Schönborn über Johannes Paul II.: „Ganz großer Papst" mit Schwächen
Karol Wojtyla habe in seinem langen Pontifikat von 1978 bis 2005 maßgeblich zum Fall des Kommunismus beigetragen, er habe die katholische Kirche gegenüber anderen Religionen und vor allem dem Judentum geöffnet und durch seine Reisen „Hirte für die ganze Welt" geworden. „Ein schmerzlicher Punkt" in Österreich seien Bischofsernennungen. Vom Thema Missbrauch sei Johannes Paul II. „überfordert" gewesen, sagte Schönborn. „Aber auch diese Schwächen waren Teil einer ganz großen Persönlichkeit."
Der am 18. Mai vor 100 Jahren zur Welt gekommene erste slawische Papst „hat die Jahre meines aktiven Dienstes sehr geprägt", so der Wiener Erzbischof im Rückblick. Im Pontifikat Johannes Pauls II. sei die Kirche „wirklich Weltkirche geworden", verwies Schönborn auf dessen Reisen, die Internationalisierung der Kurie und die globalen Kontakte des Papstes: „Er war Hirte für die ganze Welt. Er hatte eine unglaublich starke Stimme, eine große moralische Autorität, auch im Konzert der Völker."
Kampf um jeden Bischofssitz
Freilich sei es auch eine Zeit gewesen, „in der die nachkonziliare Krise deutlich spürbar geworden ist". Die „Zerrissenheit in der Kirche", die „Spannungen zwischen konservativ und progressiv" könne man sich heute nur schwer vorstellen, erklärte Schönborn. Es habe einen „Kampf um jeden Bischofssitz" gegeben: „Kommt jemand Liberaler oder jemand Konservativer?"
Auch Österreich habe diesen Konflikt intensiv erlebt. Johannes Paul II. sei „ganz eindeutig ein Mann des Konzils" gewesen, aber auch geprägt durch seine Erfahrungen mit den beiden totalitären Regimen Nationalsozialismus und Kommunismus, besorgt um die Entwicklung der Kirche. Angesichts theologischer Entwicklungen, „die auch mir damals als jungem Theologen Sorgen gemacht haben", habe der Papst „gegengesteuert" - durch Bischofsernennungen, durch disziplinäre Maßnahmen und sein eigenes Lehramt.
Bischöfe habe Johannes Paul II. manchmal „an allen Institutionen oder allen Gremien vorbei" ernannt. Das habe zu großen Bischofspersönlichkeiten wie dem Erzbischof von Mailand, Kardinal Carlo Maria Martini, oder dem für Paris ernannten „jüdischen Kardinal" Jean-Marie Lustiger geführt - eine „charismatische Entscheidung" von Johannes Paul, wie Schönborn sagte. In Österreich habe der Papst direkt Einfluss genommen. „Und das ist sicher ein schmerzlicher Punkt." Kardinal Franz König, der die Wahl Wojtylas sehr unterstützt habe, hatte laut Schönborns Informationen die Zusage, er werde in die Entscheidung über seine Nachfolge einbezogen. Johannes Paul habe dann allerdings - wie auch immer wieder in anderen Fällen - von seinem Recht Gebrauch gemacht, „sozusagen vertikal zu entscheiden".
Groer war „persönliche Entscheidung"
Die Ernennung Hans Hermann Groers sei wohl „eine sehr persönliche Entscheidung" des Papstes gewesen, berichtete dessen Nachfolger als Wiener Erzbischof. Groer habe zweifellos auch große Verdienste gehabt, „aber es hat sich hier wohl als unglücklich erwiesen, dass es nicht das normale Auswahlverfahren gab". Dennoch glaube er, dass Gott bei den „so umstrittenen" Bischofsernennungen in den 1980er-Jahren trotzdem seine Regie weiterführte. Schönborn: „Ich kann nur im Blick auf mich selber sagen: Der Papst ist nicht unfehlbar mit Bischofsernennungen. Ich weiß selber, wie gebrechlich ich bin und wie viele Fehler ich habe." Auch Petrus sei ein Mann voller Schwächen gewesen, trotzdem habe ihn Jesus erwählt.
Beim Papstbesuch 1998 in Österreich, „der nicht mehr die große Begeisterung ausgelöst hat wie der Besuch 1983", hätten die Vorwürfe gegen Kardinal Groer die Kirche bereits enorm belastet und zu Protesten und Austritten geführt. Schönborn dazu: „Wir hatten doch sehr gehofft, dass Papst Johannes Paul II. ein Wort des Trostes und des Mitgefühls auch für die Betroffenen, für die Menschen, die darunter gelitten hatten, finden würde. Dieses Wort ist ausgeblieben." Der Eindruck des Kardinals: „Er war mit dem Thema 'Missbrauch' irgendwie überfordert... Ich glaube, er war ein so lauterer Mensch, dass er sich das nicht vorstellen konnte."
Interreligiöse Meilensteine
Unbestreitbar seien freilich die Verdienste Johannes Pauls II. um den Dialog mit den anderen Religionen z.B. mit den interreligiösen Friedenstreffen in Assisi 1986 und 2002. Was der polnische Papst für die Verbesserung des Verhältnisses zum Judentum geleistet habe, ist laut Schönborn „mehr, als viele Jahrhunderte es getan haben". Sein Besuch in der römischen Synagoge 1986 sei „ein absoluter Durchbruch" gewesen, der wohl auch mit Karol Wojtylas Schulzeit mit jüdischen Mitschülern und seiner Jahrzehnte langen Freundschaft mit einem Shoa-Überlebenden zu tun hatte.
Der vom Papst geführte Religionsdialog sei auf massiven Widerstand bei den Traditionalisten gestoßen, erinnerte der Kardinal. „Aber von seiner Sicht des Menschen her war für ihn jeder Mensch, egal welcher Religion, ein Geschöpf Gottes und daher auch vom Glauben her ein echter Partner". Johannes Paul II. habe einen Satz des Zweiten Vatikanums „wahrscheinlich am häufigsten von allen Texten zitiert" und auch „gelebt", nämlich: „In seiner Menschwerdung hat der Sohn Gottes sich in gewisser Weise mit allen Menschen verbunden" („Gaudium et spes" 22).
Mensch als „Mitte der Wirtschaft"
Erwähnt werden müssten auch die Impulse, die von der Soziallehre des Papstes ausgingen, so Schönborn weiter: „Die Wirtschaft ist nur dann menschenwürdig, wenn der Mensch die Mitte der Wirtschaft und nicht das Objekt der Wirtschaft ist." Johannes Paul II. sei Ethiker gewesen, „eigentlich mehr Philosoph als Theologe", sagte der Kardinal. Deshalb sei sein Pontifikat auch stark von den Debatten um die Moraltheologie und Familienethik geprägt, „konkret das Thema Empfängnisverhütung".
Über die Spiritualität des polnischen Papstes sagte der Kardinal, Maria spiele dabei eine ganz große Rolle. „Aber das 'Totus tuus', das seine Papst-Devise ist, dieses Sich-ganz-Anvertrauen an Maria", stehe für die Wegweiserin, die zu Christus hinführt. „Tut alles, was er euch sagt": Dieses Wort Mariens bei der Hochzeit von Kana sei für Papst Johannes Paul die Mitte der Spiritualität, wies Kardinal Schönborn hin. „Da steht eindeutig Christus im Zentrum."
(kap - gs)
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