Buchtipp: Kreuzigungs-Darstellungen im ersten Jahrtausend
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Auch die Entscheidungen des Konzils von Nizäa und die Berichte über eine Auffindung der „vera crux“ durch Kaiserin Helena sorgten dafür, dass die Tabuisierung des Kreuzes aufgegeben wurde und die Christen begannen, den sterbenden Jesus darzustellen. Das 5. Jahrhundert machte das Kreuz dann zum „offiziellen christlichen Zeichen“, und ab der Mitte des 6. Jahrhunderts gingen Künstler daran, den gekreuzigten Jesus zugleich als Sieger über den Tod zu charakterisieren.
Häufig wechselnde Ikonographie
Es ist eine häufig wechselnde Ikonographie, an der sich die Entwicklung des theologischen Denkens über Jesus, seinen Tod und seine Auferstehung nachvollziehen lässt. Der Kunsthistoriker Hans Georg Wehrens tut dies auf unaufgeregte und kundige Weise. In einem Buch hat er fast alle Kreuzigungsdarstellungen des ersten christlichen Jahrtausends zusammengetragen (es sind ungefähr fünfzig); in seiner Beschreibung und Deutung der ganz unterschiedlichen Werke zeichnet er nicht nur kunst-, sondern auch religionsgeschichtliche Linien nach.
Am Anfang stand eine Karikatur
Als älteste Kreuzigungsdarstellung überhaupt gilt eine in Stein geritzte Karikatur, ungefähr aus dem Jahr 240 und damit aus der Zeit der Christenverfolgungen; sie ist auf dem römischen Palatinhügel zu sehen, der Gekreuzigte hat auf ihr einen Eselskopf. Ebenfalls noch ins 3. Jahrhundert lässt sich eine erstaunliche Jaspis-Gemme aus Syrien oder Gaza datieren, die wohl einen magischen Hintergrund hat und auf der wohl erstmals in der Geschichte Jesus als Gekreuzigter dargestellt wird. Viele Fragen wirft ein winziger Amulettstein auf, der im Zweiten Weltkrieg in Berlin wohl zerstört wurde (es gibt nur noch Fotos davon) und der einen Gekreuzigten mit der Umschrift „Bacchischer Orpheus“ zeigt – wird hier etwa Jesus Christus in einem heidnischen Kontext als Orpheus abgebildet?
Kontrast zwischen Jesus, dem Sieger, und Judas, dem Verzweifelten
Im abendländischen Raum gibt es im 5. und 6. Jahrhundert nur zwei Abbildungen des ans Kreuz genagelten Christus. Auf der Zypressenholz-Tür der Basilika Santa Sabina auf dem römischen Aventin ist Jesus, von den zwei Schächern umgeben, frontal mit angewinkelten Armen zu sehen; damit wird das Kreuz nur angedeutet. Er hat die Augen weit offen, Spuren des Leidens sind außer den Nagellöchern in den beiden Handflächen nicht auszumachen. Jesus, der Überwinder des Todes. Eine ähnliche Botschaft vermittelt ein Reliquienkästchen aus Oberitalien, auf dem aber die Kreuzbalken zu sehen sind. Die selbstbewusste Haltung des Herrn am Kreuz kontrastiert stark mit dem am Bildrand dargestellten Judas, der nach seinem Selbstmord schlaff an einem Baum hängt.
Ein solides, klug aufgebautes Handbuch
Wehrens, der auch ein Buch über christliche Sakralbauten in Rom zwischen dem 4. und 9. Jahrhundert verfasst hat, erlaubt dem Leser eine spannende Übersicht darüber, wie sich die Sicht auf das zentrale Symbol des Christentums herausgebildet hat. Seine Tour d’horizon endet mit einer Illustration aus der ottonischen Kölner Malerschule um 1070; man kann allerdings fragen, warum er das etwa hundert Jahre ältere Gerokreuz aus dem Kölner Dom nicht berücksichtigt hat. (Zur Einordnung: Der Rezensent stammt aus dem Erzbistum Köln.)
Das Buch bietet neben seiner Analyse einzelner Kreuzigungsdarstellungen unter anderem eine Chronologie der Motiventwicklungen und ein Glossar. Ein solides, klug aufgebautes Handbuch – und nebenbei auch ein Reiseführer für die Augen in die ersten Jahrhunderte des christlichen Glaubens.
Hans Georg Wehrens: Die Kreuzigungsdarstellungen im ersten Jahrtausend mit einer Ikonographie der Kreuzsymbole. Michael Imhof Verlag, ca. 25 Euro.
(vatican news)
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