Prof. Dr. Stefan Mückl - Universität Santa Croce, Rom Prof. Dr. Stefan Mückl - Universität Santa Croce, Rom 

Unser Sonntag: Der gute Hirte

Das Tagesevangelium ist ein Ausschnitt aus der sog. Hirtenrede, die uns Johannes im 10. Kapitel seines Evangeliums überliefert. Der Herr bezeichnet sich selbst als den guten Hirt (Joh 10,11). Das Bild ist von einer ungebrochenen Kraft der Suggestion und Faszination.

Stefan Mückl - Vatikanstadt

4. Sonntag der Osterzeit (Joh 10,27-30)

Unser Auge sieht den Hirten mit dem verlorenen Schaf auf den Schultern, wie es uns der hl. Lukas schildert (Lk 15,5) und wie es die frühchristliche Kunst in den Katakomben eindrucksvoll ins Bild gesetzt hat. In unserem Ohr erklingt die Kantate „Ich bin ein guter Hirt“, die Johann Sebastian Bach im Jahr 1725 eigens für den Sonntag „Misericordias Domini“ komponiert hat.

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Das Bild des Hirten: Für die Zeitgenossen Jesu normal

Uns Heutigen ist das Bild des Hirten, das der Herr auf sich bezieht, eher fremd. Ganz anders war es für die Zeitgenossen Jesu. Das Bild war ihnen aus dem Alten Testament vertraut: Die Stammväter des Volkes Israel – Abraham, Isaak und Jakob – waren Hirten. David, als dessen Sohn Jesus Christus gleich zu Beginn des Matthäusevangeliums bezeugt wird (Mt 1,1), hütete gerade die Schafe, als Samuel in Betlehem den von Gott Auserwählten suchte, um ihn zum König zu salben (1 Sam 16,11-13). Auch über Israel hinaus war das Bild geläufig. Die Herrscher des Alten Orients pflegten sich als die Hirten ihrer Völker zu bezeichnen. Nicht selten war dies blanker Zynismus, Ausdruck ihrer Macht, über ihre Völker wie über Schafe zu verfügen. Auf dieser Linie liegt es, wenn der griechische Philosoph Thrasymachos (er gehört zur Richtung der Sophisten) im Gespräch mit Sokrates die Meinung vertritt, jeder Hirte liefere am Ende die Schafe beim Schlachter ab. Dem hält Sokrates entgegen, der Hirt, der wirklich Hirt ist, besorge das Wohl der Schafe, er schere ihre Wolle, melke sie, kurz, er handle als Tierpfleger.
Auch das klingt uns Heutigen wohl zu bukolisch, gewissermaßen aus der Zeit gefallen. Können wir nicht für uns selbst sorgen? Brauchen wir tatsächlich einen Hirten, der uns führt und leitet? Welches Menschenbild steht hinter dem Bild vom Hirten, eines der Selbstbestimmung und Autonomie oder eines der Unfreiheit?

„Woher weiß der Unkundige, wo der Weg verläuft, der ihn zum Ziel führt?“

Doch drehen wir die Frage einmal um: Woher beziehen Selbstbestimmung und Autonomie – also: das Handeln nach selbst gesetzten Gesetzen – ihre Kriterien? Woher weiß der Unkundige, wo der Weg verläuft, der ihn zum Ziel führt? Woher weiß er, ohne Kompaß und bei bedecktem Himmel, die richtige Himmelsrichtung? Schon diese einfachen Überlegungen zeigen, daß wir nicht unsere eigenen Hirten sind, es nicht sein können. So verbleiben uns drei Möglichkeiten: ohne Hirten herumirren, dem falschen Hirten nachlaufen, dem guten Hirten folgen.
Wer ohne Hirten unterwegs ist, verirrt sich wie Schafe, lesen wir bereits bei Jesaja (Jes 53,6). Jesus selbst hat Mitleid mit jenen, die müde und erschöpft waren, wie Schafe, die keinen Hirten haben (Mt 9,36). Jesaja fügt hinzu, was das „Herumirren“ meint: jeder ging für sich seinen Weg (Jes 53,6) – ohne Blick für die anderen und ohne Blick auf das Ziel. Der Weg ist eben nicht das Ziel.
Was es bedeutet, falschen Hirten nachzulaufen, bedarf nach den Erfahrungen mit historischen und aktuellen Demagogen gewiß keiner näheren Erläuterung mehr. Es mag genügen, darauf zu verweisen, daß bereits der Herr selbst vor den blinden Blindenführern warnt: Wenn ein Blinder einen Blinden führt, werden beide in eine Grube fallen (Mt 15,14).

Hoffnung für Umherirrende und Fehlgeleitete

Doch auch den Umherirrenden und Fehlgeleiteten bleibt die Hoffnung. Sie besteht, wie der hl. Petrus schreibt, in der Hinwendung zum Hirten und Hüter eurer Seelen (1 Petr 2,25), eben zum guten Hirten. Er ist gut, weil er anders als der bezahlte Knecht, der Mietling, die Schafe nicht im Stich läßt und weil ihm an den Schafen wirklich liegt (vgl. Joh 10,12-13).
Das Urbild des guten Hirten finden wir bereits im Alten Testament, im großen Gebetsschatz der Gott Suchenden: den Psalmen. Seit alters her hat sie die Kirche auf Christus bezogen und verstanden („der Neue Bund ist im Alten verborgen, und der Alte im Neuen erschlossen“, lehrt der hl. Augustinus, und das II. Vatikanische Konzil hat dies aufgegriffen). Was den guten Hirten ausmacht, sagt uns der 23. Psalm:
Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. Er läßt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Meine Lebenskraft bringt er zurück. Er führt mich auf Pfaden der Gerechtigkeit … Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil, denn du bist bei mir … Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang und heimkehren werde ich ins Haus des Herrn für lange Zeit.

„Seine Güte und Huld begleiten ihn alle Tage seines Lebens....“

In diesen Worten kommt die ganze Spannung menschlicher Existenz zum Ausdruck, die sich zwischen den Polen von Tod und Leben bewegt. Auch wenn ich wandere im Tal des Todesschattens – wie die Elberfelder Bibel wortgetreu übersetzt (denn es geht um mehr und Bedrohlicheres als ein bloß „finsteres Tal“) –, ist das für den Gläubigen nur ein vorübergehender Zustand. Denn Jesus Christus, der gute Hirte, ist bei ihm. Mehr noch: Seine Güte und Huld begleiten ihn alle Tage seines Lebens, bis er im Haus des Herrn wohnen darf, nicht nur für lange Zeit (wie die Einheitsübersetzung lautet), sondern „immerdar“, „in aeternum“, „auf ewig“ (wie übereinstimmend im übrigen so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Martin Luther und der hl. Robert Bellarmin übersetzen).
An eben dieser Stelle setzt das heutige Evangelium ein. Was der 23. Psalm eher allgemein umschrieb, faßt Christus in eine konkrete Verheißung:
Ich gebe ihnen (meinen Schafen) ewiges Leben. Sie werden niemals zugrunde gehen und niemand wird sie meiner Hand entreißen. … niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen.
Lesen wir den 23. Psalm und das heutige Tagesevangelium zusammen, so finden wir in konzentrierter Form den Kern des Ostergeheimnisses vor, das wir in diesen 50 Tagen der Osterzeit feiern und betrachtend vertiefen. In der Ostersequenz, die wir in der hl. Messe während der Osteroktav gebetet haben, heißt es: „Tod und Leben rangen in wunderbarem Zweikampf. Der Fürst des Lebens, der gestorben war, herrscht jetzt lebend.“ Und weiter: „Vorangehen wird er den Seinen.“

Wer aber sind die die Schafe?

Wer aber sind die „Seinen“, „seine“ Schafe? Der Herr selbst gibt die Antwort: Meine Schafe hören auf meine Stimme, ich kenne sie und sie folgen mir. Alle, die auf Ihn hören und Ihm folgen, dürfen mit den Worten des heutigen Tagesgebets voll glaubender Zuversicht bitten:
„Allmächtiger, ewiger Gott, dein Sohn ist der Kirche siegreich vorausgegangen als der Gute Hirt. Geleite auch die Herde, für die Er sein Leben hingab, aus aller Not zur ewigen Freude.“
Heute, am Sonntag des Guten Hirten, finden traditionell an vielen Orten Priesterweihen statt, so in der Petersbasilika in Rom und in diesem Jahr in der Erzdiözese Freiburg. Bitten wir Jesus Christus, den guten Hirten, daß er diesen seinen Neupriestern die Gnade schenke, ihrerseits gute Hirten für die ihnen anvertrauten Gläubigen zu sein. Das ihnen „eigentümliche Amt“, so drückt es der hl. Thomas von Aquin aus, besteht von heute an darin, „das heilige Meßopfer zu feiern“. Die Eucharistie, aus der und von der die Kirche lebt, ist „Unterpfand der künftigen Herrlichkeit“ – so heißt es in der Antiphon O sacrum convivium (auch sie geht auf den hl. Thomas zurück).

„Wie herrlich ist mein Becher, der mich trunken macht.“

An dieser Stelle stoßen wir auf eine weitere Facette des Handelns des guten Hirten. Eine weitere Verheißung im 23. Psalm lautet (in der Version der ersten lateinischen Bibelübersetzung des hl. Hieronymus, der Vulgata): Wie herrlich ist mein Becher, der mich trunken macht. Dieser herrliche Becher, der praeclarus calix, ist kein anderer als der Kelch, den der Priester in der Heiligen Messe erhebt. Er ist wirklich voll, (in den Worten der Einheitsübersetzung) „übervoll“ mit dem Blut des Hirten, der für uns zum Lamm geworden ist – zum Lamm, das die Sünden der Welt hinwegnimmt und uns so die Tür zum Leben, zum ewigen Leben, öffnet.

(vatican news – ck)
 

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07. Mai 2019, 17:34