Wahlen in Österreich: „Zuwachs der Populisten ist gestoppt“
Das erste und positive Ergebnis der Wahl sei, dass „der viel diskutierte Zuwachs für populistische Parteien gestoppt ist“, meint Leitenberger. Dies sollte man für Österreich, aber auch darüber hinaus beachten, „weil es zeigt, dass die Wähler nachdenken. Und das ist ein sehr positives Zeichen“, so der Sprecher des ÖRKÖ. Die „Ibiza-Affäre“ rund um den FPÖ-Chef Strache habe dabei jedenfalls nur eine marginale Rolle gespielt, das habe auch das Ergebnis der kurz nach Bekanntwerden der Affäre abgehaltenen Europawahlen gezeigt, analysiert Leitenberger: „Jetzt hingegen glaube ich, dass eine andere Geschichte eine große Rolle gespielt hat. Wenige Tage vor den Wahlen sind üppige Spesen des früheren Parteivorsitzenden bekannt geworden. Da ging es einerseits um eine sehr großzügige Beihilfe zum monatlichen Mietzins der Villa und es ging auch darum, dass sehr sehr großzügige Spesenabrechnungen von der Partei beglichen worden sind.“
Die Freiheitliche Partei sei allerdings oft als „die Partei des kleinen Mannes“ aufgetreten: „Und der kleine Mann, der berühmte, der es oft gar nicht so leicht hat, mit seinem Monatsbudget durchzukommen, wundert sich dann natürlich, wenn er solche Zahlen liest und solche Berichte hört. Und das könnte tatsächlich einen Einfluss ausgeübt haben.“
Klimakrise führte zum guten Abschneiden der Grünen
Davon profitiert hätten auch die „Grünen“, die mit ihrem respektablen Ergebnis nun wieder ins Parlament einzögen, meint Leitenberger: „Das hängt sicher auch damit zusammen, dass wir seit einigen Monaten in der öffentlichen Diskussion – weit über das unmittelbare tagespolitische oder parteipolitische Geschehen hinaus – ein zentrales Thema haben, an dem niemand vorbeikann, und das ist die Umweltkrise, die Klimakrise. Das ist natürlich das zentrale und Herzensthema der Grünen.“ Das habe mit dazu geführt, dass es bei der jetzigen Nationalratswahl in Österreich auch zwei Sieger gegeben habe: ÖVP und Grüne. Diese hätten im Parlament auch in der Vergangenheit schon oft eine positive Rolle gespielt, „indem sie die anderen Parteien gezwungen haben, sich mit Themen zu befassen, die früher nicht auf der tagespolitischen Agenda standen“, meint Leitenberger.
Eine Koalition werde dennoch nicht leicht sein, denn zwischen den beiden ehemaligen Koalitionspartnern ÖVP und FPÖ gebe es mittlerweile wohl „zu viel verbrannte Erde“, während eine Koalition mit der zweitstärksten Kraft SPÖ sowohl aus menschlichen wie auch politischen Gründen sehr schwierig sei: „Es spricht nicht viel dafür, aber ich würde es nicht ausschließen“, schmunzelt Leitenberger. Was nun Koalitionen mit den anderen Kräften angehe, müsse man sehen; sowohl Grüne als auch Neoliberale hatten im Anschluss an die Bekanntgabe der Wahlergebnisse Gesprächsbereitschaft signalisiert.
Der Ökumenische Rat der Kirchen hatte auch in diesem Jahr christlichen Wählern zur Nationalratswahl eine Wahlhilfe mit an die Hand gegeben, in der die einzelnen Parteiprogramme mit Blick auf zentrale Fragen durchleuchtet wurden. „Da wird natürlich keinerlei Wahlempfehlung für niemanden ausgesprochen, sondern es werden einfach ein paar Fragen vorgelegt und die Gläubigen werden eingeladen, sich diese Fragen genau anzuschauen und daran eine ihrem Gewissen entsprechende Entscheidung treffen“, erläutert Leitenberger, der katholischerseits auch Sprecher des Rates ist.
„Ich glaube, das ist bisher immer und auch dieses Mal sehr gut angekommen. Die Leute nehmen das sehr ernst. Wir wissen natürlich, wie hoch oder wie niedrig der Prozentsatz der praktizierenden Gläubigen – wie überall in Europa so auch in Österreich – ist, aber bei denen, denen die Kirchen etwas wert sind, die am Sonntagsgottesdienst teilnehmen, werden diese Fragen schon sehr ernstgenommen.“ Ausgehend von einer Bibelstelle werden konkrete Fragen abgeleitet und Konsequenzen vor Augen gehalten, die beachtet werden sollten, wenn man eine „vernünftige und gewissensmäßig begründete Wahlentscheidung treffen“ wolle, meint der Kirchenrats-Sprecher.
„Ich nenne nur ein Beispiel. Da wird aus Psalm 24 zitiert „Dem Herrn gehört die Erde“, und daraus werden drei interessante Fragen abgeleitet: Welchen Stellenwert hat der umfassende Schutz des Lebens in den Parteiprogrammen und in der Praxis der Parteien? Welchen Stellenwert haben die natürlichen Lebensgrundlagen? Welchen Stellenwert hat der Klimaschutz?“
Der Vorstand des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich habe sich intensiv mit den aktuellen Problemen befasst, so Leitenberger. Das habe auch dazu geführt, dass die Orientierungshilfe „Fragen zur politischen Verantwortung“ im Vorfeld der Nationalratswahlen „sehr gut angenommen“ worden sei: „Ich habe erstaunlich viele positive Reaktionen auf diese Orientierungshilfe bekommen“, meint Leitenberger.
Kirchen hoffen auf vernünftige Migrationspolitik
Eine große gemeinsame Erwartung der Kirchen an die neue Regierung sei nun die Umsetzung einer „vernünftigen Migrationspolitik“, drängt Leitenberger, der dazu auch eine präzise Position des Papstes verortet, „gegen politische Tendenzen der Xenophobie, Stigmatisierung, Nationalismus, Gleichgültigkeit gegenüber der Situation von Menschen, die zur Flucht gezwungen sind“.
Interessant sei in diesem Zusammenhang, dass der höchstwahrscheinlich wieder ins Amt tretende Kanzler Sebastian Kurz am Anfang seiner politischen Karriere als Staatssekretär für Integration im Innenministerium frische und positive Ideen umgesetzt habe: „Es gibt die Hoffnung, dass er zu diesen Ansätzen seiner großen politischen Tätigkeit zurückkehrt.“
Doch ein weiterer großer und wichtiger Komplex, mit dem sich die neue Regierung zwangläufig auseinandersetzen müsse, sei das Thema Pflege, unterstreicht Leitenberger, der auch Sprecher von „Pro Oriente“ ist: „Wir haben uns bisher damit beholfen, dass Pflegepersonal vor allem aus der Slowakei und aus Rumänien zu relativ geringen Sätzen nach Österreich geholt worden ist, aber das kann natürlich nicht die Dauerlösung sein, dass wir das auslagern in Gebiete, wo man sagt: ,Gut, die haben da sowieso wenig Chancen, die sind froh, wenn sie in Österreich eine Zeit lang etwas verdienen können.‘ Aber das ist nicht die Lösung. Pflege wird ein ganz zentrales politisches Problem sein.“
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