MHG-Studie: Kirchliche Strukturen können Missbrauch begünstigen
Der forensische Psychiater Harald Dreßing betonte vor der Presse, trotz der jahrelang erarbeiteten professionellen Distanz zu den bearbeiteten Themen habe ihn das „Ausmaß des sexuellen Missbrauchs im Verantwortungsbereich der deutschen katholischen Kirche“ und auch der „Umgang der Verantwortlichen damit“ erschüttert. „Die Reaktion der Kirche auf eine erhebliche Anzahl von Missbrauchsfällen war inadäquat. Der Schutz von Institution und Beschuldigten hatte offenbar Vorrang vor den Interessen der Betroffenen“, so Dreßing wörtlich.
Insgesamt sei zu beobachten, dass ein „systemisches Versagen“ bei der Verschleierung und mangelnden Aufarbeitung von Missbrauchsdelikten vorliege. Personalakten seien in diversen Bistümern manipuliert oder nachlässig geführt worden, so dass die erfassten Delikte auch aufgrund der Erkenntnisse der Dunkelfeldforschung „nur die Spitze des Eisbergs“ darstellten. Unter anderem habe man anhand der verschiedenen ausgewerteten Quellen festgestellt, dass nur in der Hälfte der von der katholischen Kirche selbst als plausibel eingestuften Missbrauchsvorwürfe auch ein Aktenvermerk vorgenommen wurde.
Die Studien-Ergebnisse legten nahe, dass es in der katholischen Kirche Merkmale und Strukturen gebe, die sexuellen Missbrauch durch Geistliche zumindest begünstigen können. „Dazu gehören der Missbrauch klerikaler Macht, aber auch der Zölibat und der Umgang mit Sexualität, insbesondere mit Homosexualität“, betonte der Mannheimer Psychiatrie-Professor. Auffallend sei, dass der Großteil der Opfer sehr jung (13 Jahre und darunter) und männlich sei – in anderen Kontexten seien die Opfer größtenteils weiblich. Eine weitere Erkenntnis der Untersuchung sei, dass Diakone signifikant seltener als Priester des Missbrauchs beschuldigt würden - dies könnte einerseits der Nichtverpflichtung zum Zölibat geschuldet sein, andererseits aber auch der „deutlich geringeren klerikalen Macht“ der Diakone, schlüsselt der Forscher auf.
Die Betrachtung der Missbrauch begünstigenden Strukturen sei nun als Priorität für die Kirche anzusehen, so die Empfehlung des Forschers. Beispielsweise liege die Versetzungsrate beschuldigter Priester „signifikant höher“ als diejenige der Priester, bei denen keine Beschuldigungsvorwürfe vorlägen, gab er Einblick in die Erkenntnisse der 366 Seiten umfassenden Studie, die ein Forscherkonsortium aus den Universitäten Mannheim, Heidelberg und Gießen („MHG“) im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz erstellt hatte.
Bei der umfangreichen Untersuchung seien nicht nur die Personalakten von Bistümern, sondern auch Zeugenaussagen von Betroffenen und Strafakten zu Rate gezogen worden, erläuterte der Forensik-Experte die interdisziplinäre Herangehensweise der Forscher. Gleichzeitig beharrte er darauf, dass die Studie keine „Aufarbeitung“ darstelle: „Diese muss nun durch die katholische Kirche selbst geleistet werden.“ Positiv sei jedoch hervorzuheben, dass die Kirche als Institution mit der frühzeitigen Erstellung von Richtlinien zur Missbrauchsprävention gehandelt habe.
Die Bischofskonferenz als Auftraggeber der Studie habe keineswegs in die Ausarbeitung und Formulierung der Studie eingegriffen, stellte der Professor mit Blick auf anderslautende Vorwürfe in den Medien klar. Bei der Untersuchung wurde Missbrauch in diözesanen Strukturen in den Blick genommen: Wünschenswert sei es nun, dass in Zukunft eine derartige Untersuchung auch über die Ordensgemeinschaften in Deutschland auf den Weg gebracht werde, so der Koordinator des Forschungskonsortiums.
(pm - cs)
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