Die Berliner Mauer 1989 Die Berliner Mauer 1989 

D: Kirchen gedenken des Mauerfalls vor 30 Jahren

Im Ratzeburger Dom an der früheren innerdeutschen Grenze gedenken katholische und evangelische Christen in Deutschland am kommenden Samstag mit einem ökumenischen Gottesdienst des Mauerfalls am 9. November vor genau 30 Jahren. Geleitet wird die Feier um 16.30 Uhr von Hamburgs katholischem Erzbischof Stefan Heße und der evangelischen Nordkirchen-Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt, wie die Kirchen ankündigten.

Ratzeburg ist zudem einer von vier Orten entlang der früheren innerdeutschen Grenze, von wo aus am Samstagabend ein von der deutschen Bundesregierung organisiertes Livestream-Gespräch übertragen wird. Es steht unter dem Motto „Unsere Geschichte schreibt Zukunft“ und kann im Internet verfolgt werden. Zu den Veranstaltungen werden Gäste aus Regionen beiderseits der früheren Grenze erwartet.

In Berlin laden zahlreiche evangelische, katholische und auch freikirchliche Gemeinden am Sonntag unter dem Motto „beWEGt!“ zu einem großen ökumenischen „Wegegottesdienst“ entlang der ehemaligen Mauer an der Bernauer Straße ein. Bereits am Vorabend, dem eigentlichen Jahrestags des Mauerfalls, spricht der heute 87-jährige frühere Bischof der polnischen Diözese Oppeln, Alfons Nossol, in der Berliner katholischen Pfarrkirche St. Mauritius (17 Uhr) über den Beitrag der Kirchen zum Mauerfall. Anschließend feiert er einen Gottesdienst mit dem amtierenden Berliner Erzbischof Heiner Koch.

Die Kirchen und der Mauerfall

Der politische Umbruch in der DDR ist oft als „protestantische Revolution“ bezeichnet worden. Brandenburgs früherer Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) etwa wertete die Ereignisse im Herbst 1989 jüngst als eine im Kern „evangelische Revolution“. Damit ist die wichtige Rolle der Christen in der Opposition angesprochen wie auch die unterschiedliche Positionierung der Kirchen damals.

Bilder von überfüllten Gotteshäusern - etwa der Gethsemanekirche oder der Zionskirche in Ost-Berlin oder der Nikolaikirche in Leipzig, aus der die großen Demonstrationen hervorgingen - sind prägend für diese Sicht. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre hatten sich in der DDR zahlreiche evangelische Kirchengemeinden zum schützenden Dach für oppositionelle Gruppen unterschiedlicher Art entwickelt - nicht gerade zur Freude der Kirchenleitungen, die oft mäßigend Einfluss zu nehmen versuchten.

Damals wurde die Zahl der evangelischen Christen in der DDR - bei 16,6 Millionen Einwohnern - auf etwa fünf Millionen und die der Katholiken auf rund eine Million geschätzt; tatsächlich waren es wohl weniger, wie sich später herausstellte. Auf alle Fälle waren die Kirchen die einzigen Organisationen in der DDR, die eine Unabhängigkeit vom Staat behaupten konnten und für viele ihrer Mitglieder nicht nur Räume für freies Denken, sondern auch für das Einüben demokratischer Beteiligung waren.

„Kirche im Sozialismus“

Die einst staatstragenden evangelischen Kirchen hatten - nach dem „Kirchenkampf“ der SED in den 1950er Jahren - in den 1970er Jahren ein Selbstverständnis entwickelt, das mit der oft missverstandenen Formel „Kirche im Sozialismus“ umschrieben wurde. Gemeint war damit eine spezifische Form, wie sich Christen in die Gesellschaft einbringen könnten: „Wir wollen Kirche nicht neben, nicht gegen, sondern Kirche im Sozialismus sein“, wie es Bischof Albrecht Schönherr, der Vorsitzende des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, ausdrückte. Ein Bild, das nicht erst durch die Selbstverbrennung des Zeitzer Pfarrers Oskar Brüsewitz 1976 Risse bekam.

Für die Katholiken als Minderheit in der Minderheit und zugleich sehr bewusster Teil der weltweiten katholischen Kirche kam ein solcher Ansatz nicht in Frage. Prägend war das Konzept des 1979 gestorbenen Berliner Kardinals Alfred Bengsch (1921-1979) einer weitgehenden politischen Distanz der Kirche. Unter den damals jungen Bischöfen Joachim Meisner (Berlin) und Joachim Wanke (Erfurt) kam es in den 1980er Jahren zu einer gewissen Öffnung der katholischen Kirche, die im großen Katholikentreffen 1987 in Dresden ihren sichtbaren Ausdruck fand. Eine Folge war die Beteiligung der Katholiken an der Ökumenischen Versammlung 1988/89, einer „Auftaktveranstaltung für die Herbstrevolution“, wie sie der spätere „Pax Christi“-Generalsekretär Joachim Garstecki im Rückblick einordnete.

Während sich in den evangelischen Gemeinden mit den politischen „Friedensgebeten“ eine eigene Protestkultur entwickelte, waren die Katholiken mit ihrem stärker liturgisch geprägten Denken zurückhaltender. Hinzu kam, dass mit der Berufung Meisners als Bischof nach Köln in der katholischen Kirche im Sommer 1989 eine entscheidende Position unbesetzt war, was größere Kurskorrekturen erschwerte. So wirkten sie zaghafter als die Protestanten.

Moderatoren der „Runden Tische“

Nichtsdestoweniger arbeiteten auch viele Katholiken in den neu entstehenden oppositionellen Gruppen und Parteien mit. Dabei zeigten sich unterschiedliche Präferenzen: Während zahlreiche Protestanten mehr mit der - in einem evangelischen Pfarrhaus gegründeten - sozialdemokratischen SDP (ab 1990 SPD) sympathisierten, zog es viele Katholiken eher in die vormalige „Blockpartei“ CDU. So fanden sich 1990 in den neuen Länderparlamenten unerwartet viele Katholiken in führenden Positionen und stellten alle Ministerpräsidenten außer in Brandenburg. Dort gewann der evangelische Kirchenjurist Manfred Stolpe für die SPD die Mehrheit.

Besonders in der Übergangszeit vor der Wiedervereinigung spielten die Kirchen gemeinsam eine wichtige öffentliche Rolle: Als überall "Runde Tische“ zusammentraten, an denen Vertreter des alten Regimes und der neuen Kräfte den Wandel friedlich gestalten wollten, fiel den Kirchen fast automatisch die Moderatoren-Rolle zu. Danach zogen sie sich wieder aus dem politischen Geschäft zurück.

(kap/kna - cs)
 

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06. November 2019, 13:35