Katholische Akademie in Sachsen: „Die Leute zum Nachdenken bringen“
Julia Rosner - Vatikanstadt
Vatican News: Aus aktuellem Anlass möchte ich mit einem Thema einsteigen, das derzeit auf der Agenda der Medien ganz oben steht. 13 Jahre lang regiert Angela Merkel das Land. 18 Jahre lang ist sie Vorsitzende der CDU. Gestern ist bekannt geworden, dass Sie ihren Platz an der Spitze der CDU abgeben möchte. Wie haben Sie diese Nachricht aufgenommen?
Thomas Arnold: Ich habe das mit sehr großen Respekt wahrgenommen. Nach den zwei Wahlen stand natürlich schon die Frage im Raum, wie die Reaktion der Partien aussehen wird. Ich denke, dass es ein sehr stilvoller Abgang ist. Mit großem Respekt können wir auf 18 Jahre Parteivorsitz und 13 Jahre Bundeskanzlerschaft zurückschauen, in denen viel geschafft worden ist.
Die verschiedenen Regierungen haben uns mit einem großen Gefühl von Sicherheit durch teilweise schwierige Situationen in den letzten Jahren geleitet. Die letzten Jahre waren Ausdruck von einem guten Verhältnis zwischen Staat und Kirchen. Eine positive Religionsfreiheit kam immer wieder zum Ausdruck. Die Kirchen konnten sich sehr stark und sehr positiv in die gesellschaftlichen Diskussionen einbringen.
Vatican News: Einige Kritiker behaupten, dass mit dem Parteivorsitz auch die Macht zum Regieren verschwindet. Sie verweisen dabei zum Beispiel auf Gerhard Schröder. Wie sehen Sie das?
Thomas Arnold: Warten wir erst einmal die Zeit nach dem 1. Dezember ab. Als Akademiedirektor kann ich nicht die Tagespolitik in all ihren Details voraussehen. Was ich machen will und darf, ist die Diskussionen im Land und in der Gesellschaft voranzubringen. Dafür bieten wir ein Forum.
Vatican News: Bei diesem Punkt möchte ich nachhaken. In den letzten Jahren gab es viele Negativschlagzeilen über Sachsen und „Pegida“ – die Organisation der Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Vergangene Woche hat die Bewegung ihren, wie sie selbst sagt, vierten Geburtstag gefeiert. Wie sieht Ihre Einschätzung aus - wo steht die Bewegung heute?
Thomas Arnold: Als am 21. Oktober der sogenannte Geburtstag gefeiert worden ist, war Eines augenfällig: Pegida konnte zwischen 4000 und 5000 Leute mobilisieren – das waren immer noch viel zu viele, aber es sind deutlich weniger als noch vor einigen Jahren. Verschiedene Initiativen haben sich zusammengefunden und die „Gegenseite“ gebildet. Sie konnten über 10.000 Leute mobilisieren. Das ist ein gutes Zeichen für die Dresdner und die sächsische Gesellschaft – nämlich, dass nicht mehr einzeln etwas getan wird, sondern dass sich verschiedene Player im Land zusammenschließen und deutliche Zeichen setzen. Das ist die eine Perspektive.
Die zweite Perspektive ist die, die der Ministerpräsident genannt hat: am 21. Oktober 1989 – genau 29 Jahre zuvor – haben 50.000 Menschen in Dresden für Freiheit und Demokratie demonstriert. Die größte Gefahr ist, zu meinen, es wäre eine analoge Demonstration dazu gewesen, die da am vierten Jahrestag der Pegida-Bewegung stattgefunden hat. Man muss ganz deutlich sagen: unter den Pegida-Anhängern gibt es heute, noch mehr als vor vier Jahren, rechtsextreme Tendenzen. Diese müssen klar verurteilt werden.
Das Dritte ist, dass - auch wenn nicht mehr 20.000 Menschen mitlaufen- genau geschaut werden muss, was die Menschen damals bewegt hat, dort mitzulaufen. Ich ahne, dass die Probleme, Verärgerungen und die Wut der 20.000 Menschen nicht vollständig verschwunden sind. Sie kommen an anderen Orten immer wieder zum Vorschein. Die Ereignisse in Chemnitz vor einigen Monaten sind ein Stück Auswuchs aus den letzten vier Jahren.
Vatican News: Wie groß ist aktuell die Schnittmenge zwischen Pegida-Anhängern und AfD-Wählern?
Thomas Arnold: Es gibt Politikwissenschaftler, die meinen, dass Pegida und AfD im parlamentarischen Betrieb in Sachsen zwei Seiten einer Medaille sind. Sie sehen deutliche Deckungsgleichheiten zwischen den beiden. Ich beobachte, dass Menschen, die Affinität zur AfD und den Positionen dieser Partei haben, in der Gesellschaft durchmischt sind. Es lässt sich nicht nur auf ein Milieu beschränken. Man findet sie in allen Bereichen. Das sollte uns eine Warnung sein – nämlich, nicht vorzuverurteilen, sondern immer wieder neu zu schauen, welches die Themen sind, was die eigenen Argumente dafür oder dagegen sind, und wie man ins Gespräch kommen kann. Nur, weil jemand eine andere Partei wählt, darf man den Dialog nicht verweigern. Dazu gehört es zuallererst, zuzuhören. Auch das Bezeugen ist wichtig – nicht nur den eigenen Glauben, sondern auch eigene Positionen, die jedoch in der eigenen Vernunft reflektiert werden müssen.
Vatican News: In knapp einem Jahr stehen in Sachsen Wahlen an. Bei der letzten Landtagswahl 2014 hatte die AfD noch 9,7 Prozent. Worauf stellen Sie sich 2019 ein? Wie bereitet sich die Katholische Akademie in Sachen auf nächstes Jahr vor?
Thomas Arnold: Als Katholische Akademie schauen wir nicht auf Zahlen einzelner Parteien – das überlassen wir den Fraktionen in den Parteien. Als Kirche sind wir nicht parteipolitisch, aber dennoch politisch. Wir wollen die Positionen in den Diskurs und damit auch in die Monate vor der Landtagswahl einbringen. Wir machen dies zum Beispiel mit unserem sogenannten „Sachsensofa“. Das wird ein Sofa sein, auf dem Leute, die aus dem gesellschaftlichen Leben bekannt sind, mit ganz verschiedenen Leuten zusammenkommen. Sie sollen dort über gesellschaftliche Themen diskutieren. Zum Beispiel wird über die Frage gesprochen: Was bleibt, wenn alles geht? – Zur Frage von Demografie in unserem Land. Oder wie funktioniert parlamentarische Demokratie?
Es geht jedoch nicht um Belehrung, sondern wir wollen miteinander über gesellschaftliche Prozesse ins Gespräch, vielleicht auch in Streit kommen. Viele Persönlichkeiten haben uns bereits für das Projekt zugesagt. Das Projekt soll viele neue Perspektiven in die gesellschaftlichen Diskussionen in Sachsen einbringen. Außerdem bieten wir in verschiedenen Foren in Sachsen – in Chemnitz, Leipzig, Dresden, Freiberg und Zwickau Veranstaltungsreihen an. Diese thematisieren häufig die Landtagswahl und damit verbundene Themen.
Vatican News: Kirche in Ostdeutschland hat bei vielen Einwohnern nicht den besten Ruf oder genießt große Glaubwürdigkeit. Wie werden Ihre Angebote unter diesen Voraussetzungen wahrgenommen – auch von den Leuten, die der Kirche fern sind?
Thomas Arnold: Ich erlebe große Unterschiede zwischen den Alten und den Neuen Bundesländern. In den Neuen Bundesländern nehme ich an vielen Stellen ein Interesse für Religion wahr. Manchmal jedoch auch ein völliges Desinteresse, dennoch nicht komplette Ablehnung. Ich sehe darin unsere Chance, miteinander ins Gespräch zu kommen. Als Akademie übersetzen wir diese grundsätzliche Feststellung, in dem wir uns verschiedenen Kooperationspartner aus dem gesellschaftlichen Leben holen – zum Beispiel parteinahe Stiftungen, Museen und Initiativen aus dem Kunst- und Kulturbereich. Mit ihnen diskutieren wir Themen und stoßen Denkprozesse an.
Im November beispielsweise bringen wir Gregor Gysi mit Bischof Gerhard Feige in Leipzig zusammen. Wir führen Menschen zusammen, die ihre eigene Biografie in Ostdeutschland hatten. Der Eine ganze ohne Glauben, der Andere von seinem Glauben und seinen Überzeugungen im Christlichen geprägt. Damit wollen wir verschiedene Leute erreichen und Denkprozesse anstoßen. In den letzten Jahren habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Menschen zumindest ins Denken kommen. Nach den Veranstaltungen gehen sie nach Hause und erzählen mir teilweise am nächsten Tag, dass sie bis nachts zwei Uhr noch weiter diskutiert haben. Wenn wir das schaffen, haben wir schon viel erreicht.
(vatican news)
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