Hermann Glettler, Bischof von Innsbruck, fordert in seiner Predigt im Wiener Stephansdom zur Solidarisierung in der Gesellschaft auf Hermann Glettler, Bischof von Innsbruck, fordert in seiner Predigt im Wiener Stephansdom zur Solidarisierung in der Gesellschaft auf 

Österreich: Glettler mahnt zu Einheit

Eine „neue Leidenschaft für die bedrohte Einheit in der österreichischen Gesellschaft“ hat der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler eingemahnt. In seiner Predigt beim Festgottesdienst zum Nationalfeiertag im Wiener Stephansdom am Freitagabend sprach der Bischof von „Anzeichen, dass die humanitäre Großwetterlage frostiger, unberechenbarer und aggressiver wird“.

Sorgen bereiteten ihm vor allem die zunehmende Entsolidarisierung in der Gesellschaft und die Verrohung der Sprache. Es sei auch zu beobachten, „dass unzählige Menschen im Optimierungsstress unserer Zeit zu Opfern eines übertrieben perfektionierten Lebens werden“. Sie opferten dabei ihre Seele dem Immer-Mehr und Immer-Erfolgreicher, so der Bischof weiter: „Kollektiv sind wir Teil einer Wegwerfgesellschaft geworden, die sich gegen den Anruf Gottes in den schwächeren Gliedern der Gemeinschaft sehr leicht verschließt. Versetzt es uns nicht in Unruhe, wenn die alltägliche Sprache verroht und ungeniert Menschen als Abschaum oder 'Scheiß Sozialschmarotzer' beschimpft werden können?“

Krasses Zeichen der Zeit

Der Bischof verwies auf „Zeichen der Trennung, der Entsolidarisierung und der aufgekündigten Sorgepflicht für jene, die mit den individuell harten Lebensbedingungen zu kämpfen haben“. Das gelte im lokalen Umfeld und in gleicher Weise auch im globalen Maßstab. Glettler: „Ist denn nicht der Überlebenskampf von Millionen, die dem Verhungern ausgesetzt sind, ein krasses Zeichen unserer Zeit? Brüllt uns denn damit Gott nicht schon längst ins Ohr, dass wir eine weltweit sich verschärfende Ungerechtigkeit doch nicht weiterhin akzeptieren sollten, die dieses Elend fortschreibt und die Kluft zwischen Arm und Reich immer noch vorantreibt?“

Ein leidenschaftliches Engagement für die Einheit in der Gesellschaft setze ein „lebendiges, ein nicht verhärtetes Herz voraus, das sich aus aller Zerstreuung und Verworrenheit bei Gott gesammelt hat“. Glettler: „Die wichtigste Friedensarbeit beginnt also im Inneren von uns selbst und hat eine versöhnte Identität zur Folge. Diese wird ermöglicht und genährt durch den Frieden, den Gott uns durch Jesus geschenkt hat.“

Inklusion statt Exklusion

Wenn von Einheit der Gesellschaft die Rede ist, müsse man sich freilich Rechenschaft über die Frage geben: „Wen meinen wir, wenn wir 'Wir' sagen? Wenn wir 'das Volk' oder 'die Leute' sagen? Schleichen sich da nicht ganz oft Mechanismen des Ausschlusses ein?“ Doch es bedürfe Inklusion statt Exklusion, wie auch Papst Franziuskus nicht müde werde zu betonen. Glettler: „Auch die Unsympathischen und Lästigen, ja sogar jene, die es scheinbar oder offensichtlich nicht gut meinen, gehören zu uns. Wer die Entfremdung im eigenen Herzen überwunden hat, kann anderen Heimat geben und zur Überwindung gefährlicher Ausgrenzungen beitragen.“

Eine Einheit, die ihm für heutige Gesellschaft erstrebenswert erscheint, "ist mit Sicherheit keine Unterdrückung der Vielfalt von Weltanschauungen und religiösen Überzeugungen". Einheit sei sicher auch „keine oberflächliche Harmonisierung von Konflikten“. Vielmehr brauche es den Aufbau einer Konfliktkultur, verbunden mit der Mühe um eine möglichst gewaltfreie Kommunikation.

Das alltägliche Zusammenleben sei diesbezüglich „eine ganz große Herausforderung - in den multikulturellen Wohnblöcken, Siedlungen und Stadtteilen“, räumte der Bischof ein. Aber: „Trotz der vielen Egoismen, die wir beobachten können, ist in unseren Städten und Dörfern auch eine beeindruckende Solidarität mit Hilfsbedürftigen, Fremden und sozial Schwachen gewachsen“, so Glettler weiter. Die Begeisterung für Benefiz-Veranstaltungen und die Vielzahl sozialer Initiativgruppen seien ein Indiz dafür. Des Weiteren sei den meisten Leuten klar, „dass wir ohne Umstellung auf einen nachhaltigen Lebensstil unsere Erde in die finale Erschöpfung treiben“.

Gedenkjahr 2018

Der Innsbrucker Bischof nahm in seiner Predigt auch ausführlich auf das Gedenkjahr 2018 Bezug: „In diesem aufgeladenen Gedenkjahr 2018 erinnern wir uns bewusst an viele historische Ereignisse. Speziell die sogenannten 8er-Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts waren zeichenhaft Schlüsseljahre in der österreichischen Demokratiegeschichte.“

Vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg, und Bischof Gletter stellte die Frage, was die Menschen in diesen Krieg getrieben hatte: „Die Uneinigkeit der Völker Europas, ein übertriebener Nationalismus und eine wahnwitzige Verklärung des Krieges als Motor von Erneuerung und Lebensdynamik.“

„Manche Versprechungen von Wohlstand und Frieden haben sich im Nachhinein als Verführung machtbesessener Despoten und gefährlicher Ideologien entpuppt.“

Die Zwischenkriegszeit sei dann eine Zeit der wirtschaftlichen und sozialen Umbrüche gewesen; mit Lebensmittelknappheit, Inflation, Wohnungs- und Arbeitslosigkeit, Perspektivenlosigkeit und einer hasserfüllten politischen Polarisierung in den Jahren des Austrofaschismus. Glettler: „Die Zeichen standen auf Erwartung eines politischen Messias mit der Bereitschaft, sich von politischen Heilsversprechungen blenden zu lassen. Der Antisemitismus hatte ja schon einen jahrhundertealten Nährboden. Es war leicht, die scheinbar Schuldigen auszumachen.“ Nur wenige prophetische Stimmen hätten damals vor diesen Entwicklungen gewarnt, die Masse habe sich bereitwillig verführen lassen.

Ebenso wie 1918 habe auch das Jahr 1938 einen harten Bruch in der Staatsform mit sich gebracht. Vor 80 Jahren verlor Österreich seine Eigenstaatlichkeit und wurde Teil des nationalsozialistischen Deutschen Reichs. Die Novemberpogrome fast genau vor 80 Jahren seien der erste traurige Höhepunkt der Shoah gewesen. Glettler: „Man hat auf die alarmierenden Zeichen der Zeit nicht entsprechend reagiert. Manche Versprechungen von Wohlstand und Frieden haben sich im Nachhinein als Verführung machtbesessener Despoten und gefährlicher Ideologien entpuppt.“ Was als Freiheit und Entwicklung des Menschen gepriesen wurde, habe in die totale Zerstörung geführt.

Mit brennender Sorge

Der Innsbrucker Bischof erinnerte zugleich auch an die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ von Papst Pius XI. und an den „Widerstand von Männer und Frauen, die sich nicht blenden ließen“. Namentlich nannte er Franz Jägerstätter, Alfred Delp, Dietrich Bonhoeffer und Sr. Restituta Kafka sowie den Tiroler Marianistenpater Jakob Gapp. „Für den Letztgenannten war es klar - und er hat im Religionsunterricht und in seinen Predigten deutlich davon gesprochen, dass wir als Menschen, von Gott mit einer gleichen Würde begabt, zusammengehören. Er hat dafür mit dem Tod bezahlt.“

Glettler erinnerte schließlich auch an das „Rosenkranzfest“ am 7. Oktober 1938 im Stephansdom mit mehr als 7.000 jugendlichen Teilnehmern. Dieses sei im Nachhinein gesehen ein Beispiel einer wachen Erkenntnis, wie sehr sich die Großwetterlage zum Unheil der Menschen verschoben hatte. Aufgerüttelt durch die Predigt von Kardinal Innitzer sei es am Stephansplatz zu anti-nationalsozialistischen Bekundungen und Sprechchören von katholischen Jugendlichen gekommen.

Der Nationalfeiertag wird in St. Stephan seit vielen Jahren geistlich akzentuiert und als „Gebet für Österreich“ mit Lichterprozession und einem Festgottesdienst zum Dank für Frieden und Freiheit gestaltet. Der Festgottesdienst endete mit dem Geläut der Pummerin.

(kap – hoe)

 

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27. Oktober 2018, 10:35