Abendland trifft Morgenland: Die Ditib-Zentralmoschee in Köln Abendland trifft Morgenland: Die Ditib-Zentralmoschee in Köln 

„Christliches Abendland“, pro und contra

Kardinal Marx ist eher dagegen. Bischof Voderholzer ist eher dafür. Deutsche Bischöfe sind sich nicht einig, ob man den Begriff „christliches Abendland“ verwenden sollte oder lieber doch nicht. Also was jetzt? Das Kölner Domradio reichte die Frage, so wie sich das gehört, an einen Professor weiter.

„Der Ausdruck lässt glauben, dass das Abendland von Beginn an bis heute christlich geprägt sei.“ So steigt Otfried Höffe, ein emeritierter Philosophie-Professor aus Tübingen, in das Thema ein. „In Wahrheit beginnt das Abendland bei den Griechen und setzt sich in Rom fort, also in zwei heidnischen und vorchristlichen Kulturen. Das Reformjudentum, das Christentum nimmt den Ursprung nicht im Abendland, sondern außerhalb in Jerusalem.“

Aber was ist mit den Kathedralen, die überall in Europa stehen? Klar, sagt Höffe, Europa sei „zweifellos stark vom Christentum geprägt“.

Menschenrechte? Kein Ruhmesblatt der Kirchen...

„Das ist schon in der Architektur sichtbar, in den Kirchen, oft Kleinodien, in der Baukunst und ferner in den Feiertagen, die wir pflegen. Auch Atheisten und Nicht-Christen werden den Einfluss des Christentums auf die Musik, die Gregorianik, auf Messvertonungen, auf die gesellschaftliche Moral - beispielsweise kann man die Solidarität teilweise als säkularisierte Nächstenliebe verstehen – nicht leugnen.“

Zum Nachhören

Solidarität ist also eine christliche Erfindung, wenn man so will. Und die Menschenrechte doch auch, oder etwa nicht? Höffe: „Der Gedanke der Gottesbildlichkeit hat später zum Gedanken von Menschenwürde und Menschenrechten geführt mit der Einschränkung, dass die Menschenrechte von den Großkirchen lange Zeit nicht gerade befürwortet wurden und die Gleichberechtigung von Mann und Frau noch zu verbessern wäre. Hier ist kein Ruhmesblatt der etablierten Kirchen.“

Wäre Europa ohne Christentum vorstellbar?

Trotzdem: Dass Europa stark vom Christentum geprägt ist, können wir nach dem bisher Gesagten schon einmal behaupten.

Nun sagt der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer, dass der christliche Glaube die Seele Europas sei. Nur deshalb habe Europa zum Beispiel der Ursprungsort der wissenschaftlichen Welterklärung mit den Mitteln der menschlichen Vernunft werden können. Kann man sich diese Entwicklung Europas auch ohne das Christentum vorstellen?

Höffe: „Die Wissenschaft ist in Griechenland entstanden, mit Vorläufern außerhalb von Griechenland, und ganz sicher nicht im Christentum. Und bei Augustinus, bei Thomas von Aquin gab es gewisse Vorbehalte gegen ein unzensiertes wissenschaftliches Forschen. Das sieht ganz anders aus. Rechtsstaatlichkeit, Volkssouveränität, Gewaltenteilung und den zu Grundrechten positivierten Menschenrechten, das ist eine Entwicklung, die auch vom Christentum unabhängig ist, wenn sie auch später von ihm mitgeprägt ist.“

Und was ist mit dem Begriff „westliche Kultur“?

Alles also nicht so einfach – das hat man davon, wenn man einen Professor fragt. „Man muss Schwierigkeiten haben, wenn man so denkt wie der genannte Regensburger Bischof. Auch das nationale Wirtschaftsdenken stammt nicht aus christlichem Denken. Allenfalls kann man sagen, dass der Sozialstaat als Korrektiv zum freien Markt gewisse christliche Inspirationsquellen hat, aber auch nur gewisse.“

Heißt das nun, wir sollten künftig besser nicht vom „christlichen Abendland“ sprechen, sondern lieber unbestimmter von einer „westlichen Kultur“? Auch da hat Höffe Einwände.

„Da bleibt wiederum ‚Kultur des Westens‘ insofern nicht ganz zutreffend, weil Jerusalem, das Reformjudentum, das in der genannten Weise unsere Kultur mitbestimmt, eben nicht aus dem Westen kommt. Insofern habe ich da Bedenken. Bei ‚Kultur‘ müsste man sich überlegen, was damit alles gemeint ist. Wenn man das sehr weit nimmt, sozusagen die Lebensverhältnisse, unsere konstitutionellen Demokratien, einschließlich Menschenrechte, Wissenschaft und Medizin, Technik, zunächst auch das rationale Wirtschaftsdenken und die Sozialstaatlichkeit, dann könnte man das durchaus so formulieren.“

„Notwendiges Korrektiv“

Dann wäre es nämlich kein „Gegenbegriff zum christlichen Abendland“, sondern ein „notwendiges Korrektiv“. „Denn noch einmal: Christliches Abendland verkürzt die Wirklichkeit, und zwar sowohl die heutige als auch die der tatsächlichen geschichtlichen Entwicklung.“

Der emeritierte Philosoph aus dem Schwäbischen rät dazu, den Begriff Abendland nur „zurückhaltend“ zu verwenden – und lieber von einer „gemeinsamen europäischen Kultur“ zu sprechen.

Europäische Kultur wirkt über Europa hinaus

„Eine gemeinsame europäische Kultur, die aber über Europa hinaus wirkt. Eine gewisse Fortsetzung - das dürfen wir nicht vergessen - hat sich in den USA und in Kanada entwickelt, beziehungsweise auch in Iberoamerika. Und bestimmte Teile, unter anderem die rationale Wissenschaft und die dahinter steckende unzensierte Neugier, finden sich inzwischen in aller Welt. In allen Universitäten der Welt wird dieselbe Mathematik, dieselbe Molekularbiologie und dieselbe Physik gelehrt.“

Dasselbe Bild bei Geistes- und Sozialwissenschaften, bei Medizin und Technik: „Hier kann man von einem Siegeszug europäischer Wurzeln sprechen. Aber ein Siegeszug im Sinn des ‚Kommt und seht: Das ist eine vernünftige Art, Wissenschaft zu betreiben.‘ Die meisten werden davon ohne Widerstände überzeugt. Dann betreiben sie entweder dieselbe Wissenschaft oder kommen sogar nach Europa, um an den hiesigen Hochschulen zu studieren.“

Auch Benedikt XVI. sprach nicht vom christlichen Abendland

Übrigens ist der emeritierte Papst Benedikt XVI. – ebenfalls ein emeritierter Professor – einmal zu einem ganz ähnlichen Urteil gekommen. Vor dem Deutschen Bundestag in Berlin sprach Benedikt im September 2011 vom „kulturelle(n) Erbe Europas“.

„Von der Überzeugung eines Schöpfergottes her ist die Idee der Menschenrechte, die Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht, die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem einzelnen Menschen und das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr Handeln entwickelt worden. Diese Erkenntnisse der Vernunft bilden unser kulturelles Gedächtnis. Es zu ignorieren oder als bloße Vergangenheit zu betrachten, wäre eine Amputation unserer Kultur insgesamt und würde sie ihrer Ganzheit berauben.“

„Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom“

Und dann fasste Benedikt noch einmal nach: „Die Kultur Europas ist aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom – aus der Begegnung zwischen dem Gottesglauben Israels, der philosophischen Vernunft der Griechen und dem Rechtsdenken Roms entstanden. Diese dreifache Begegnung bildet die innere Identität Europas.“ Vom „christlichen Abendland“ war in seiner Rede keine Rede.

(domradio/vatican news – sk)
 

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22. Januar 2019, 10:36