Der Kampf gegen Missbrauch durch Kleriker und seine Vertuschung steht ganz oben auf der Prioritätenliste des Papstes Der Kampf gegen Missbrauch durch Kleriker und seine Vertuschung steht ganz oben auf der Prioritätenliste des Papstes 

D: BILD (be-)hämmert?!

Plakativ „hämmert“ die Bildzeitung an diesem Dienstag dem Papst „12 Thesen an seine Kirche“ - das Domaradio in Köln unterzieht die darin formulierten Forderungen einem Faktencheck, den wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen.

Ingo Brüggenjürgen und Jan Hendrik Stens - Köln

Was ist dran an den Thesen und Forderungen der Bild-Zeitung an die katholische Kirche? Wir machen den Fakten-Check!

Transparenz


1. These: Öffnet die Akten und Archive! Ein Neuanfang beginnt mit Glaubwürdigkeit! Solange der Vatikan Ermittlungsberichte zu Tausenden Missbrauchsfällen der katholischen Kirche in Geheim-Archiven verschließt, ist das nicht möglich. Deshalb muss Papst Franziskus alle Akten in allen Gemeinden der Welt für Ermittler und Forschung öffnen.

Fakt: Die Bischöfe in Deutschland prüfen derzeit, in welcher Form die Akten zum sexuellen Missbrauch geöffnet werden können. Es gilt den Datenschutz zu beachten, weil ggf. auch die Namen völlig unbeteiligter Personen in den Akten aufgeführt sind. Einzelne Diözesen - wie das Erzbistum Köln - kooperieren mit der Staatsanwaltschaft und haben unabhängige Kanzleien mit der vollständigen und schonungslosen Aufarbeitung beauftragt. Kardinal Marx hat in Rom auch das „Päpstliche Geheimnis“ bei Missbrauchsfällen in Frage gestellt - ein Punkt, den Kritiker mit vielen Vertuschungen in Zusammenhang bringen.

Kontrolle


2. These: Kontrolle zulassen! Düstere Männerbünde, organisierte Kriminalität, obskure Kreise: Im echten Leben ist das ein Fall für Polizei und Staatsanwälte. Die Kirche darf sich den Ermittlungsbehörden der Staaten nicht länger durch eigene Gesetze und Regeln entziehen. Nicht nur vor Gott, auch vor Gericht sind alle gleich!

Fakt: In Deutschland gilt bereits die Regel, dass alle möglichen Straftaten im Zusammenhang mit dem Missbrauch konsequent den Staatsanwaltschaften gemeldet werden. Nicht erst bei tatsächlich vorliegenden Straftaten, sondern bereits bei entsprechenden Beschuldigungen werden die Vorwürfe geprüft und zur Anzeige gebracht. Einzige Ausnahme: Die Opfer wollen das ausdrücklich nicht. In anderen Ländern müssen bis jetzt nur schwere Straftaten gemeldet werden. Im Vatikan ist eine Verschärfung der Regelungen in Arbeit.

Null Toleranz


3. These:
Null Toleranz wahr machen! Schon viel zu lange gilt die katholische Kirche als Hort des Missbrauchs Schutzbefohlener. Wo sind die öffentlich angeprangerten Missbrauchsfälle, wo die ausgeschlossenen Mitwisser und Vertuscher? Zeigt uns, wie ernst Ihr das Papst-Versprechen von null Toleranz meint.

Fakt: In Deutschland habe sich alle Bischöfe die Null-Toleranz-Regelung bereits selber verordnet. Der Papst hat bereits im Vorfeld des jüngsten Missbrauchsgipfel ranghohe Kardinäle wie McCarrick (Washington) und Pell (Australien) aus ihren Ämtern entlassen.

Glaubenskongregation abschaffen

4. These: Glaubenskongregation abschaffen! Die Kirche duldet keinen Widerspruch im Glauben, sie unterdrückt und bekämpft ihn durch ihre Glaubenskongregation. Diese übermächtige Institution verträgt sich 300 Jahre nach der Aufklärung nicht mehr mit einer Kirche des freien, offenen Glaubens. Schafft sie ab!

Fakt: Auch wenn es in der Weltkirche immer wieder mal einzelne Probleme mit der Glaubenskonregation gibt, steht eine Abschaffung der Glaubenskongregation derzeit nicht zur Diskussion.

Scheinheiligkeit

5. These: Ende der Scheinheiligkeit! Priester sind Menschen, bevor und nachdem sie zum Priester geweiht werden. Die menschliche Seele braucht Liebe, der menschliche Körper Sexualität. Niemand glaubt der katholischen Kirche, dass sich eine Mehrheit der Priester an das Zölibat hält. Deshalb wäre es aufrichtig, die Regeln zu öffnen, zu lockern, zu modernisieren – und dabei auch die viel zu häufige Verdammung von Homosexualität zu beenden!
Fakt: Auch einzelne Bischöfe haben sich offen für eine Lockerung beim Zölibat ausgesprochen und wollen die Zugangswege zum Priesteramt auf den Prüfstand stellen. Andere Bischöfe sprechen sich strikt gehen eine Abschaffung des Zölibats aus. Da es über Jahrhunderte in der Kirchengeschichte verheiratete Priester gab und auch in den mit Rom verbunden orthodoxen Kirchen verheiratete Priester ihren Dienst tun, könnten hier die kirchlichen Regelungen einfacher angepasst werden, gerade weil Priester in vielen westlichen Ländern fehlen. Ob einzelne Bischofskonferenzen hier vorpreschen? Ausgang zumindest offen.
Auch in Fragen bei der Bewertung der Homosexualität gibt es innerhalb der Katholischen Kirche viel Bewegung. Immer mehr deutsche Bischöfe wünschen sich hier eine Anpassung und bessere Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Weltweit gibt es unter den kirchlich Verantwortlichen gerade bei der Einordnung und Bewertung der Homosexualität aber große Unterschiede.

Frauen-Power

6. These: Frauen zulassen! Frauen haben an jedem Ort in Europa Rederecht – nur nicht in den Kirchen. Die Priesterwürde ist ihnen weiter versperrt. Die katholische Kirche ist ein Männerbund, dadurch leugnet sie die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Dieser Weg führt in die Vergangenheit, nicht in die Zukunft!

Fakt: Bischöfe fordern seit Jahren, Frauen stärker in Führungsämter zu bringen. In immer mehr deutschen Diözesen und auch im Vatikan finden sich in Leitungsfunktionen jetzt Frauen. Insgesamt dominieren aber überall und auf allen Ebenen noch eindeutig die Männer. Die Forderungen von katholischen Frauenverbänden und des ZDK (Laienvertretung) nach einer Zulassung von Frauen zu Weiheämtern stehen im Raum. Eine schnelle Umsetzung ist hier auch im Blick auf die Weltkirche nicht in Sicht. Zuletzt hatte Papst JP II „verbindlich festgelegt“, dass hier keine Neuregelung möglich ist. Auch Papst Franziskus sagt hier sei die „Tür zu!“.

Bescheidenheit

7. These: Werdet bescheiden! Die Ringe, die Ihr tragt, die Gotteshäuser, in denen Ihr predigt, die Paläste, in denen Ihr wohnt: All das gehört den Mitgliedern der Kirche. Sie dienen der Ehre Gottes, nicht der Selbstbeweihräucherung. Wir wissen, dass Gott uns auch ohne Euch hört. Wisst Ihr das auch?

Fakt: Papst Franziskus hat bereits seit seinem Dienstantritt allem Klerikalismus, Prunk und Protz dem Kampf angesagt. Er hat die päpstliche Wohnung nicht bezogen und wohnt weiter im Gästehaus, weil er nicht isoliert leben möchte. Symbolische Zeichen setzt er auch, indem er auf Luxuskarossen verzichtet. Zumindest an der Spitze geht der Papst konsequent mit gutem Beispiel voran und möchte Jesu so nachfolgen.

Demokratie

8. These: Mehr Demokratie wagen! Wer Steuern zahlt, darf durch sein Wahlrecht mitbestimmen, so gilt es in demokratischen Gesellschaften. Aber nicht in der Kirche! Sie muss sich entscheiden: Entweder schafft sie die Kirchensteuer ab, oder sie lässt künftig ihre Mitglieder bei wichtigen Personalien – Bischöfe, Kardinäle – mitentscheiden.

Fakt: Kirche versteht sich nicht als Demokratie. Über Glaubenswahrheiten kann schwerlich abgestimmt werden. In vielen Bereichen haben Laien bereits heute ein Mitspracherecht. In Deutschland gibt es aber z.B. bei Wahlen nur eine sehr geringe Beteiligung. Regelungen für noch mehr Mitsprache und Kontrolle der Macht sind im Vatikan aktuell in der Diskussion.

Mehr Jugend

9. These: Kirche muss jünger werden! Bis zum Alter von 80 Jahren können Kardinäle an der Papstwahl teilnehmen – ein Konklave von alten Männern! Will die Kirche modern sein, muss sie ihre Führungsetagen verjüngen. Ein Verein, der von alten Männern beherrscht wird, hat keinen Kontakt mehr zur Lebensrealität normaler Menschen.

Fakt: In der Kirche gibt es nur für wenige Ämter überhaupt ein Mindestalter. Fakt ist aber, dass vielfach hohe Ämter in der katholischen Kirche nur ab einem gewissen Alter vergeben werden. Im Vergleich zu anderen Institution und Unternehmen hinkt die Kirche im Alter hinterher - könnte sich aber ohne rechtliche Probleme verjüngen.


10. These: Kinder gehören in die Kirche! Gott legt die Zukunft der Welt immer wieder in die Hände unserer Kinder. Wo zeigt die Kirche, dass sie das verinnerlicht hat? Eine Kirche, die Missbrauchten keine Obhut, noch nicht einmal Aufklärung bietet und die uneheliche Priesterkinder verheimlicht und ihrer Kindheit beraubt, schützt sich selbst auf Kosten der Schwächsten.

Fakt: Da ist seit Jesu Zeiten Programm der Kirche: „Lasst die Kinder zu mir kommen!“ wird eigentlich überall umgesetzt. Ob Kita, Kindergarten oder Kommunion und Firmung - Kirche ist hier gut aufgestellt.

Argentinische Altlasten?

11. These: Argentinien aufklären! Der Papst muss mit erhobenem Haupt und gutem Beispiel vorangehen! Deshalb muss er endlich aufklären: Was wusste er von den Gräueltaten der Militärdiktatur in seinem Heimatland Argentinien, was wussten die Militärbischöfe, die Seelsorger, die Priester? Alle Archive müssen geöffnet werden!

Fakt: Der Papst selber hat mehrfach seine Rolle in Zeiten der argentinischen Militärdiktatur erklärt. In Buenos Aires haben ihn die am Rande Stehenden nur „Kardinal der Armen“ genannt. Ob er selber noch schwarze Flecken auf seiner weißen Weste hat, weiß aber letztendlich nur er selber.

Lasst Benedikt in Ruhe!

12. These: Sprich Benedikt! Papst Benedikt XVI., der frühere Kardinal Joseph Ratzinger, kennt die dunkelsten Geheimnisse der jüngsten Kirchengeschichte. Als Präfekt der Glaubenskongregation war der Schutz des Vatikan seine Pflicht. Was passierte in der Vatikanbank? Wie viele Missbrauchsfälle sind bekannt, wie lange schon? Was trieb ihn in den Rücktritt? Benedikt, sprich zu den Gläubigen – sie haben ein Recht darauf!

Fakt: Der Papst Emeritus hat sich selber die Zurückgezogenheit von der Welt verordnet. In seltenen Fällen mischt er sich zumeist in schriftlicher Form in aktuelle Debatten ein. Papst Franziskus begegnet ihm auch öffentlich regelmäßig und ist dankbar für seinen Rat. Dass Benedikt in der aktuellen Missbrauchsdebatte das Wort ergreift, ist unwahrscheinlich. Ob es neben den von ihm selber genannten Gründen weitere Rücktrittsgründe gibt ist und bleibt offen. Zum Abschluss des Priesterjahres sagte Benedikt XVI. bereits: „Heute sehen wir in wirklich erschreckender Weise, dass die größte Verfolgung der Kirche von Feinden nicht von außerhalb kommt, sondern aus der Sünde innerhalb der Kirche entsteht.“

Fazit: Einige der Bildthesen sind längst bestes katholisches Programm. Andere Punkte werden in Deutschland und im Vatikan gerade erarbeitet. Manche der Thesen werden seit Jahren heftig diskutiert – andere sind für die Weltkirche derzeit schwer vorstellbar. Wenn aber die Volkszeitung BILD mit 1,5 Millionen Auflage und gut 10 Millionen Lesern diese Thesen auf dem Titel bringt, wird sehr deutlich, vor welchen Herausforderungen die Katholische Kirche derzeit steht, wenn sie die Frohe Botschaft dem ganzen Volk verkünden will.

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26. Februar 2019, 13:09