Unser Sonntag: Auferweckung des Lazarus - eine wahre Begebenheit?
P. Eberhard Gemmingen SJ
5. Fastensonntag
Joh 11, 1-45
Wenn man dieses sehr lange Evangelium gehört hat, erheben sich viele Fragen. Vieles versteht man wirklich nicht leicht. Jesus sagt, er sei nicht gleich zu Lazarus gegangen, damit die Taten Gottes offenbar werden. Die Taten Gottes sollen offenbar werden durch die Auferweckung des Lazarus. Das scheint doch seltsam. Zunächst aber die Frage, die viele moderne Menschen seit Langem umtreibt: Kann das wirklich wahr gewesen sein, dass Jesus einen Toten zum Leben erweckt hat?
Erweckung des Lazarus - nur symbolisch?
Ist das nicht nur eine symbolische Geschichte, die uns eine tiefe andere Wahrheit nahebringen will. Die Exegeten, die modernen Ausleger der heiligen Schrift haben sich seit fast 200 Jahren die Köpfe zerbrochen und die Federn wund geschrieben. Sie haben alle nur möglichen Interpretationen ausprobiert, um festzustellen: Das kann gar nicht gewesen sein, dass Jesus einen Toten zum Leben erweckt hat. Entweder war Lazarus gar nicht tot, sondern nur scheintot. Oder der Evangelist will nur eine fromme Geschichte erzählen, um die Christen zum Glauben an Christus zu bringen. Die Exegeten haben sich gleichsam auf den Kopf gestellt, um zu beweisen, dass es eine Totenauferweckung nicht geben kann. Einfacher freilich ist es, sich nicht auf den Kopf zu stellen, sondern einmal davon auszugehen, dass es bis heute in der Welt Vorgänge gibt, die die Wissenschaft nicht erklären kann. Die Naturwissenschaft und auch die Geschichtswissenschaft sind nicht alles. Die guten Naturwissenschaftler stehen auch heute immer wieder vor Fragen, auf die sie keine Antwort haben.
Nach diesen Vorbemerkungen komme ich zum zentralen Satz: Jesus sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.“ Das ist die Botschaft für uns. Wir wollen sie ein wenig auskosten. Wie lebt der Mensch, der nicht an eine Auferstehung nach dem Tod glaubt oder glauben kann? Wir müssen nur in unsere Welt schauen. Vermutlich leben viele von denen, die dies hören, unter Menschen, die von sich behaupten, sie glaubten nicht an ein Leben nach dem Tod. Oder auf jeden Fall würden vermutlich viele sagen: Man weiß nicht, wie es nach dem Tod des Menschen weitergeht. Es ist noch niemand zurückgekommen. Vermutlich kann man auch lange Zeit - vor allem, wenn man gesund und munter ist - so leben. Der Tod ist fern, ist weit weg. Was soll ich mir Gedanken machen? Manche werden auch sagen: Die Christen, die an die Auferstehung glauben, wollen sich nur trösten. Sie brauchen diesen Trost. Sie sind schwach.
Die Frage nach dem Tod ist existenziell
Übrigens die meisten Menschen in Indien, die Hindus glauben, dass sie in einer anderen Gestalt wiedergeboren werden. Wenn sie sich nicht an die Regeln ihrer Kaste gehalten haben, dann steigen sie im nächsten Leben in eine niedrigere Kaste ab, oder sie kommen nochmals in der gleichen Kaste zur Welt, um die Regeln ihrer Kaste einzuhalten. Vor allem gilt auch: Wer in einer höheren Kaste geboren wird, darf die Menschen in niedrigeren Kasten ausbeuten und benutzen. Hinter diesem Hinduglauben stehen natürlich gewisse Erfahrungen. Auf jeden Fall ist die Frage nach dem Tod eine existenzielle, keine Nebensache. Und bevor wir zum Glauben an Jesus kommen, berühren wir noch eine ganz moderne Frage: Die Wissenschaft weiß heute, dass das von uns wissenschaftlich überschaubare Universum sich ständig ausdehnt, ständig weiter und größer wird. Wenn das so ist, stellt sich wissenschaftlich auch die Frage: Wann und wie und warum hat es angefangen mit der Ausdehnung? Wann war der sogenannte Urknall, und was war vorher. Ja – was war vorher, und was wird nachher sein? Denn kann sich der Kosmos ohne Ende ausdehnen? Gibt es genügend von dem, was wir Platz nennen, damit die Ausdehnung des Kosmos immer weiter gehen kann? Oder zieht er sich dann wieder zusammen? Wo soll das enden? Also die moderne Wissenschaft stellt uns vor unendliche Fragen. Die Frage, wie Jesus Lazarus auferweckt hat, ist nur eine von vielen. Wir sollten nicht zu genau wissen, was nicht sein kann, weil es uns nicht in den Kram passt, weil wir meinen, schon alle Naturgesetze zu kennen. Wir kennen nicht alle Naturgesetze.
Sein Leben an Jesus festmachen...
Nun zu Jesu Worten: Er sagt seinen Jüngern und uns: „Ich bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich glaubt, wird leben auch wenn er stirbt.“ Statt der Worte „an Jesus glauben“, sage ich gerne: Sein Leben an Jesus festmachen. Auf ihn bauen und vertrauen. Sie könnten auch sagen: Sich in seine Arme fallen lassen und ihm vertrauen, dass er mich auffängt. Und haben wir nicht im Lauf der christlichen Geschichte unzählige Menschen kennen gelernt, die sich so auf Christus eingelassen haben, so vertraut haben, so sich an ihm festgemacht haben, dass sie voll Tatkraft und Mut gelebt und ihr Leben gemeistert haben. Man kann es auch so sagen: Wer sich selbst loslässt, wer nicht mehr um das eigene Leben bangt, wird frei, kann sich bewähren und sich engagieren.
Aber das Dunkel des Todes bleibt. Der Tod ist ein dunkles Tor.
Der Glaube an Christus sagt: Hinter dem Tor steht Christus mit ausgebreiteten Armen. Der Tod ist zwar Abschied, Abschied von vielen Menschen, auch vielleicht Abschied von Plänen, die man verwirklichen wollte in diese Welt. Aber das Sterben vieler Christen zeigt uns wohl auch: Christen wissen, dass sie auch nach ihrem Tod bei ihren Lieben sind, dass sie weiter auch in der Welt wirken können. Eine Mutter Teresa hat sicher geglaubt und gewusst, dass sie bei ihren Mitschwestern bleibt, dass sie vom Jenseits aus in ihrem Werk weiter wirken kann. Jesus Christus hat unsere Welt verändert. Ein wichtiger Schritt dabei war, dass er uns den Glauben an ihn geschenkt hat, der uns sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt wird ewig leben.“ Amen
(radio vatikan - claudia kaminski)
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