Österreich: Kritik an Kurz nach Vorwürfen gegen Retter
„In der Debatte um Seenotrettung mit Mythen und Unterstellungen zu operieren, ist eines Bundeskanzlers und amtierenden EU-Ratsvorsitzenden nicht würdig“, meint die Direktorin der Diakonie Österreich, Maria Katharina Moser. Sie reagiert damit auf Interviewäußerungen von Sebastian Kurz, Hilfsorganisationen würden mit Schleppern gemeinsame Sache machen, um Menschen nach Mitteleuropa zu bringen.
Verantwortung der Regierungen
Aufklärung tue Not, so Moser. „Man muss die Zusammenhänge sehen: Die renommierte Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen und andere Nichtregierungsorganisationen wurden in der Seenotrettung aktiv, nachdem die Regierungen ausgelassen haben,“ so Moser. Ende Oktober 2014 wurde die von der italienischen Küstenwache durchgeführte Aktion Mare Nostrum eingestellt, in deren Rahmen 150.000 Menschenleben gerettet worden waren. Grund für die Einstellung: Die EU war nicht bereit, sich an den Kosten zu beteiligen.
Es gab zwar Nachfolgemissionen, aber mit geringeren finanziellen Mitteln, auf einem kleineren Gebiet und mit Fokus auf Grenzschutz. „Das hat die Rettungs- und Hilfsorganisationen auf den Plan gerufen. Nichtregierungsorganisationen müssten keine Seenotrettungsmissionen durchführen, würden die Regierungen ihrer Verantwortung nachkommen“, betont Moser.
Mythos Pull-Effekt
Dass die Seenotrettung dazu führe, dass immer mehr Menschen den gefährlichen Weg über das Mittelmeer auf sich nehmen, sei ein Mythos, so die Diakonie-Direktorin. „Studien zeigen, dass es den viel zitierten Pull-Effekt nicht gibt. Fakt ist, dass die Mortalitätsraten im Mittelmeer gestiegen sind, nachdem die Seenotrettung zurückgefahren wurde.“
Libyen kein sicherer Ort
Warum die Kooperation mit Libyen beständig als Lösung beschworen werde, ist für Moser nicht nachvollziehbar: „Erstens ertrinken die meisten Bootsflüchtlinge in Libyschen Hoheitsgewässern. Zweitens ist Libyen kein place of safety.“ Das habe ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 2012 bestätigt. Die Zustände in Libyen seien allgemein bekannt. In den dortigen Lagern ist die medizinische Versorgung kaum gewährleistet. Es gibt keine Registrierung oder funktionierende Dokumentation. Menschenrechtsorganisationen berichten von unvorstellbaren, menschenunwürdigen Zuständen. „Das bedeutet: Menschen nach Libyen zurück zu bringen, ist aus völkerrechtlicher und menschenrechtlicher Sicht nicht gestattet“, so Moser.
Darüber hinaus gelte das Unionsrecht: Jeder Mensch hat das Recht einen Asylantrag zu stellen und das Recht auf ein faires und rechtstaatliches Verfahren in Europa. „Wir hören oft den Satz: Recht muss Recht bleiben. Ärzte ohne Grenzen und andere Hilfsorganisationen tun genau das – sie sorgen im Mittelmeer dafür, dass Recht Recht bleibt“, so Moser abschließend.
Ärzte ohne Grenzen: Realität im Mittelmeer korrekt wiedergeben
Kurz hatte in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ beklagt, „dass ein paar Nichtregierungsorganisationen das klare Ziel der 28 Staats- und Regierungschefs in Europa konterkarieren. Und das nicht nur mit dem Ziel, Leben zu retten, sondern gemeinsam mit den Schleppern Menschen nach Mitteleuropa zu bringen.“ Der ÖVP-Chef nannte konkret das Schiff „Aquarius 2“, das von Ärzte ohne Grenzen und SOS Mediterranee betrieben wird.
Michael Chalupka, bis vor kurzem langjähriger Leiter der Diakonie Österreich, hatte dazu getwittert: „Ja, es ist leicht, anderen die Schuld zu geben, um vom eigenen Versagen abzulenken, da hat Ärzte ohne Grenzen recht. Es ist aber auch infam, damit billige populistische Punkte sammeln zu wollen.“ Bereits am Vortag hatte sich Ärzte ohne Grenzen heftig dagegen verwahrt und von „Unterstellungen“ gesprochen, „die in keinster Weise auf Fakten beruhen und die Realität am Mittelmeer nicht korrekt wiedergeben“.
(pm/orf – hoe)
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