Unser Buchtipp: Den Himmel finden
Christina Höfferer - Vatikanstadt
Erri De Luca ist ein Mann der schlanken Worte. In klarer, knapper und präziser Sprache bringt er allgemein gültige Themen zu Papier. Den Himmel finden ist die parabelhafte Geschichte eines Bergsteigers, der Flüchtenden hilft, Grenzen zu überwinden. Mittels simpler Großzügigkeit.
De Luca ist selbst Bergsteiger. Vor seinem späten Durchbruch als Schriftsteller übte er viele Berufe aus. Immer als Autodidakt. Der Ich-Erzähler in Den Himmel finden betätigt sich neben dem Bergsteigen auch als Bildhauer. In dieser Eigenschaft bekommt er eines Tages eine ungewöhnliche Aufgabe: Er soll bei einer Marmorstatue des Gekreuzigten den nachträglich hinzugefügten Lendenschurz abschlagen und das verloren gegangen Geschlechtsteil der Christusfigur ergänzen. Dem Erzähler gefällt es, als über 60jähriger nützlich zu sein, in einem Alter, das in seiner Berggegend im Irrsinn, im Alkoholdelirium oder im Altersheim endet, wie er sagt. Kein Vater zu sein hat den Vorteil, dass es keinen Sohn gibt, der ihn dort einsperren will, so der Protagonist. Der ihm vom Pfarrer erteilte Auftrag, die Christusfigur zu restaurieren, berührt ihn tief.
In seinem Text verwebt De Luca die Themen Migration und Glauben. Er sucht und findet das Göttliche im Alltäglichen. Der Gekreuzigte ist in Lebensgröße aus Marmor gehauen, von einem jungen Künstler im frühen 20. Jahrhundert. Der Verurteilte, so erläutert der Auftrag gebende Pfarrer, wurde bei Kreuzigungen nackt ans Kreuz geschlagen. Früher erlaubte man diese Darstellung des Leidens, sogar Michelangelo hat einen nackten Gekreuzigten aus Holz geschaffen. Nach dem Konzil von Trient begann die Kirche die Blöße zu bedecken. So wurde auch an der Statue in Den Himmel finden ein hässlicher Lendenschurz hinzugefügt, und das bei einem Werk, das den Meistern der Renaissance ebenbürtig ist. Jetzt will die Kirche den Originalzustand wieder herstellen und den Lendenschurz entfernen. Die im Buch zentrale Christusfigur wird zu einer Parabel, für eine wahre, nackte, verwundbare und menschliche Kirche.
De Lucas Ich-Erzähler nimmt die Herausforderung an. Wie alle De Luca Bücher ist auch dieses ein schlankes Werk. Und es schürft tief. Menschlichkeit, Nächstenliebe, das geglückte Leben, sind die Themen, die De Luca immer aufs Neue und immer frisch behandelt. Ein Buch soll zu uns sprechen, wie ein guter Freund, sagt der Autor. Es soll uns ein ehrlicher und wahrhaftiger Weggefährte sein. Den Himmel finden versprüht eine tiefe Religiosität. Die tägliche Bibellektüre des Autors hat sein Schreiben geformt, das ist klar. Und so spricht er zu uns: ganz und gar unaufdringlich und wunderbar eindringlich.
Details:
Den Himmel finden, Erri De Luca, erschienen 2018 im List Verlag, in der Übersetzung von Annette Kopetzki.
(vatican news)
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