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Orthodoxie: Jede autokephale Kirche führt eigene Seelsorge

In den letzten Tagen wurde intensiv über die Anerkennung der autokephalen orthodoxen Kirche in der Ukraine diskutiert. Aber vielen – gerade Nicht-Orthodoxen – ist der Aufbau der „Kirchen des Ostens“ nicht bekannt. Wir haben mit einem Experten darüber gesprochen.

Stefanos Athanasiou doziert an den Theologischen Fakultäten der Universität Bern und Fribourg und an der Theologischen Hochschule von Chur sowie im Theologischen Studienjahr der Dormitio in Jerusalem, und hat den Schwerpunkt Systematische, Ökumenische und Orthodoxe Theologie.

Das Interview - zum Nachhören

Vatican News: Das Verhältnis zwischen dem Patriarchat von Moskau und dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel hat in jüngster Zeit viel durch gemacht. Das ging jetzt sogar soweit, dass die russisch-orthodoxen Gläubigen nicht mehr für den Ökumenischen Patriarchen beten. Bereits vor zwei Jahren gab es einen ersten Einschnitt beim Panorthodoxen Konzil. Weshalb blieb denn damals das Moskauer Patriarchat dem Panorthodoxen Konzil auf Kreta 2016 fern?

Athanasiou: Wahrlich ist momentan die Beziehung zwischen dem Patriarchat von Moskau und dem Ökumenischen Patriarchat nicht die beste. Besonders seitdem Mitte Oktober der Heilige Synod der russisch-orthodoxen Kirche beschlossen hat, die Kommunionsgemeinschaft auf allen Ebenen mit dem Ökumenischen Patriarchat zu unterbrechen.

Ihre Frage bezieht sich jedoch auf das Fernbleiben des Moskauer Patriarchates vom Panorthodoxen Konzil auf Kreta, das am Pfingstfest 2016 stattgefunden hat. Sie müssen wissen, dass im Januar 2016, die Synaxis, das heißt das Treffen aller orthodoxen Oberhäupter von allen 14 autokephalen Kirchen synodal beschlossen hat, dass das Konzil 2016 am Pfingstfest stattfinden sollte. Als sich das Datum der Synode immer mehr näherte, haben sich drei autokephale orthodoxe Kirchen, die Patriarchate von Antiochien, Bulgarien und Georgien, entschlossen, doch nicht an diesem panorthodoxen Konzil teilzunehmen. Jedes aus eigenen speziellen Gründen. Vor allem aber auch aus dem Grund, dass manche dieser autokephalen Kirchen, Ängste geäußert haben, was den Ökumene-Text angeht. Daraufhin hat das Moskauer Patriarchat eben auch mitgeteilt, nicht an der Synode teilzunehmen zu wollen, da eben nicht alle 14 autokephalen Kirchen vertreten seien, sondern eben nur noch elf, bzw. dann zum Schluss ohne Moskau nur noch zehn. Die anderen zehn autokephalen Kirchen haben sich auf dem Konzil zusammengefunden und haben beschlossen, das Konzil stattfinden zu lassen; nämlich aus dem Hintergrund, dass eine synodale Entscheidung, die eben im Januar 2016 beschlossen worden ist, nicht einseitig von einer bzw. vier autokephalen Kirchen, einfach so widerlegt werden kann. Darüber hinaus muss man aber wissen, dass alle Texte, die auf diesem Konzil beschlossen worden sind, in ihrer Verfassungsgeschichte panorthodox verfasst worden sind. Diese Texte sind Texte, die in den letzten 60 Jahren verfasst  und bearbeitet worden sind und wie ich schon betont habe, eben nicht von einer, fünf oder zehn orthodoxen Kirchen, sondern von allen 14 orthodoxen autokephalen Kirchen. In diesem Sinne ist die gesamte Verfassungsgeschichte dieser Texte panorthodox. Kreta sollte eben der letzte Akt werden, wo diese gemeinsame Verfassungsgeschichte ihren Endpunkt finden sollte. Es ist schade, dass vier autokephale orthodoxe Kirchen zu diesem letzten Akt nicht erschienen sind, was aber die Substanz der Texte angeht, muss man betonen,  dass sie eben durch das gemeinsame Verfassen schon eine panorthodoxe Bestätigung erhalten haben. Viele Beschlüsse sind schon rezipiert worden, anderen bedürfen noch eine gewisse Zeit der Gärung. Ob und wann sie rezipiert werden, wird endgültig die Kirche in ihrem Alltag festlegen.

 

„Kreta sollte eben der letzte Akt werden, wo diese gemeinsame Verfassungsgeschichte ihren Endpunkt finden sollte.“

 

Vatican News: Als Nicht-Orthodoxe: Wie ist denn eigentlich die orthodoxe Weltfamilie kirchlich miteinander verbunden? Welche Rolle spielen die Patriarchate?

Athanasiou: Die orthodoxe Kirche stützt sich auf das Autokephalie-Prinzip, das seine Grundlage sicherlich in der alten Pentarchie-Praxis hat. Was heißt das konkret? Jede autokephale Kirche hat in diesem Sinne das Recht, in pastoralen Angelegenheiten selbst Entscheidungen zu treffen, ohne eine höhere Instanz zu fragen. Darüber hinaus sind die autokephalen Kirchen frei, ihrer innere Organisation zu regeln, also wie z.B. ein Patriarch gewählt wird oder wie genau die verschiedenen Synoden tagen usw. Darüber hinaus ist das höchste Organ einer autokephalen Kirche die Synode dieser autokephalen Kirche, deren Vorsitzender eben immer ein Patriarch oder in manchen Kirchen ein Erzbischof ist. Die jeweilige autokephale Kirche hat jedoch nicht das Recht neue dogmatische Lehren zu verabschieden oder grundlegende Veränderungen in der liturgischen Praxis der Kirche durchzuführen. Die höchste Entscheidungsinstanz bleibt in der orthodoxen Kirche das Konzil, das Ökumenische Konzil, das als Ereignis geschieht und Entscheidungen treffen kann, die verbindlich sind für alle autokephalen orthodoxen Kirchen. Die Frage ist natürlich jetzt, wie sind die verschiedenen autokephalen Kirchen miteinander verbunden und da ist klar, der eucharistische Kelch ist derjenige, der alle 14 autokephalen Kirchen verbindet und zu der Einen Orthodoxen Kirche macht. Die Teilnahme an diesem Kelch, der offen steht für jeglichen Gläubigen der orthodoxen Kirche ist der Garant der Einheit, der innere Garant der Einheit, der orthodoxen Kirche und in dem Sinne, ist natürlich der Kelch Jesus Christus selbst. Wir kennen also in der orthodoxen Kirche nicht das Prinzip eines Papstes als Garant der Einheit. In der römisch-katholischen Kirche ist, jeder, der in Communio mit dem Papst von Rom steht, gleichzeitig der römisch-katholischen Kirche angehörig. In der Orthodoxie ist eben der Garant der Einheit  nicht ein Papst sondern der Kelch, der die Einheit der Kirche als Leib Christi darstellt. Aus diesem Grund gibt es auch keine Gläubigen-Listen, die sagen, wer russisch-orthodox, griechisch-orthodox, bulgarisch-orthodox usw. ist, sondern ein Gläubiger, egal welcher Ethnie er angehört, ist automatisch Gläubiger der orthodoxen Kirche vor Ort. Egal, wo er sich gerade befindet. Sie geben mir hier die Gelegenheit nochmal zu betonen, dass die Terminologie, also russisch-orthodox, bulgarisch-orthodox, serbisch-orthodox usw. eigentlich falsch ist und leider heute auch von vielen Orthodoxen selbst, wenigstens in westlichen Sprachen, benutzt wird. In den meisten orthodoxen Heimatsprachen spricht man eben nicht von der russisch oder serbisch-orthodoxen Kirche, sondern man spricht von der orthodoxen Kirche in Russland oder von der orthodoxen Kirche in Griechenland oder der orthodoxen Kirche in Serbien. Hier merken Sie, dass ein fundamentaler Unterschied in der Denkpraxis existiert. Nämlich von orthodoxer  Auffassung her gibt es nur die eine orthodoxe Kirche an verschiedenen Orten. Die Einheit der orthodoxen Kirche wird eben durch den Kelch gewährleistet. Darüber hinaus drückt sich die strukturelle Einheit auch in verschiedenen Praxen aus wie die Teilnahme an der Synaxis, vor allem in den letzten Jahren, wo alle orthodoxen Oberhäupter teilnehmen und wo panorthodoxe Entscheidungen getroffen werden. Darüber hinaus aber werden in den sogenannten Diptychen der jeweiligen Patriarchate, das heißt in der Bischofsliste, wo alle autokephalen Oberhäupter aufgelistet sind, , die anderen Patriarchen bzw. Oberhäupter der autokephalen Kirchen erwähnt. Der jeweilige Patriarch gedenkt also in der Liturgie den anderen autokephalen Oberhäuptern. In diesem Sinne sind die Patriarchate wichtig für die innere Organisation der orthodoxen Kirche an verschiedenen Orten. Die Dyptichen sind in sich nach dem Prinzip des Primus inter pares und einer genauen Taxis gegliedert, wo eben als erstes der ökumenische Patriarch von Konstantinopel erwähnt wird, dem folgen die Patriarchen von Alexandrien, Antiochien, Jerusalem und so weiter. Das ökumenische Patriarchat hat in diesem Sinne als Primus inter pares eine besondere pastorale Verantwortung für die Einheit der Gesamtorthodoxie. Das heißt, dass der ökumenische Patriarch als Primus inter pares die Einheit der Orthodoxie fördern muss. In diesem Sinne ruft er auch die Synaxis oder andere panorthodoxe Treffen ein. Darüber hinaus ist  das ökumenische Patriarchat als Primus inter pares auch die höchste Appellationsinstanz. Wenn sich zum Beispiel zwei orthodoxe Kirche streiten also zwei autokephale orthodoxe Kirchen streiten, können sie sich jederzeit an das ökumenische Patriarchat wenden, um diese Streitigkeiten zu regeln. Der Ökumenische Patriarch ist aber kein Papst, sondern das Oberhaupt einer autokephalen orthodoxen Kirche, also des Ökumenischen Patriarchates, aber nimmt als Primus inter pares, wie schon erwähnt, seine besondere Rolle auch für die Panorthodoxie wahr. Er hat jedoch nicht das Recht in inneren pastoralen Angelegenheiten anderer autokephaler Kirchen einzugreifen.

 

„Wenn sich zum Beispiel zwei orthodoxe Kirche streiten also zwei autokephale orthodoxe Kirchen streiten, können sie sich jederzeit an das ökumenische Patriarchat wenden, um diese Streitigkeiten zu regeln.“

 

Vatican News: Weshalb gibt es autokephale orthodoxe Kirchen? Welches Verhältnis besteht zwischen Kirche und Staat im orthodoxen Sinne?

Athanasiou: Wie schon erwähnt ist das Autokephalie-Prinzip ein altkirchliches Prinzip, das in der alten Pentarchie seinen Ausdruck gefunden hat. Es gab in diesem Sinne in der alten Kirche die fünf Patriarchate. Das heißt die Patriarchate von Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem. Jedes dieser Patriarchate hat in seinem Jurisdiktionsgebiet, also in seinem geografisch verantwortlichen Gebiet die volle pastorale Verantwortung. Nach diesem Prinzip strukturiert sich auch die orthodoxe Kirche heute. Nur dass es heute nicht mehr fünf Patriarchate bzw. autokephale Kirchen gibt, sondern diese auf 14 angestiegen sind. Im Zuge der Nationalismus Idee im 19. und 20. Jahrhundert wurden auf dem Balkan verschiedene neue Staaten gegründet, die aus der Revolution gegen das osmanische Reich heraus entstanden sind. Hierbei sind z.B. Griechenland, Serbien, Bulgarien usw. als Staaten neu gegründet worden. In diesem Zuge verlangten diese neu gegründeten Staaten eine Autokephalie, das heißt also eine absolute innere pastorale Freiheit und Selbstbestimmungsrechte. Eine wichtige Rolle hat natürlich auch die Tatsache gespielt, dass das ökumenische Patriarchat in Konstantinopel sich nach den Freiheitskämpfen auf dem Balkan immer noch im osmanischen Gebiet befand. Die neugegründeten Staaten verlangten autokephale Kirchen, da viele befürchteten, dass der politische osmanische Einfluss, zu groß gewesen wäre, falls sie immer noch organisatorisch ein Teil des Ökumenischen Patriarchates geblieben wären. Man muss jedoch die Autokephalie nicht als eine Spaltung sehen, sondern als ein Recht das einem kirchlichen Gebiet zugesprochen wird, eine innere pastorale und organisatorische Freiheit zu genießen. Die Autokephalie ist also ein Zuspruch der Mündigkeit an eine kirchliche Region, die Ihr Verlangen geäußert hat sich autokephal zu organisieren. Zu Prüfung jedoch, ob eine Region wirklich Mündig ist bzw. Züge der Mündigkeit bewiesen hat ist eine Verantwortung die vor allem dem Ökumenischen Patriarchat historisch zugesprochen wird.

In diesem Sinne gibt es besonders zwischen den autokephalen orthodoxen Kirchen, die eben aus der Nationalidee heraus geboren wurden, eine enge Zusammenarbeit mit den staatlichen Strukturen. Dies heißt jedoch nicht, dass die orthodoxe Kirche ein längerer Arm des Staats ist. Jede orthodoxe Kirche vor Ort sieht sich in der Verantwortung, bzw. sollten sich in der Verantwortung sehen, dem Staat gegenüber die nötige Opposition zu zeigen, wenn grundlegende Menschenrechtsverletzungen, die sich auch gegen die orthodoxe Anthropologie wenden, verletzt werden. Wenn man die Biographien der Kirchenväter studiert, auf deren Theologie sich wie bekanntlich besonders die Orthodoxe Theologie stützt, waren es diese die sich bei jeglicher Art der Verletzung der theologischen aber eben auch politischen Menschenwürde gegen den Staat bzw. Kaiser und jeglicher Macht gestellt haben. Ein besonders Beispiel hierbei ist sicherlich der heilige Basilios der Große, dem die Orthodoxe Kirche  in wenigen Tagen, am 1. Januar gedenkt.

 

„Jede orthodoxe Kirche vor Ort sieht sich in der Verantwortung, bzw. sollten sich in der Verantwortung sehen, dem Staat gegenüber die nötige Opposition zu zeigen, wenn grundlegende Menschenrechtsverletzungen, die sich auch gegen die orthodoxe Anthropologie wenden, verletzt werden.“

 

Vatican News: Man spricht vom Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, wenn man vom Patriarchen von Konstantinopel spricht. Was ist genau damit gemeint?

Athanasiou: Der Erzbischof von Konstantinopel und ökumenischer Patriarch, also im Moment Bartholomäus I., ist der Primus inter pares in der Orthodoxie. Der ökumenische Patriarch hat den Ehrenvorrang vor allen orthodoxen Patriarchen und autokephalen Oberhäuptern. Das heißt, wenn alle autokephalen Oberhäupter zusammen zelebrieren, hat er immer den liturgischen Vorsitz. Darüber hinaus hat er jedoch auch den Vorsitz, wenn sich die orthodoxe Kirche in panorthodoxen Organen trifft, und hat eben das Recht, solche Organe einzuberufen. Sicherlich ist die Rolle und die Funktion des ökumenischen Patriarchen nicht dieselbe wie die des Papstes für die römisch-katholische Kirche. Darüber hinaus hat er als Protos, das heißt als Erster, eine besondere Verantwortung für die Panorthodoxie. Das heißt, er ist besonders dafür verantwortlich, dass die Einheit der verschiedenen autokephalen Kirchen unter einander gewährleistet wird bzw. muss fördernde Maßnahmen ergreifen, damit diese erhalten bleibt. Darüber hinaus ist das ökumenische Patriarchat wie schon erwähnt, die höchste Appellationsinstanz in der Orthodoxie. Die Kirchenpraxis hat in den letzten Jahrzenten darüber hinaus gezeigt, dass die Synaxis eine immer wichtigere Bedeutung für die Panorthodoxie erhalten hat. Eine besondere Rolle spielt das ökumenische Patriarchat auch für die Ökumene. Es ist dasjenige, das die panorthodoxen Gremien koordiniert und einberuft und in diesem Sinne auch die gesamten offiziellen bilateralen und multilateralen Ökumenetreffen wo die Orthodoxe Kirche als Ganzes vertreten ist auf Seiten der Orthodoxie organisiert.

Vatican News: Was hat denn das Ökumenische Patriarchat für eine Bedeutung für die Einheit unter den Orthodoxen?

Athanasiou: Ich habe ja bereits erwähnt, dass seit dem 19. Jahrhundert, neue, sogenannte Nationalkirchen entstanden sind, obwohl mir dieser Begriff so nicht gefällt. Man muss jedoch sagen, dass wir seitdem eine Expansion von Nationalkirchen bzw. autokephalen Kirchen haben. Der Anstieg auf 14 autokephale Kirchen ist der heutige Zustand. In diesem Sinne hat das Ökumenische Patriarchat eine besondere Aufgabe, einheitsfördernde Strukturen zu entwickeln, damit die panorthodoxe Einheit und der Ausdruck der Orthodoxen Kirche als eine Kirche für die Zukunft gewährleistet bleibt.

Das Gespräch führte Mario Galgano

(vatican news)

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24. Dezember 2018, 10:47