patriarch Sako mit dem Papst
Patriarch Sako mit dem Papst   (Vatican Media)

Patriarch Sako wirkt von außen wie das Zentralgestirn des Katholizismus im Irak, ist aber intern bei weitem nicht unangefochten. Da gab es unter anderem einen seltsamen Streit mit einer Miliz. Was steckt dahinter?

„Patriarch Sako hat sich mit der Miliz von Rayan al-Kildani angelegt, der die sogenannten christlichen ‚Babylon-Brigaden‘ gegründet hat. Von dieser Miliz muss man wissen, dass sie eine der vielen Milizen ist, die den ‚Islamischen Staat‘ bekämpft haben; das ist positiv zu sagen. Aber nachdem der ‚Islamische Staat‘ bekämpft war, haben sich diese Milizen, vor allem die Babylon-Brigaden, als sehr eigenständige Gewächse entwickelt, die versuchen, große Teile des Landes zu kontrollieren. Ob al-Kildani wirklich Christ ist, wird bezweifelt; der Punkt ist jedenfalls, dass nur wenige Christen sich dieser Brigade angeschlossen haben. Sie steht, obwohl sie ‚christlich‘ konnotiert ist, extrem unter iranischem Einfluss. Das heißt, schiitische Kämpfer aus dem Iran unterstützen diese Brigade von al-Kildani. Das hat dazu geführt, dass al-Kildani sich mit Patriarch Sako angelegt hat; es ging dabei u.a. um Grundstücksfragen. Und al-Kildani hat es geschafft, dass der Staatspräsident des Irak Sako für fast ein Dreivierteljahr ins Exil nach Erbil gezwungen hat; von dort hatte Sako, unter anderem dank einer Intervention des Heiligen Stuhls (die Diplomatie funktioniert!) im vergangenen April - also fast vor einem Jahr - ein Comeback, als der neue Staatspräsident dieses Dekret zurückgenommen hat. Dieser Konflikt ist noch immer nicht ausgestanden…“

„Was dort noch an katholischen Schulen vorhanden ist, an Altenheimen, an Waisenhäusern, ist großartig“

Kann das irakische Christentum in der Gesellschaft überhaupt noch die Rolle spielen, die es früher mal hatte, mit seinen vielen Schulen und Krankenhäusern usw., wenn es so dezimiert ist?

„Dezimiert, aber immer noch präsent! Ich habe die Krankenhäuser der Dominikanerinnen in Bagdad und in Erbil besucht – großartige Ordensfrauen. Was dort noch an katholischen Schulen vorhanden ist, an Altenheimen, an Waisenhäusern, ist großartig. Und vor allem sehe ich, wie stark sich gerade junge Dominikanerinnen in Karakosch und an anderen Orten engagieren, wie sie sich an der Theologischen Fakultät im Norden ausbilden lassen (wir haben eine Katholische Universität dort), um auch wissenschaftlich ihren Beitrag für dieses Land zu leisten. Also: dezimiert, aber noch immer präsent!“

Matthias Kopp (geb. 1968) ist Theologe, Archäologe und Journalist. In den neunziger Jahren arbeitete er als Redakteur bei Radio Vatikan in Rom. Derzeit ist er Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz und Konsultor des vatikanischen Kommunikations-Dikasteriums. Sein Buch „Iraks christliches Erbe – Vom Überleben im Zweistromland“ erschien 2025 im Herder-Verlag, Preis ca. 78 Euro. Das Interview mit ihm führte Stefan Kempis.

(vatican news – sk)
 

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25. März 2025, 15:39
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